Die Wienwoche hat unter dem Schwerpunkt "Migrazija yeah yeah" auch das Projekt "WienerWarten" zu bieten, das sich mit dem Zustand der Nochnichtangekommenen beschäftigt. Der behördliche und der innere Wartesaal, in dem man nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht zugehörig und auch noch nicht als Fremdkörper abgestoßen worden ist, wird unter anderem von Dimitri Dinev und Olja Alvir beschrieben und damit nachvollziehbar gemacht.
Warteräume sind Transitfegefeuer. Man glaubt, man habe eine Grenze überwunden, aber sie ist immer noch da. Man hat sie inkorporiert. Sie wurde einem einverleibt. Ohne dass man gefragt worden wäre. Diese überwunden geglaubte Grenze sitzt in Köpfen und in Bauchhöhlen als beständige Angst, sie könnte wieder extrahiert und wieder vor einem aufgebaut werden.
Diese Angst ist nicht unrealistisch. Die Bereitschaft, da zu sein, ist nicht immer genug. Die Entscheidungsgewalt der mächtigen Behördensphinx ist nicht immer nachvollziehbar. Ihr Rätsel wird jedoch gestellt werden. Die Lösung kann schneller verlautbart werden und auch langsamer. Und noch langsamer als langsam. Zeit ist relativ.
Das Warten auf die Antwort der Sphinx dehnt sich aus: ein persönliches Universum nach dem Urknall der Frage. Warten bedeutet Tatenlosigkeit. Nicht aber die Tatenlosigkeit der Entspannten. Wer so wartet, ist zu fruchtloser, aber umso zehrenderer Arbeit verdammt. Die Wartenden müssen täglich damit fertigwerden, dass sie keine Entscheidungsgewalt über ihr Leben mehr haben. Alle Lebenspläne stehen still, wenn die Entscheidungsinstanz es will. Solange nicht klar ist, wann die Bleibenden bleibend werden dürfen und wer von den Wartenden zu Bleibenden erkoren werden wird.
Die Zeit des Landes läuft in einer anderen Geschwindigkeit als die Zeit jener, die auf der Schwelle des Landes stehen. Das entfernt sie weiter von dem Ziel, ein Teil des Hier und Jetzt zu sein. Jeder ist in seiner eigenen Stillstandsblase gefangen, die sich nach einer Weile so anfühlt, als gäbe es gar keine Zeit mehr. Sondern nur dieses schwerkraftfreie Schweben in Ortlosigkeit. Das Kreisen um das Verbliebene: um sich selbst.
Jeder von uns kennt dieses ärgerliche Gefühl, wenn die Schlange vor der Kassa ins Stocken gerät, wenn man beim Arzt nicht und nicht aufgerufen wird. Kleine, räumlich und zeitlich begrenzte Frustrationen, Karikaturen dessen, was ein Mensch ertragen lernen muss, der Wochen, Monate, Jahre wartet. Auf das Startsignal zum normalen Leben. Wer wartet, sollte sich besser warm anziehen. Der Blick der Sphinx tötet nicht, aber ihr Schweigen kann vernichten. (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 6./7.9.2014)