Vor einiger Zeit war ich mit ein paar lieben Leuten auf Urlaub in einem kleinen italienischen Dorf bei Menschen, die uns nur aus unserer E-Mail-Beschreibung kannten. Mit einem etwas mulmigen Gefühl ob meines Passings hab ich mich in unserem Ankündigungsschreiben also mit männlichem Vornamen vorgestellt, die anderen, die von meinem Trans*Sein wissen, ebenfalls mit den zu ihnen passenden Angaben.

Als wir endlich persönlich bei unseren Hosts ankamen, war ich erst mal erleichtert: nicht nur, dass wir die lange Zugfahrt überstanden hatten (wer schon mal mit der italienischen Bahn gefahren ist, weiß, wovon ich rede) und die Leute nicht mal allzu verärgert waren, dass wir um einiges später als vereinbart angekommen sind. Offenbar waren meine Bedenken, ich würde als Typ infrage gestellt und aufgrund "falscher Angaben“ womöglich sogar von deren Gaststätte verwiesen werden, auch völlig übertrieben. Alles also kein Problem, und so vergingen auch ein paar Tage in mehr oder weniger idyllischer Atmosphäre. Easy.

Als ich schon längst keine Zweifel mehr hatte, akzeptiert zu werden, sprach einer unserer Gastgeber eines Abends beim gemeinsamen Essen in irgendeinem Zusammenhang über mich – und verwendete dabei absolut unerwartet das weibliche Pronomen "sie“.

"Sie.“ "Sie?“, fragte ihn ein anderer Gast verwundert, der, wie die Hosts eigentlich auch, nichts von meiner Trans*Identität wusste. Doch nicht der sprechende Gastgeber, sondern ich wurde von mehreren Seiten angesehen. "Wurde er gerade 'sie' genannt?“

In diesem Moment ist etwas passiert, und es brauchte kurz, bis mir klar wurde, was. Ich weiß nicht, ob es meine Einbildung war oder ob die ganze Stimmung tatsächlich gekippt war. Jedenfalls war eine Sache ganz sicher gekippt: die Sicherheit meiner Geschlechtsidentität, und mit ihr natürlich auch meine Sicherheit in ihr. Von da an begleitete mich wieder das Gefühl, mich behaupten, gegen eine falsche Behauptung ankämpfen und mich gleichzeitig irgendwie verstecken zu müssen. Wir konnten immerhin noch jederzeit rausgeworfen werden, wenn ich jetzt etwas "falsch“ machte.

Die (Geschlechts-)Identität durch Fremdbezeichnung infrage gestellt

Die falsche Adressierung einer Person kann als performativer Akt mehrere Folgen haben: Zum einen fühlt es sich einfach generell nicht gerade gut an, mit den falschen Pronomen fremdbezeichnet und somit mit dem falschen Geschlecht identifiziert zu werden – besonders für Personen, denen dies schon seit sehr langer Zeit tagtäglich passiert.

Zum anderen aber passiert auch nach außen hin etwas: In dem Moment, in dem eine Bezeichnung auf einen Menschen vor quasi versammeltem Publikum angewendet wird, werden dieser Person gewisse Eigenschaften oder sogar eine gewisse Identität zugeschrieben. Es entsteht allgemeine Unsicherheit über die bisher angenommene Identität dieser Person, denn durch die Bezeichnung wird sie unfreiwillig in ein neues Licht gestellt, in dem sie somit nicht mehr nur von der sprechenden, sondern nun auch von den zuhörenden Personen gesehen wird.

Aus diesem Grund wirken etwa Schimpfwörter nicht nur als direkte Verletzung der beschimpften Person, sondern eben auch als Diffamierung dieser vor anderen – wobei der Grad der Wirkung einer solchen Benennung unterschiedlich sein kann.

Wer im Kindergarten einen verhassten, beleidigenden "Spitznamen“ hatte oder einmal vor anderen Leuten als "Schlampe“ oder "Schwuchtel“ bezeichnet worden ist, kennt diesen Effekt vermutlich: Es steht plötzlich eine Art Beschuldigung im Raum, die mitunter "kleben“ bleiben kann. Es entsteht unter Umständen sogar ein gewisser Ruf, der ungewünscht ist; sei es, weil er an sich als schlecht gilt oder weil er einfach nicht der wahren Identität entspricht und es sich somit um eine unrechtmäßige Behauptung handelt.

Foto: Mike

So ähnlich kann es sich anfühlen, mit falschen Pronomen bezeichnet zu werden. Mit dem Unterschied natürlich, dass "sie“ oder "er“ per se nicht schlecht konnotiert sind, "Schlampe“ oder "Schwuchtel“ dagegen leider noch immer (wobei es einen Unterschied zwischen Fremd- und Selbstbezeichnung im Sinne von "reclaiming" gibt).

