Reinhold Mitterlehner, derzeit noch Minister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, demnächst auch Chef der ÖVP und Vizekanzler, wollte "nicht kneifen" - und will jetzt die Volkspartei erneuern und ihr einen erweiterten Horizont verpassen.

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STANDARD: Als Michael Spindelegger seinen Rücktritt bekanntgegeben hat, wirkten Sie sehr entschlossen und haben sich gleich vor die Mannschaft gestellt. Wollten Sie schon länger ÖVP-Chef werden und haben die Gunst der Stunde genutzt, als es so weit war?

Mitterlehner: Absolut nicht. Ich war wirklich total überrascht und betroffen. Wir sind als Regierungsmitglieder dagesessen, total unvorbereitet, wie fast alle anderen auch, und dann war die Frage: Was tun wir jetzt? In einer Art Gruppendynamik haben beinahe alle gesagt: Du redest für uns, du bist schon am längsten dabei und du bist Obmannstellvertreter. Was bei mir zur Reaktion geführt hat: Ich werde jetzt nicht kneifen können. Es war klar, dass wir eine klare und zeitnahe Lösung brauchen und kein Vakuum. Die Bünde, die Länder haben sich koordiniert und nach einer Stunde habe ich die ersten Anrufe gehabt, und dann hat das seinen Lauf genommen.

STANDARD: Wie schnell war Ihnen klar, dass Sie das machen wollen?

Mitterlehner: Nach zwei Stunden war mir bewusst, dass ich das machen soll. Ich habe noch Aufgaben und will noch was.

STANDARD: Ist ÖVP-Chef nicht ein Himmelfahrtskommando - quasi eine Mission impossible?

Mitterlehner: Das ist für mich durchaus eine Mission possible, ich kenne die Partei und kann damit umgehen. Ich stelle mich dem Kommando. Das Bewusstsein, dass man auch scheitern kann, ist eine ganz gute Grundlage.

STANDARD: Im Gespräch war auch Außenminister Sebastian Kurz. Sind Sie der Übergangskandidat oder wollen Sie auch nächster Spitzenkandidat bei der Wahl sein?

Mitterlehner: Ich habe mich mit Sebastian Kurz koordiniert. Er hat mir signalisiert, er habe zum jetzigen Zeitpunkt kein Interesse, die Partei zu führen.

STANDARD: Wird es einen Kurswechsel in der ÖVP geben? Spindelegger gilt als konservativ, Sie gelten als liberal und aufgeschlossen. Und im STANDARD-2+1-Sommergespräch haben Sie gesagt, die ÖVP "sollte da und dort ein paar liberalere Positionen haben".

Mitterlehner: Wir müssen Fahrt aufnehmen und Wähler gewinnen. Parteien sollen Probleme der Bürger lösen. Wir müssen uns bei verschiedenen Positionen weiterentwickeln und den Horizont erweitern. Das geht nicht auf einen Schlag, nur Schritt für Schritt. Diese Öffnung der Partei will ich auch mit entsprechenden Personalentscheidungen signalisieren.

STANDARD: Aber einen Kurswechsel wird es geben?

Mitterlehner: Kurswechsel ist mir etwas zu dramatisch, es muss eine behutsame, substanzielle Weiterentwicklung geben. Anspruch und Wirklichkeit sollen sich dann in unserer Politik finden.

STANDARD: Bei welchen Themen wird es eine Veränderung geben?

Mitterlehner: Wir werden über die Bildungspolitik diskutieren, auch über die Familienpolitik und natürlich über die Steuerreform. Bei allen Positionen, wo es um Werte geht, werden wir uns weiterentwickeln.

STANDARD: Sie müssen auf viele Rücksicht nehmen: Länderchefs, Bünde, das alte Leiden der ÖVP-Chefs. Muss jetzt, nach Spindeleggers Abgang, wieder ein Niederösterreicher in die Regierung?

Mitterlehner: Nein, das habe ich schon im Parteivorstand gesagt. Ich kann nicht neun Landesorganisationen und sechs Teilorganisationen berücksichtigen, da müsste ich jede Position 15-mal vervielfachen. Also werden wir nach der Qualifikation gehen müssen.

STANDARD: Der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll gilt als einflussreichste Person in der Volkspartei. Wie werden Sie ihn zähmen oder bändigen?

