Leser Werner N. aus Vorarlberg schreibt zum Thema Ukraine-Berichterstattung: "Um ein Beispiel vor sich zu haben, wie ernst zu nehmender Journalismus sein könnte, der Ihren eigenen Ansprüchen nahekommt, habe ich einen Artikel aus dem Handelsblatt beigefügt." Zitat daraus: "Blätter, von denen wir eben noch dachten, sie befänden sich im Wettbewerb der Gedanken und Ideen, gehen im Gleichschritt mit den Sanktionspolitikern auf Russlands Präsidenten Putin los."

Dazu aus der Antwort an den Leser: Das Handelsblatt kritisiert die großen Qualitätsmedien Süddeutsche, FAZ, Welt und Spiegel, die alle eine kritische Haltung gegenüber der Putin'schen Aggression einnehmen. Dennoch ist es natürlich möglich, dass wir alle (inklusive der großen internationalen Zeitungen wie New York Times, Le Monde, Financial Times, Corriere, La Repubblica, El Pais usw.) völlig danebenliegen und nur das Handelsblatt recht hat.

Die Faktenlage spricht aber stark dagegen. Zum ersten Mal in Europa nach 1945 hat eine Großmacht mit Gewalt Grenzen verändert und will das weiterhin. Als "kollateraler Schaden" wurde ein malaysisches Zivilflugzeug von den Handlangern des russischen Präsidenten abgeschossen. Die Aufgabe der unabhängigen Qualitätspresse ist es, Fakten einzuordnen. Es liegt das Faktum vor, dass Putin die Emanzipation der Ukraine aus seinem Machtbereich nicht dulden will und dafür immer unverhohlener Gewalt und auch russisches Militär (in verdeckter Form) einsetzt. Die Krim hat er auf diese Weise schon einkassiert. Nun ist die Ostukraine dran (von deren "Staatlichkeit" er bereits spricht), und zwar ist es offenbar die Absicht, eine Landbrücke zur Krim herzustellen bzw. später dann bis Odessa und in die russische Exklave Transnistrien vorzurücken.

Wie es Kriminalisten tun, sollte man eine Chronologie anlegen, um auf den oder die Täter zu kommen: Im Herbst 2013 sollte die Ukraine unter dem durch und durch korrupten Postkommunisten Janukowitsch ein Assoziierungsabkommen mit der EU abschließen. Der einzige Fehler der EU-Bürokratie in diesem Zusammenhang war es, ein gleichzeitiges Zollabkommen mit Russland auszuschließen. Putin befahl Janukowitsch, das EU-Abkommen nicht zu unterzeichnen. Darauf brach die Maidan-Bewegung los, und Janukowitsch wurde verjagt. Dies nahm Putin zum Anlass, um mit verdeckten russischen Militärs (zuerst geleugnet, dann zugegeben) die Krim an sich zu reißen. Damit nicht genug, unterstützte er auch die Separatisten in der Ostukraine mit russischen Soldaten (zuerst geleugnet, jetzt zugegeben). Als diese in die Defensive gerieten, erhöhte Putin die Militärunterstützung massiv.

Das ist die Lage. Nun kann man natürlich meinen, man müsse mit Putin verhandeln. Es ist geschehen und hat bisher absolut nichts gebracht, außer Putins Drohung gegenüber EU-Präsident Barroso, er könne "in zwei Wochen Kiew einnehmen". Oder man kann meinen, diese Gewaltmaßnahmen stünden Russland zu, da es ein Recht auf die Ukraine als Einflusssphäre habe. Dann stellt sich allerdings die Frage, wo das aufhört. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 3.9.2014)