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Trauerfeier nach dem Tod von Steven Sotloff in Florida.

Foto: APA/EPA/ALEX MENENDEZ

Wien - Eine Mutter bittet um die Freilassung ihres Sohnes. In einer Videobotschaft wendet sie sich direkt an dessen IS-Entführer in der Hoffnung, dieser werde muslimischer Tradition folgend Milde walten lassen. Die Antwort kommt postwendend ebenfalls per Video: Bilder der Enthauptung des 31-jährigen Steven Sotloff. Knapp zwei Wochen zuvor war sein 40-jähriger Kollege James Foley genauso menschenunwürdig ermordet worden. Beide waren Journalisten, beide US-Staatsbürger, beide in Syrien in die Gewalt der Extremmiliz "Islamischer Staat" (IS) geraten. Deren Ziel ist klar: durch Terror ein Informationsvakuum zu schaffen und nebstbei mit Lösegeld für weitere in Geiselhaft genommene westliche Berichterstatter zu spekulieren. Geld oder Leben.

Wo kein Kläger, da kein Richter

Genaue Angaben über in Syrien vermisste Journalisten gibt es nicht. Kriegs- und Krisenreporterin Petra Ramsauer nannte kürzlich in einem STANDARD-Interview an die 20 entführte Kollegen als Dunkelziffer. Tatsache ist jedenfalls, dass immer weniger Journalisten es wagen, vor Ort aus Syrien zu berichten. Auch das ist Teil der IS-Strategie. Wo kein Kläger, da kein Richter, heißt es im Juristenjargon. Übertragen auf die Berichterstattung bedeutet das, wo kein unbeteiligter Augenzeuge, da keine glaubwürdige Information. Zum Schluss blieben dann nur noch digital verbreitete Propaganda-Sequenzen. Nicht nur aus Syrien, sondern aus allen von der IS beherrschten Regionen. Ende der Durchsage.

Die besondere Perfidie der IS-Führung liegt in der Brutalität der Bilder, mit denen sie die ganze Welt an der Enthauptung der beiden Journalisten teilnehmen ließ. Zunächst als Druckmittel gegenüber der amerikanischen Regierung eingesetzt, im nächsten Schritt möglicherweise auch gegenüber anderen westlichen Staaten. "Kauft eure Bürger frei, oder wir hetzen mit weiteren solchen Videos die Bevölkerung eurer Staaten gegen euch auf" – auch das ist eine Message der IS. Fortsetzung folgt.

Bei der Hinrichtung von James Foley war im Hintergrund Steven Sotloff zu sehen. Bei dessen Ermordung der britische Entwicklungshelfer David Haines. Haines ist zwar kein Journalist, aber auch er ist ein Augenzeuge. Und: Großbritannien hatte im zweiten Irak-Krieg Seite an Seite mit den USA gekämpft. Haines wurde offenbar vor knapp einem Jahr gemeinsam mit einem italienischen Kollegen in der Nähe eines Flüchtlingslagers in Nordsyrien entführt.

"Brutalstmögliche Provokation"

Gibt es eine Steigerung des Wortes, des Begriffes "Brutalität"? Die "Süddeutsche Zeitung" nennt den Mord an Steven Sotloff eine "brutalstmögliche Provokation". Eine Wortschöpfung als Ausdruck der Fassungslosigkeit angesichts der menschenfeindlichen Praktiken der IS. Im selben Artikel berichtet das Blatt, dass in sozialen Medien zahlreiche Menschen appellierten, nicht das Hinrichtungsvideo, sondern stattdessen Links zu Sotloffs besten Reportagen zu verbreiten. Ein wichtiger, richtiger Gedanke. Weltweit brachten Medien tatsächlich nur noch Standfotos des Ermordeten, um sich nicht im Sinne der Nachrichtentheorie "Bad news are good news, are best news" in den Dienst der IS-Propagandamaschine zu stellen. Ich selbst möchte nicht wissen, wie viele Internetuser zuvor das Enthauptungsvideo von James Foley angeklickt hatten. Aus Neugier und womöglich auch als Nervenkitzel-Steigerung in Sachen widerwärtiger Brutalo-Szenen. Ekelhaft.

Natürlich ist es auch Teil einer "sorgsamen" Dramaturgie, dass die Todeskandidaten der IS in jene orangefarbene Gefangenenkleidung gesteckt wurden, die nicht nur Guantanamo-Insassen, sondern auch in den USA per Gerichtsentscheid zum Tod verurteilte Häftlinge an ihrem letzten Tag tragen müssen. Die IS bedient sich dabei einer sehr vordergründigen, dennoch wirksamen Symbolik. Wäre Guantanamo inzwischen aufgelöst worden, wäre die Symbolkraft dieser orangen Overalls weitgehend verpufft.

Menschenrechte

Menschenwürde, Menschenrechte gelten offenbar in diesem neuen Jahrhundert zunehmend als Quantité négligeable, als vernachlässigbare Werte. Warum eigentlich auch in der demokratisch geprägten westlichen Welt? Stichwort Asylpolitik. Weil die Gräuel der zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts schon so lange zurückliegen? Weil es sich so angenehm in ungeteiltem Wohlstand lebt? Weil die UN-Menschenrechtsdeklaration nun im Alter von 66 Jahren auch schon in Ehren ergraut ist?

Friedenspolitik ist um so vieles leiser, schwieriger und weniger medienwirksam als Säbelrasseln. Hoffen wir auch deshalb, dass angesichts der derzeit prekären Situation vieler Medienhäuser deren Reporter und Journalistinnen nicht wieder eingebettet werden in den Dienst diverser Interessengruppen. Dass sie stattdessen weiterhin unabhängig recherchieren und berichten können.

Steven Sotloff und James Foley waren Protagonisten eines solchen, der freien Information verpflichteten Journalismus. Beider Tod war grauenhaft. Umso größer ist die Verpflichtung, den Prinzipien der Medien- und Meinungsfreiheit treu zu bleiben. (Rubina Möhring, derStandard.at, 4.9.2014)