Kilian Kleinschmidt ist gelernter Dachdeckermeister, ein bulliger Deutscher, der in den letzten Jahren in Sachen Flüchtlingspolitik ein Meisterstück abgeliefert hat. Er hat das Uno-Lager Za'atari in Jordanien, mit rund 100.000 Bewohnern das größte der Welt, aus einem Hort der Verzweiflung und der Gewalt in einen Ort umgewandelt, der für viele so etwas wie eine Heimat geworden ist. Jetzt hat er sich in Wien niedergelassen und will künftig die hiesigen einschlägigen Organisationen beraten. Was können die Österreicher von ihm lernen?

Kleinschmidt ist kein blauäugiger Gutmensch, sondern ein unsentimentaler Pragmatiker, der, wie er in einem Interview sagte, seine Aufgabe "unternehmerisch" angegangen ist. Seine Leitlinie: den Menschen so viel Selbständigkeit lassen und so viel Eigenverantwortung übertragen wie nur irgend möglich. Kaum etwas ist so demütigend und so lähmend wie völlige Abhängigkeit von anderen. Flüchtlinge und Migranten sind meist starke Menschen, die auf ihrer Flucht bereits gewaltige Hindernisse überwunden haben. Sie können und wollen viele Initiativen und Kräfte entwickeln, um sich selbst zu helfen.

In Za'atari kochten die Leute folglich in ihren Zelten und Behelfshütten ihr Essen selbst, statt sich in der Schlange um Standardmahlzeiten anzustellen. Sie übernahmen alle Arbeiten im Lager, kümmerten sich um die Kinder. Arbeit und Selbstbestimmung hat mit Würde zu tun, sagt Kleinschmidt, Abhängigkeit mit Entwürdigung.

Zu ähnlichen Schlüssen kam vor einigen Jahren der kanadisch-britische Autor Doug Saunders in seinem Buch Arrival City, das weltweite Erfahrungen mit Zuwanderern in zwanzig Städten zusammenfasst. Auch hier die Erkenntnis: Integration funktioniert dort, wo Zuwanderer nicht daran gehindert werden, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Sie funktioniert dort nicht, wo sie nur betreut und bevormundet werden.

In Österreich dürfen Asylwerber bekanntlich nicht arbeiten. Sie sitzen oft in entlegenen Quartieren fest, fast ohne Geld, ohne Beschäftigung, ohne Perspektiven, ohne zu wissen, wie lang ihr Verfahren dauern wird, ob sie abgeschoben werden oder bleiben dürfen. Praktiker wundern sich denn auch nicht, wenn manche Junge lieber in den Jihad ziehen, als jahrelang diesen Zustand der Ohnmacht und Hilfslosigkeit zu ertragen. Permanente Demütigung ist eine Einladung zu Kriminalität und/oder Gewalt, sagen Sozialarbeiter und Migrationsexperten, von der Verschleuderung menschlicher Ressourcen und Humankapital gar nicht zu reden.

Kleinschmidt hat gezeigt, dass es auch unter miserablen Umständen - weit schlimmeren als denen in Österreich - möglich ist, traumatisierten und entwurzelten Menschen ein Stück Selbstbestimmung zurückzugeben. Er verlangte auch etwas von seinen Schutzbefohlenen: Wer konnte, musste für Essen, Strom und andere Leistungen selbst bezahlen. Der Erfolg gab ihm recht. Man kann nur hoffen, dass Uno-Feuerwehrmann Kleinschmidt in Österreich nicht nur die Hilfsorganisationen beraten wird, sondern auch die Politik. Sie kann guten Rat von erfahrenen Fachleuten dringend brauchen. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 4.9.2014)