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Auch das Gebäude der früheren US-Botschaft in Tripolis ist unter Kontrolle islamistischer Milizen geraten. Diese führten jüngst Journalisten durch die Räumlichkeiten.

Foto: REUTERS/Ismail Zitouny

Tripolis/Kairo - Bewaffnete haben am Montagabend in der libyschen Hauptstadt weitere Regierungsgebäude besetzt und teilweise geplündert - besonders jenes der Post, aber auch Einrichtungen des Innen-, des Außen- und des Gesundheitsministeriums. Stunden zuvor hatte die Regierung offiziell eingeräumt, was längst Fakt war: dass sie die Kontrolle über die Ministerien in Tripolis verloren hat.

Die Beamten werden daran gehindert, ihre Arbeit zu machen, seit die islamistischen Milizen am 22. August ihre Rivalen, die liberalen und säkularen Kräften nahestehen, nach fünfwöchigem Kampf nahe des internationalen Flughafens besiegt hatten.

Konkurrierende Parlamente

Die Regierung von Abdullah al-Thinni hat sich seither in die 1500 Kilometer entfernte Stadt Tobruk zurückgezogen, wo sich bereits das neue Parlament eingerichtet hatte. Beide Institutionen werden von den Islamisten, deren Kämpfer hauptsächlich aus Misrata stammen, nicht anerkannt. Sie setzen nach wie vor auf das alte Parlament, den Nationalkongress, der auch dabei ist, eine Regierung zu bilden. Sein Präsident, Nuri Abu Sahmin, führt sich weiterhin wie der Staatschef auf und unternimmt auch Auslandreisen.

Thinni und die neu gewählte Volksversammlung können aber auf die internationale Unterstützung zählen, von der nur wenige Länder - insbesondere die Türkei - ausscheren. Der UN-Sicherheitsrat hat Sanktionen gegen Milizenführer und ihre politischen Unterstützer angedroht, die den bewaffneten Konflikt schüren und der Internationale Gerichtshof sammelt bereits entsprechende Beweise. Die bewaffneten Auseinandersetzungen haben in den letzten Wochen eine dramatische Fluchtwelle ausgelöst. 100.000 Menschen wurden laut UN-Angaben innerhalb des Landes vertrieben, 150.000 sind ins Ausland geflohen.

"Mini-Krisen-Kabinett"

Das Parlament in Tobruk hat Thinni erneut den Auftrag erteilt, binnen zwei Wochen eine Regierung, diesmal ein Mini-Krisen-Kabinett zu bilden. Der Premier hat versprochen, soweit es geht, die Regierungsgeschäfte ferngesteuert zu führen, solange bis die nationale Armee die Sicherheit in Tripolis wieder hergestellt habe.

Ob das je der Fall sein wird, ist völlig ungewiss. Während in Tripolis wieder gespannte Ruhe herrscht, sind in Bengasi am Dienstag die Kämpfe zwischen den Truppen des abtrünnigen Generals Khalifa Haftar, unterstützt von regulären Kräften, und den islamistischen Milizen heftig aufgeflammt. Mindestens 31 Menschen, darunter zehn Soldaten starben. Gegenwärtig herrscht ein militärisches Patt. Keine Seite ist in der Lage, die andere mit Waffengewalt zu besiegen. Erfolgversprechende Initiativen, Libyen durch einen politischen Kompromiss vor dem endgültigen Zerfall zu retten, gibt es aber auch nicht. (Astrid Frefel, DER STANDARD, 3.9.2014)