Helga Rabl-Stadler erinnert sich: "Dann hat der etwas temperamentvollere Alexander Pereira auf den Tisch gehaut."

Foto: Lisi Specht

STANDARD: Ihr letzter gemeinsamer Interviewtermin. Sind Sie froh, einander loszuwerden?

(beide lachen)

Pereira: Was sollen wir jetzt sagen? Es ist ja nicht so, dass wir uns persönlich hassen. Wir hatten Differenzen sachlicher Natur, wo ich das Gefühl hatte, nicht verstanden zu werden, und Helga, ich sei größenwahnsinnig. Aus dieser Diskrepanz, die im Kuratorium fortgesetzt wurde, sind viele Konflikte entstanden. Aber wir haben im letzten Jahr sehr ruhig und positiv zusammengearbeitet. Und nun, wo es darangeht, eine Übergabe zu machen, habe ich mich, wie ich glaube, als sehr fairer und kooperativer Übergeber bewiesen. Deswegen gibt es hier keine bösen Konflikte.

Rabl-Stadler: Mir war dein Expansionsdrang zuweilen unheimlich. Ich war und bin immer noch der Überzeugung, dass ich bei manchen Sachen aus meiner finanziellen Verantwortung heraus entgegenhalten musste. Aber im Großen und Ganzen waren wir ziemlich vorbildlich in dieser für alle doch nicht leichten Zeit, mit einem scheidenden, einem kommenden und einem übernächsten Intendanten. Wir zeigen, dass erwachsene Menschen mit Sachproblemen gut umgehen können.

STANDARD: Anders gefragt: Bedauern Sie, das es ist, wie’s ist?

Pereira: Ich habe für die Subventionserhöhung gestritten und dafür meinen Posten riskiert. Wie ich prophezeit habe, kommt sie, wenn ich gehe. Mit dieser Subventionserhöhung und meiner ungebremsten Sponsorenenergie – jetzt ist sie ja gebremst, weil ich eine "lame duck" bin – hätten wir ausgeglichene Ergebnisse erzielen können. Die Sturheit der Republik Österreich, die Tariflohnerhöhungen 14 Jahre lang nicht auszugleichen, ist katastrophal. Wenn im ersten Jahr die Teuerung eine Million Euro beträgt, sind es im Jahr darauf bereits zwei, im nächsten Jahr drei: Innerhalb von drei Jahren fehlen den Festspielen also sechs Millionen Euro – das sind genau diese sechseinhalb Millionen, über die immer geredet wurde.

Rabl-Stadler: Da war ich immer deiner Meinung. Ich habe bereits 2002 im Kuratorium festgestellt, dass es ein strukturelles Defizit gibt. Mein steter Spruch war immer: Wir können nicht mit Subventionen in der Höhe von 1998 die Kosten von 2005, '06 oder '07 stemmen. Dann kam der etwas temperamentvollere Alexander Pereira und hat auf den Tisch gehaut: Wenn er so viel Sponsoring bringt, müssen die öffentlichen Subventionen steigen. Ich bin mit Sven-Eric Bechtolf und Markus Hinterhäuser zu allen Subventionsgebern gegangen, diesen Argumenten, die von uns allen getragen werden, konnte sich kein vernünftiger Politiker entziehen. Ich finde dein Beispiel so treffend, Alexander: Wir bekommen von der öffentlichen Hand einen Kredit, noch im selben Jahr zahlen wir um mehr als fünf Millionen Euro mehr zurück, als wir an Subventionen bekommen haben.

Pereira: Die Lösung kam über die Achse Haslauer-Spindelegger. Hätte der Finanzminister diese Argumentation nicht verstanden, hätte sich nichts geändert, der Herr Kulturminister hat ja immer wiederholt, es gebe nicht mehr Geld.

STANDARD: Dafür, dass die öffentlichen Subventionen am Gesamtbudget der Festspiele nur einen geringen Teil ausmachen: Reden die Politiker nicht überproportional viel mit?

Pereira: Das stimmt. Ich denke, man müsste das ganze Festspielkonstrukt ändern. Das Kuratorium könnte eine Institution sein, die nur ein- oder zweimal zusammentritt. Und man könnte dafür, wie es auch im Gesetz steht, eine Art Beirat machen, den man mit Vertretern aus Staat, Wirtschaft und Privaten besetzt, die quasi Vorentscheidungen treffen.

