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Trotz anhaltender Kritik lässt das soziale Netzwerk Facebook eine Seite zu, die die Ritualmordlüge über die Juden wiederaufleben lässt.

Foto: AP/Chiu

Dass die sich globalisierende Menschheit – also jener Teil, der Zugang zum Internet hat – zunehmend miteinander vernetzt ist, wird allgemein als Fortschritt gesehen. Auch die von Facebook und anderen sozialen Medien eröffnete Möglichkeit, weltweit Inhalte miteinander zu teilen, wird großteils als positiv gewertet.

Doch dieser intensive Austausch geht mit einer dunklen Seite einher, auf die nur unzureichend reagiert wird. Gemeint ist der Umgang mit hetzerischen, ja gesellschaftlich brandgefährlichen Inhalten, denen Facebook, eines der größten und wichtigsten sozialen Medien, eine Plattform mit Abermillionen potenziell ansprechbaren Teilnehmern und Teilnehmerinnen bietet.

Bisher nichts verbessert

Nun ist Kritik an zu tolerantem Umgang von Facebook mit rechtsextremen und rassistischen Inhalten nicht neu. Und sie hat bisher zu keinen nennenswerten Verbesserungen geführt, wie ein aktueller Konflikt um einen Homepage mit judenfeindlichem, antisemitischem Inhalt beweist.

Konkret geht es um eine Facebook-Gemeinschaft namens "Jewish Ritual Murder" ("Jüdischer Ritualmord"), die russische, großteils aus dem 19. Jahrhundert stammende Dokumente über eine der abgründigsten, aber bis vor wenigen Jahrzehnten auch im Christentum verankerten antisemitischen Lügen verbreitet: die falsche Behauptung, Juden würden christliche Kinder töten und deren Blut zu religiösen Zwecken verwenden.

Altbekannte Lüge

Diese Lüge war in Europa bis in die späten 1940er-Jahre Auslöserin von Pogromen. Von den Nazis wurde sie aufgegriffen und geschürt, um den Holocaust vorzubereiten. Im Nachkriegsösterreich hielt sie sich in Gestalt der Legende vom Anderl von Rinn, die von der katholischen Kirche erst 1994 verboten wurde. Zurzeit arbeiten Rechtsextreme sowie Islamisten hart daran, sie wieder aufleben zu lassen: angesichts der vielerorts herrschenden politischen Zustände recht beunruhigend.

All diese Zusammenhänge stießen angesichts der Ritualmord-Seite auch einer Reihe von Facebook-Nutzern hierzulande bitter auf. Sie nutzten die von dem Unternehmen für derlei Fälle angebotene Möglichkeit, Hassreden zu melden und deren Streichung zu fordern. Leider vergebens: Sie wurden mit folgender in pseudovertraulichem Ikea-Du gehaltenen Auskunft abgespeist: „Danke, dass du dir die Zeit nimmst, etwas zu melden, was eventuell gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstößt. Wir haben die von dir wegen Hassbotschaften oder -symbolen gemeldete Seite geprüft und festgestellt, dass sie nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstößt.“

Antirassistische Ankündigungen

Laut besagten Standards ist es auf Facebook nicht erlaubt, „einzelne Personen und Gruppen aufgrund ihrer Rasse, Volkszugehörigkeit, nationalen Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung, Behinderung, ihres Gesundheitszustands oder ihres Geschlechts anzugreifen“. Auf der Ritualmord-Seite geschieht aber genau das: Eine Gruppe, jene der Juden, wird aufgrund ihrer Religion mittels einer Falschbehauptung angegriffen.

Umso unverständlicher ist die Facebook-Reaktion, die in den USA übrigens schon eine längere Vorgeschichte hat. Vergangenes Jahr bereits hatten dort die Anti-Defamation League und andere jüdische Menschenrechtsgruppen die seit März 2012 bestehende Ritualmord-Seite gemeldet und deren Entfernung aus dem Netz verlangt – ebenfalls folgenlos.

Nur Makulatur

Dann, vor wenigen Tagen, schien bei Facebook plötzlich ein Umdenken eingetreten zu sein: Am 28. Juli 2014 wurde die inkriminierte Seite gelöscht – aber leider nur für zwölf kurze Stunden. Flugs war die Antisemitengemeinschaft wieder online.

Man habe die Abdrehentscheidung nochmals überprüft und sie revidiert, hieß es per Mail zur Erklärung an mehrere US-Aktivisten - die Empörung unter ihnen dürfte dafür ausschlaggebend gewesen sein, dass Nachrichten über den Konflikt bis zu österreichischen Usern drangen. Kein Wunder, denn dieses Hin und Her verheißt nichts Gutes. Politisch verantwortungsvoller Umgang mit der zu Propagandazwecken leicht missbrauchbaren Macht, die Facebook aufgrund seiner weltweiten Vernetzung derzeit hat, schaut anders aus. Und das Vorgefallene lässt die antirassistischen Facebook-Commitments als Makulatur erscheinen. (Irene Brickner, derstandard.at, 1.9.2014)