Angewandte Buchkunst: technisch perfekt, präzise in Gestaltung, Form und Inhalt. Ein Fest für alle Sinne entfachen die drei Staatspreisträger. Man kann also Gedanken lesen und Außergewöhnliches erwarten.

Foto: Lukas Friesenbichler

Es heißt: "Lesen ist wie Sehen." In Menschen die Liebe zum Lesen zu entfachen, bedeutet oft, "Sehen" aus anderen Blickwinkeln zu ermöglichen. Schöne Bücher ebnen den Weg. Quod erat demonstrandum.

Foto: Lukas Friesenbichler

Ich habe einen ganz einfachen Geschmack. Ich bin immer mit dem Besten zufrieden", postulierte einst Oscar Wilde. Schöngeister wie Giacomo Casanova oder Johann Wolfgang von Goethe schwärmten vom sinnlichen Vergnügen eines neuen, jungfräulichen Buches. Abgesehen vom gedanklichen Universum, in das Autoren in Offenbarung ihres Innersten Einblick gewähren, gibt es eine Unzahl kreativer Prozesse, die eine Publikation zum Genuss machen. Wahrlich ein Fest für alle Sinne ist ein gut gemachtes, liebevoll gestaltetes Buch. Vielen ist oft nicht bewusst, was handwerklich notwendig ist, um die Lektüre zu einem Gesamtkunstwerk zu machen. Da ist die Wahl der Schrift, der Einsatz geschnitzter Typografien, der maßvolle oder auch opulente Einsatz von Illustrationen, Fotos und Zeichnungen, die Auswahl von Papieren, die sich unterschiedlich anfühlen und aussehen, der Geruch von Karton, Leder, Stoff, Leinen, das haptische "Begreifen" von Covers oder geprägten Rücken, der schmucke Einsatz eines Lesebändchens etc.

In periodischen Abständen lamentieren Verleger und Buchhandel über stagnierende, teils rückgängige Umsätze. Obwohl mehr Menschen lesen denn je. Es ist eigentlich auch gar nicht notwendig, wieder den Untergang des Abendlandes heraufzubeschwören, larmoyant den Siegeszug der Belanglosigkeit und den Verlust von Stil und Sprachwitz im Zuge digitaler Schnelllebigkeit zu betrauern. Es geht nur darum, adäquat darauf zu reagieren. Natürlich bedarf es - in einem Zeitalter der Dauerpenetration durch optische Reizüberflutungen - der Bedienung mittels einer Art Fast-Food-Literatur. Andererseits darf man sich nicht in innere Emigration begeben, sondern sollte mit Qualität der inhomogenen Masse an E-Readern entgegentreten.

Seit mehr als 60 Jahren werden jährlich vom Hauptverband des Österreichischen Buchhandels die schönsten Bücher Österreichs gekürt. Allein für 2013 beurteilte eine zehnköpfige Jury 191 Bücher, die von 139 Verlagen und Druckereien eingereicht worden waren. Prämiert wurden 15 Bücher, drei wurden mit einem mit € 3000,- dotierten Staatspreis bedacht. Auffallend, dass es sich nicht um Mainstream, um Bücher namhafter Verlage handelt, sondern vor allem um exotische, exaltierte Publikationen, die teilweise nur einem handverlesenen Publikum vorbehalten waren. Bei den ausgezeichneten Werken stimmt die Balance von Inhalt und Form, von Haptik und Optik. Inhalte werden spürbar, Gedanken durch Freiräume nachvollziehbar. Man kann Holz förmlich riechen, fühlen, Farbe ertasten, schmecken. Mit Weißraum wird gespielt wie mit Gedanken. Schriftarten setzen Zäsuren, erlauben Verdichtungen.

Die Zukunft im Qualitätssegment wird darin liegen, das Besondere erlebbar zu machen. Etliche der Global Player haben das bereits in ihr Portfolio aufgenommen. Zusätzlich zu normalen Ausgaben werden oft Limited Collector's Editions in Schubern mit handsignierten, nummerierten Prints produziert. Einzelne Künstler und Kleinverlage exerzieren das auch schon bis zur Perfektion.

"Schöne Bücher werten den Inhalt auf und machen oft erst richtig auf diesen aufmerksam. Gut gestaltete und hochwertig produzierte Bücher werden nie vollständig durch E-Books ersetzt werden. Man will sie besitzen, sie erleben und mit ihnen leben. Ich bin überzeugt, dass die Rolle der Buchgestaltung wichtiger werden wird", konstatiert HVB-Präsident Föger.

Was haben Internet und die mobilen Geräte aus uns und unserer Sprache gemacht? Wie steht es mit dem Lesen und Schreiben? Wie wunderbar ist die Gutenberg-Galaxis im Gegensatz zum unpersönlichen Internet-Market-Place. Es nutzt nicht, ohnmächtig vor der scheinbaren Allmacht des Netzes zu kapitulieren und in selbstgerechter Saturiertheit ja nicht gegen den Strich zu bürsten. Ganz unabhängig davon, was die verzweifelt dilettierende Industrie in ihrem selbst oktroyierten Utilitarismus gerade als künstlichen Hype dem p.t. Publikum ins Haus liefert.

Politik und öffentliche Hand sind zur Förderung von Qualität gefordert - keine Frage. In Wahrheit aber zählt das Handeln des Individuums. Die Entscheidung, aufrechten Ganges, erhobenen Hauptes, Flagge zu zeigen, im sonst verödenden Grätzl einzukaufen und die Leidenschaft des Lesens mit allen Sinnen auszuleben, obliegt dem Einzelnen. Wie sagte Oscar Wilde lapidar: "Der Kultivierte bedauert nie einen Genuss. Der Unkultivierte weiß überhaupt nicht, was Genuss ist." (Gregor Auenhammer, Album, DER STANDARD, 6./7.9.2014)