Rabl-Stadler: Das wäre eine Möglichkeit, aber ich warne immer davor, das Festspielgesetz anzutasten. Denn da ist immerhin festgeschrieben, dass Stadt, Land, Bund und Tourismusförderungsfonds das Defizit der Festspiele ausgleichen müssen. Ich fürchte, dass sich die Subventionsgeber, wenn man das Gesetz aufschnürt, bei der herrschenden Festivalitis in diesem Land, abputzen und sich nicht mehr verantwortlich fühlen. Und ich weiß nicht, ob nicht gerade ein Einzelkämpfer wie du mit einem Beirat in Konflikt geraten würde, sobald der auch künstlerisch mitreden will.

Pereira: Es ginge ja nicht darum, dass der Beirat künstlerische Ratschläge erteilt. Die künstlerische Verantwortung liegt beim Intendanten. Ein Beirat könnte im Konfliktfall ein Puffer sein zwischen Festivalleitung und Politik.

Rabl-Stadler: Aber der größte Konfliktfall war immer die Unterdotierung. Das Kuratorium müsste sich nur im Klaren sein, dass wir das größte produzierende Festival sind. Natürlich hat sich der Streit ums Geld auf uns alle ausgewirkt; und mir wäre lieber gewesen, wir hätten die 2,5 Mio. Euro schon heuer bekommen.

Pereira: Wenn man froh ist übers Festspielgesetz, dann wird dabei immer vergessen, dass das Gesetz die Subventionsgeber dazu zwingt, den Abgang zu decken. Aber durch das Einstimmigkeitsprinzip kann das ein einziges Kuratoriumsmitglied blockieren. Also: Einer hustet, und alle haben Lungenentzündung. Aber man muss sich auch einmal fragen, warum der Gesetzgeber diese Deckungsgarantie gegeben hat. Doch nicht nur für den absoluten Katastrophenfall, sondern um in gewisser Regelmäßigkeit sicherzustellen, dass die Festspiele ausreichend subventioniert werden – und um genau das zu verhindern, was tatsächlich passiert ist: dass man 14 Jahre die Tariflohnerhöhung nicht abgilt. Aber nur, wenn die Deckungsgarantie auch wahrgenommen wird, hat die Verteidigung des Festspielgesetzes einen Sinn. Wenn man es nur als Blockadeinstrument nutzt, wird der Geist und die Seele des Festspielgesetzes nicht erfüllt.

Rabl-Stadler: Stimmt. Der Sinn des Festspielgesetzes war, den Festspielen Planungssicherheit zu geben. Niemand hat damals gedacht, dass wir 79 Prozent Eigenwirtschaftlichkeit haben, das ist ja extraterrestrisch. Ich hoffe also, dass diese 2,5 Mio. nicht als Notfallsaktion gesehen werden; denn dann wären sie durch zwei Tariflohnerhöhungen 2015/16 schon wieder aufgebraucht. Ärgerlich ist auch, dass uns etwa von Ex-Staatsoperndirektor Ioan Holender immer vorgeworfen wird, wir würden nur übers Geld reden. Ja, leider, müssen wir. Sonst könnten wir uns die Kunst nicht leisten. Die Umwegrentabilität für die Tourismuswirtschaft, aber auch für andere Kulturinstitutionen ist groß. Den Motor der Festspiele nicht zum Stottern zu bringen ist im Interesse aller.

STANDARD: Trotzdem werden Sie nächstes Jahr auch sparen, nur mehr 173 Veranstaltungen anstatt so wie unter Pereira über 200, 11.000 Karten weniger ...

Rabl-Stadler: ... aber der Hauptteil der Einsparungen beruht auf Wiederaufnahmen.

STANDARD: Kränkt Sie, dass diese Einmaligkeit, die Sie propagiert haben, wieder abgeschafft wird?

Pereira: Mein Herz hängt nicht so dran, aber Tatsache ist: Helga und Sven profitieren von der Einmaligkeit der letzten Jahre, sie können Produktionen wiederaufnehmen. Aber wenn man nur mehr zwei oder drei neue Produktionen macht, und davon ist eine zeitgenössisch, wird es problematisch. Sechs neue Produktionen jährlich: Das ist mein Verständnis von Festspielen. Mit dem finanziellen Ergebnis hat das nur wenig zu tun, weil ich mir ja bei jeder Produktion überlege, wie ich sie am besten und mit wessen Hilfe realisieren kann. Ich glaube, dass das Prinzip der Einmaligkeit einen Hype erzeugt hat, sodass vorm Festspielhaus hundert Leute stehen und eine Karte wollen. Die Einmaligkeit bedeutet, dass die Leute wissen: Wenn sie nicht jedes Jahr nach Salzburg kommen, versäumen sie etwas.