Doch auch wenn es sich bei geschlechtsspezifischer Adressierung nicht an sich um eine Beleidigung handeln muss: Der "Ruf“, eine Frau bzw. ein Mann zu sein, kann dennoch genauso "kleben" bleiben und, wenn mensch sich nicht so fühlt wie bezeichnet, nicht nur frustrierend, sondern auch sehr verunsichernd sein. Denn wenn wir mitbekommen, dass eine Person, die wir als Mann gelesen haben, plötzlich als Frau bezeichnet wird, werden wir vermutlich nach dem Grund für diese Bezeichnung suchen – und zwar am ehesten bei der so bezeichneten Person, was bei dieser wiederum das Bedürfnis hervorruft, sich vor den suchenden Blicken zu verstecken, die alle die Frage in sich tragen: "Handelt es sich da etwa gar nicht um einen Mann?“

Wenn die Fremdbezeichnung "Frau“ gezielt abwertend verwendet wird

Interessanterweise zielte die Benennung mit dem an sich neutralen Pronomen durch den besagten Gastgeber jedoch sehr wohl auf eine Abwertung ab. Denn auf die Frage eines anderen Gastes, weshalb er mich denn mit "sie“ bezeichnet hätte, kam seinerseits die Erklärung, dass ich doch irgendwie recht feminin bin. Immerhin bin ich klein, der Bart fehlt mir auch noch, und obendrein bin ich doch mit einem Typen zusammen.

Ich hatte es in seinen Augen also nicht ganz verdient, mit männlichen Pronomen bezeichnet zu werden, weil ich ihm zu "mädchenhaft“ war. Das weibliche Pronomen war also seine "provokante“ Antwort auf meine ihn vermutlich "provozierende“ Art, als Mann nicht männlich genug zu sein. Er allein war dabei das Maß der Männlichkeit und somit auch der selbsternannte Richter über meine Identität – er bestimmte für mich, ob ich auch ein Mann sein durfte oder nicht.

Wer sich in den Kindergarten zurück entsinnt, kennt vermutlich auch noch diese Art Beleidigung: "Du schlägst/läufst/weinst und bist somit wie ein Mädchen!“, oder auch einfach: "Du Mädchen!“ Die Betitelung mit "Mädchen“ oder "Frau“ aufgrund irgendwelcher Eigenschaften, die mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden, hat genauso den Zweck der Beleidigung und Diffamierung einer Person – meist einer männlichen, denn weiblichen Personen wird ohnehin nicht zugeschrieben, gut zu schlagen, schnell zu laufen oder hart genug zu sein, um nicht zu weinen; sie müssen also gar nicht mehr dahin abgewertet werden.

Diese Ansicht beschränkt sich leider nicht nur auf den Kindergarten, denn nach demselben Schema funktioniert auch das Schimpfwort "Schwuchtel“, bei dem die als weiblich geltende Eigenschaft, auf Männer zu stehen, einem Mann, der männlich zu sein und somit Frauen zu begehren hat, zum Vorwurf gemacht wird.

Das Ganze funktioniert natürlich nur, weil Weiblichkeit an sich einen geringeren Stellenwert besitzt als Männlichkeit. Somit ist die versuchte Abwertung eines Mannes dadurch, dass ihm Weiblichkeit zugeschrieben wird, eigentlich auf feminitätsfeindlichen Sexismus zurückzuführen.

Eine einfache Frage von Selbstbestimmung und gegenseitigem Respekt

Auf den Vorschlag einer mitreisenden Freundin hin, den Gastgeber als Gegenschlag doch auch einfach mit weiblichen Pronomen zu bezeichnen, wenn er auf deren Verwendung in Bezug auf mich besteht, kam von diesem ein mir mittlerweile bekanntes Gegenargument: "Du kannst mich gern mit falschen Pronomen bezeichnen, mir macht das im Gegensatz zu dir nichts aus!“ Glaub ich ihm auch gern. Denn der unerwähnte Umstand dabei ist, dass er im Gegensatz zu mir auch nicht ständig seine Geschlechtsidentität unter Beweis stellen muss. Dass diese nicht bei jeder Gelegenheit delegitimiert wird. Dass er keine Ahnung hat, wie es sich anfühlt, wirklich ständig (nicht nur von meinen mich unterstützenden Freund*innen und mir) fremdbezeichnet zu werden.

Aus einer privilegierten und recht gesicherten Position heraus ist es immer leicht, zu sagen: „Das würde mir an deiner Stelle aber nichts ausmachen.“ Daher empfiehlt es sich in Fällen, in denen Menschen für sich die Entscheidungsgewalt darüber, wie andere Menschen zu bezeichnen sind, beanspruchen wollen, eine viel einfachere Argumentationsstrategie: nämlich der Verweis darauf, dass es einfach eine Frage des Respekts und der Achtung des Gegenübers ist, dieses nicht beabsichtigterweise mit den falschen Begriffen zu benennen. Unabhängig davon, was für Konsequenzen ihm daraus entstehen. Denn im Sinne der Selbstbestimmung einer jeden Person über die eigene Identität kann die alleinige Entscheidungsgewalt über die "richtige“ (geschlechts)identifizierende Bezeichnung nur bei der bezeichneten Person liegen.

Ganz nebenbei wurden wir alle ironischerweise einen Tag vor unserer geplanten Abreise tatsächlich wie befürchtet von unseren Gastgeber*innen rausgeschmissen, jedoch weil wir unterschiedliche Ansichten vom gemeinsamen Leben und Arbeiten hatten. Somit hatte das Ende unseres Urlaubs immerhin nichts mit (Trans*)Gender-Problemen zu tun. (Mike, dieStandard.at, 1.9.2014)