An den Aktienmärkten gibt es viel zu korrigieren. Analysten streichen seit einigen Quartalen ihre Gewinnprognosen für die Unternehmen, gerade in der Eurozone, kräftig zusammen. Ukrainekrise, geopolitische Unsicherheiten und die schwache Konjunktur werden herangezogen, um die drastische Senkung der Gewinnerwartung zu rechtfertigen. Laut Daten von Société Générale ist das von den Analysten erwartete Gewinnwachstum der 600 Unternehmen im Stoxx-Aktienindex von knapp 14 Prozent zu Jahresbeginn auf fünf Prozent gefallen. Wenn aktuell Aktienanalysten ihre Erwartungen nach unten schrauben, dann machen sie externe Faktoren und Überraschungen für die Herabstufung verantwortlich.

Doch es wäre für jeden Investor töricht, beim Verschleiern der wahren Gründe für die unerfüllten Gewinnhoffnungen mitzumachen. Denn viel mehr als eine Ausrede ist es nicht, wenn Unsicherheit bezüglich der Ukraine als Grund für eine geringere Gewinnprognose bei deutschen Chemiekonzernen oder französischen Industriebetrieben herangezogen wird.

Denn dass die Gewinnerwartungen in Europa im Laufe des Jahres hinuntergeschraubt werden müssen, ist keine wirkliche Neuigkeit. 2010, 2011, 2012 und auch 2013 zeigt sich ein ähnliches Bild. Analysten und Investoren starteten mit viel Optimismus und Vorschusslorbeeren in das neue Jahr. Wenn sich zum Jahresende Analysten hinsetzen, um ihre Jahresausblicke zu schreiben, sind sie oft berauscht von gut laufenden Aktienmärkten. Dann erwarten sie wieder zweistellige Wachstumsraten beim Gewinn. Doch diese Erwartungen sind in Wahrheit Hoffnungen. Sie werden erfüllt, wenn alles gutgeht, etwa wenn Wirtschaftspolitiker, Konsumenten und Unternehmen genau das machen, was im besten Fall eintreffen kann. Mehr Konsum, lockere Geldpolitik und gewinnträchtige Unternehmen. Wenn aber realistische oder konservative Annahmen hinsichtlich Wachstum, Gewinnmargen und Risiken getroffen werden, sind die großen Erwartungen der Analysten schlicht oft nicht nachzuvollziehen.

Konservativere Annahmen über das Gewinnwachstum, das sich in einem Umfeld geringen Wirtschaftswachstums erzielen lässt, kommen auf rund drei Prozent pro Jahr (nach Abzug der Inflation). Negative Einschätzungen, die etwa die Demografie in der Eurozone mit einkalkulieren, kommen auf eine schwarze Null als sinnvolle Erwartung.

Doch der Überoptimismus von Analysten wird auch von den meisten Investoren geteilt. Auch ihnen würden konservativere Erwartungen guttun. Statt fix mit zweistelligen Gewinnen an den Aktienmärkten zu rechnen, sollten Investoren, ausgehend vom aktuellen Dividendenniveau, mit deutlich weniger rechnen. Denn Aktienmärkte, die zu lange in eine Richtung laufen, erhöhen das Rückschlagspotenzial. Und ob die Ukraine, die Geldpolitik oder das Wetter dann den Rückschlag herbeiführen, ist zweitrangig. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 5.9.2014)