STANDARD: Was ist Ihre Vision von Festspielen, Frau Präsidentin?

Rabl-Stadler: Festspiele müssen sich jedes Jahr neu erfinden, sie müssen einzigartige Konstellationen schaffen, damit das Publikum in kurzer Zeit viel sehen kann. Das ist in den letzten Jahren gut gelungen, und ich hoffe, dass Sven und ich mit unserem Programm, bei dem wir sehr viel Schönes von Alexander Pereira geerbt haben, beweisen können, dass es keine Interimsfestspiele sind, sondern dass es sich lohnt, nach Salzburg zu kommen.

STANDARD: Was konkret Sie geplant haben, werden Sie jetzt vermutlich nicht sagen?

Rabl-Stadler: Nein, das werden Bechtolf und ich bei einer Programmpressekonferenz im November präsentieren.

STANDARD: Wie wird das Leitungstandem der Festspiele sein: Herzdame sticht Pikbube? Oder doch der Karokönig die Kreuzdame?

Rabl-Stadler: Das Festspielgesetz sagt, dass das Direktorium die Entscheidungen künstlerischer und ökonomischer Art gemeinsam zu treffen hat. Ich versuchte bisher, nie mitzureden, wer die Donna Anna singt. Aber der künstlerisch Vorschlagende und ich haben gemeinsam ein Programm und ein Budget vorgelegt. An dieser Gesamtverantwortung ändert sich nichts, nur die Optik ist sicher eine andere, weil Bechtolf und ich sehr bewusst gemeinsam auftreten. Aber ich werde sicher in vielen künstlerischen Fragen genau das machen, was Sven vorschlägt.

STANDARD: Sie haben als Präsidentin viele Intendanten überlebt. Warum ist die Intendantenfluktuation nach Mortier so hoch?

Rabl-Stadler: Alexander, du hattest ja vor, länger zu bleiben. Aber ich glaube, du hast das Kuratorium überfordert, als du schon nach der ersten Saison fordertest, es solle sich entscheiden, ob es den Vertrag mit dir verlängern wolle oder nicht, weil du sonst im Falle des Falles das Angebot Mailands annehmen würdest. Du hast das fair und offen gespielt, ich stand in der Mitte. Ich verstand die Überforderung des Kuratoriums, aber auch dich, der eine Entscheidung wollte.

Pereira: Dass Bechtolf sich stärker an Rabl-Stadler anlehnt als ich, liegt auch daran, dass Sven nie ein Theater geleitet hat, ich aber eine dreißigjährige Erfahrung hierher mitgebracht habe. In Zürich hatte ich die Gesamtverantwortung für Kunst und Geld, ich bin jemand, der beides immer zusammendenkt, während andere Intendanten sich aufs Künstlerische konzentrieren. Ich weiß, was ich finanzieren kann und was nicht. Mein Fehler in Salzburg war, dass ich vor Vertragsunterzeichnung nicht auf die finanzielle Problematik der Festspiele hingewiesen habe. Sven und Helga waren da klüger, sie haben, ehe sie unterschrieben, darauf bestanden, das es zu einer Subventionserhöhung kommt. Allerdings habe ich die Argumentation vorgelegt, die dann übernommen wurde.

STANDARD: Herr Pereira, Sie haben einmal gesagt, man müsse alles riskieren – um alles zu gewinnen oder alles zu verlieren. Wie schaut diesbezüglich Ihre Bilanz für Salzburg aus?

Pereira: Ich habe sehr viel riskiert und nach Jahren der Stagnation und des Zurücksparens wegen der jedes Jahr fehlenden Budgets bewiesen, dass man finanzielle Probleme auch in Glanz und Glorie lösen kann. Wären die zwei Millionen schon früher gekommen, hätte das Kuratorium mitgezogen, dann hätten wir im ersten Jahr 2,6 Millionen und im zweiten Jahr 2,9 Millionen Gewinn gemacht. Unsicherheitsfaktoren der Festspiele waren nicht die Sponsoren, die sind unglaublich treu. Und wenn einer ausfällt, kann ich auf der ganzen Welt nach einem Ersatz suchen und den Ausfall auffangen. Eingebrochen sind die Subventionsgeber. Und da gibt es nur vier. Wo soll ich da Ersatz finden, wenn die ausfallen?

