Moskaus Führung testet die Grenzen aus: Russlands Präsident Wladimir Putin hat sofortige Verhandlungen über Fragen „der politischen Gesellschaftsordnung und Staatlichkeit in der Ostukraine“ gefordert. Hatte er vor einem halben Jahr, unmittelbar nach der Übernahme der Krim, noch versichert, Russland wolle keine weitere Teilung der Ukraine, so klang diese Formulierung gefährlich nahe an einer möglichen Anerkennung der separatistischen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk durch Russland.
Putin zündelt nicht das erste Mal mit Worten: Schon Ende März hatte er „Neurussland“ wiederbelebt. Historisch bezeichnet der Begriff die Region zwischen Asowschem und Schwarzem Meer bis einschließlich Moldau, die das Russische Imperium unter Katharina der Großen erobert hatte. Der Vielvölkerstaat Sowjetunion hatte keinen Platz für den Ausdruck, doch Putin grub ihn wieder aus, um Moskaus möglichen Anspruch auf das Gebiet zu artikulieren, was die prorussischen Separatisten dort natürlich beflügelte.
Als Putins zweideutige „Staatlichkeits“-Forderung für die Ostukraine einen medialen Aufschrei erzeugte, ruderte der Kreml noch am gleichen Tag zurück und erklärte die Debatte zu einem Missverständnis. Doch wer Putin kennt, weiß, er wählt seine Worte bewusst und geschickt. Die nächste verbale Provokation folgt bestimmt. (André Ballin, DER STANDARD, 1.9.2014)