Mitterlehner: Ich sehe da kein Problem, wenn es mir gelingt, die Kommunikation mit allen herzustellen und sie einzubinden. Ich habe mit Erwin Pröll schon mehrfach gesprochen, er hat mir Unterstützung signalisiert. Jeder Landesobmann, ob er als stark oder weniger stark gesehen wird, hat genug Spielraum im eigenen Bereich, aber er wird auch im bundespolitischen Bereich seine Themen darstellen können. Wichtig ist nur, dass er erkennt, dass das eine einzige Firma ist und es dieser mittelfristig nützen sollte.

STANDARD: Den Eindruck, dass die ÖVP eine Firma ist, hat man aber nicht. Gerade die Vertreter in den Ländern haben immer wieder heftige Kritik am Parteichef in Wien geübt.

Mitterlehner: Wir müssen die inhaltliche Ausrichtung so gestalten, dass mittelfristig eine klare Linie erkennbar ist. Jemand, der bei der Entwicklung dieser Linie dabei war und das mitbeschlossen hat, muss das dann auch mittragen. Das setzt Kommunikation voraus. Das setzt aber auch Disziplin von allen voraus.

STANDARD: Sie gelten in der Volkspartei als liberal, was an Ihnen ist denn liberal?

Mitterlehner: Ich weiß nicht, warum mir da eine Punze umgehängt werden soll, ich wäre liberal.

STANDARD: Das ist ja keine Beleidigung.

Mitterlehner: Nein, das ist keine Beleidigung, aber liberal wird immer als Gegensatz zu einer konservativen Volkspartei gebracht. Wichtig ist beides. Das sehe ich pragmatisch.

STANDARD: Das wichtigste politische Thema ist derzeit die Steuerreform. Bundeskanzler Werner Faymann beharrt auf einer Vermögenssteuer. Sie haben erklärt, Sie werden sich keinen Umfaller leisten, aber der SPÖ dennoch entgegenkommen. Wie weit?

Mitterlehner: Man muss das Thema Steuerreform prozessorientiert entwickeln. Daran wird intensiv gearbeitet. Was die Finanzierung und das Gesamtvolumen anbelangt, bleibt dann ein Schlussstein über. Den muss man gemeinsam definieren und schauen, wie man einen Kompromiss finden kann, wenn man das will. Sonst habe ich fünf Jahre das Thema Steuerreform auf dem Tisch und es geht nichts weiter. Das wollen wir beide nicht.

STANDARD: Die SPÖ hat aber einen großen Stein hingelegt, und auf dem steht Vermögenssteuer.

Mitterlehner: Aber ich kann nicht mit dem Schlussstein beginnen und sagen: Wir sind dafür, wir dagegen. Dann wird der Stein immer größer und unbeweglicher. Am Schluss muss man alle Betroffenen damit bemühen und schauen, ob wir einen Kompromiss erreichen können. Der Stein muss aber nicht genau dort liegen, wo er jetzt liegt. Es gibt schon ein paar Überlegungen meinerseits, wie man weiterkommen konnte.

STANDARD: Die SPÖ hat sich aber auf Vermögenssteuern versteift, da werden Sie sich nicht herumschwindeln können. Schließen Sie Vermögenssteuern aus oder nicht?

Mitterlehner: Je mehr Sie mich fragen, umso härter werde ich formulieren: Das ist unsere beschlossene Position. Keine Vermögenssteuer im engeren Sinn, keine Schenkungssteuer, keine Erbschaftssteuer. Was die Steuerfrage betrifft, muss man sich das aber auch im Gesamtgefüge anschauen: Wie ist die Konjunkturlage, wie ist die Budgetlage?

STANDARD: Kann es sein, dass die Koalition an der Frage Steuerreform scheitert und platzt?

Mitterlehner: Man kann an jeder Frage scheitern. Die Frage ist, ob man es darauf ankommen lassen will. Wir wollen uns bemühen.

STANDARD: Michael Spindelegger stand für den Sparkurs und hat jegliche neue Steuern kategorisch abgelehnt. Fahren Sie da einen offensiveren Kurs? Sind neue Steuern denkbar?

Mitterlehner: Das muss man auch im internationalen Kontext sehen, ob sich die Spielregeln anders entwickeln, was die Budgetsanierung betrifft. Das muss man abwarten.

STANDARD: Gab es schon ein Gespräch mit Bundeskanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann?

Mitterlehner: Ja, das Gespräch gab es.

STANDARD: Und, noch immer per Sie miteinander?

Mitterlehner: Jetzt sind wir per du. (Lisa Nimmervoll, Michael Völker, DER STANDARD, 30.8.2014)