Rabl-Stadler: Ich bin nicht so risikofreudig wie Alexander, wenngleich eines meiner Lieblingszitate lautet: "Risiko ist die Bugwelle des Erfolgs." Völlig klar ist, dass der Anteil öffentlicher Gelder am Festspielbudget zu gering ist. Dank Pereiras und meiner sehr erfolgreichen Sponsorensuche konnten wir immer wieder überdecken, dass uns öffentliches Geld fehlt. Es ist mir glücklicherweise gelungen, alle Hauptsponsoren zu verlängern oder zumindest in positiven Gesprächen zu bleiben.

STANDARD: Außer Montblanc, dessen Ausstieg gleichbedeutend mit dem Ende des Young Directors Project ist.

Rabl-Stadler: Montblanc hat 13 Jahre zu uns gehalten, nun will ein neuer CEO eben etwas anderes machen. Gerade dass man diesen Sponsor nicht steinigt, statt dass man Danke sagt. Einen anderen Sponsor konnten wir für YDP nicht gewinnen, weil es durch Montblanc derart gebrandet ist.

STANDARD: Was war in dieser Saison Ihre Lieblingsproduktion?

Rabl-Stadler: Der "Rosenkavalier" in der Inszenierung von Harry Kupfer!

Pereira: Alle Opern sind meine Lieblingskinder. Aber ich würde sagen: die "Ouverture spirituelle". Wie es gelungen ist, den Islam in diesem Jahr einzubinden in einer nicht gerade von Toleranz geprägten Zeit, war für mich das wichtigste Signal der Festspiele. Auch dass ich die Kinderoper installiert habe, war, halte ich für wichtig, über 8.000 Kinder und deren Eltern haben sie besucht. Es war auch ein Angebot an Eltern, Festspiele mit Familienurlaub zu verbinden. Wobei ich diese Saison wirklich genießen konnte. Normalerweise denkt man ja als Intendant immer schon nach vorn. Das trifft für mich in Bezug auf Salzburg nicht mehr zu. Ich erlebe das, was ich geplant habe – und kann mich dem uneingeschränkt widmen.

STANDARD: "Ouverture spirituelle" und Kinderoper werden bleiben, der von Ihnen eingeführte Abschlussball findet heuer zum letzten Mal statt.

Rabl-Stadler: Ich bin kein Fan der Ball-Idee, habe sie aber mitgetragen. Dieser letzte Ball wird allerdings besonders schön, Cecilia Bartoli singt als Abschiedsgeschenk für "ihren" Intendanten.

Pereira: Der Ball hat im ersten Jahr 337.000 und im zweiten Jahr 141.000 Euro Gewinn gemacht.

STANDARD: Was wird Ihr erstes Signal an der Mailänder Scala?

Pereira: Ich setzte es fort, Selbstmörder zu sein. Wenn man in seiner ersten Saison in Mailand "Aida" (Premiere: 15. Februar, Anm.) ansetzt, ist man vermutlich nicht ganz richtig im Kopf. Peter Stein inszeniert; Lorin Maazel hätte dirigieren sollen. Nach seinem überraschenden Tod hat mir glücklicherweise Zubin Mehta sofort zugesagt.

STANDARD: Während der Expo wird die Scala auch während des Sommers bespielt: eine Konkurrenz für Salzburg?

Pereira: Es wird ein großes Orchesterfest geben, 25 der bedeutendsten Orchester – Wiener und Berliner Philharmoniker, London, Cleveland – werden auftreten. Und es gibt fünf Opernproduktionen: "Turandot" mit Riccardo Chailly am Dirigentenpult; eine Uraufführung von Giorgio Battistelli: Sein Stück "CO2" widmet sich den Expo-Themen Ernährung und Umwelt. Dann gibt es, erstmals seit 1870, "Othello" von Rossini, inszeniert von Jürgen Flimm, John Elliot Gardiner wird dirigieren, Bühnenbild macht Anselm Kiefer. Tschaikowskys "Dornröschen", dirigiert von Vladimir Fedosejev, Alexei Ratmansky macht die Choreografie. Und schließlich übersiedelt György Kurtágs "Fin de Partie" von Salzburg nach Mailand. Konkurrenz zu Salzburg: Nein. 20 Millionen Besucher werden in Mailand erwartet, das sind sicher nicht Leute, die klassischerweise die Salzburger Festspiele besuchen. (Andrea Schurian, DER STANDARD, Langfassung, 30./31.8.2014)