Desksharing wird immer beliebter. Eine Marketingagentur in New York City zeigt, was man Mitarbeitern bieten muss, wenn sie lediglich einen geteilten Arbeitsplatz bekommen

Nachbarschaft ist ein flexibler, ein dehnbarer Begriff im Desksharing-Office. Denn im Gegensatz zum klassischen Büro hat man keinen fixen Arbeitsplatz, sondern schlägt dort seine temporären Zelte auf, wo gerade Platz ist. Besonders verbreitet ist die Schreibtischgemeinschaft in der Telekombranche und bei IT-Unternehmen, also überall dort, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter es gewohnt sind, viel unterwegs zu sein und bei Bedarf mobil zu arbeiten.


Foto: Michael Hierner

Eine der wohl radikalsten Raumlösungen für das nonterritoriale Arbeiten - ein Begriff, der bis vor wenigen Jahren für die Kultur des Schreibtischteilens verwendet wurde - realisierte der kalifornische Architekt Clive Wilkinson für die New Yorker Marketing-Agentur Barbarian Group.

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An dem von ihm geplanten 335 Meter langen Schreibtisch, der sich mehrfach durch das Büro schlängelt, um die Kurve geht und mehrere Brücken schlägt, finden bis zu 150 Mitarbeiter Platz.

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Zugewiesene Arbeitsplätze gibt es nicht. Die meisten Mitarbeiter haben Laptops oder tragbare iMacs und setzen sich je nach Auftrag und Arbeitspensum dorthin, wo sie ihre Laune hintreibt. Wer Lust hat, kann dabei auch im Stehen arbeiten. An mehreren Stellen im Raum variiert die Tischhöhe, macht einen mal flacheren, mal steileren Buckel zu einem Stehpult.

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Montiert wurde der vielleicht längste Schreibtisch der Welt aus insgesamt 870 unterschiedlichen Sperrholzelementen, die von einem computergesteuerten Laser-Roboter in 400 Stunden zugeschnitten wurden. Die Größe der einzelnen Platten ist kein Zufall, sondern war transporttechnisch bedingt. Das Limit in Länge und Breite orientiert sich an den Dimensionen des Bürolifts.

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Nach dem Aufbau wurde die Oberfläche mit einer speziellen Kunstharzmischung beschichtet. Das Material wird üblicherweise für die Fertigung von Surfboards verwendet und ist extrem belastbar.

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"In einem Desksharing-Office nimmt man den Leuten etwas Substanzielles weg, nämlich Privatsphäre und den Anspruch auf ein eigenes Revier", erklärt Sibylla Amstutz von der Hochschule Luzern. Sie ist Leiterin des Bereichs Human Building im Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur (CCTP). "Aus diesem Grund ist es wichtig, diesen Verlust mit anderen, vielleicht räumlichen und funktionalen Qualitäten wieder aufzuwiegen und zu kompensieren."

Desksharing sei kein Patentrezept für jede Tätigkeit und schon gar nicht für jedes Unternehmen, so Amstutz. "Es ist wichtig, dass die jeweilige zu verrichtende Tätigkeit mit wenig Papier und wenig Arbeitsutensilien verbunden ist und auf diese Weise Desksharing gestattet. Doch das wichtigste Kriterium ist, dass das Desksharing Identität vermittelt und zur Unternehmenskultur passt."

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Beim Einführen von Desksharing müsse man darauf achten, "dass es eine gewisse Auswahl an räumlichen Qualitäten sowie an informellen Besprechungsinseln gibt", erklärt Bernhard Kern, Geschäftsführer der Roomware Consulting GmbH. "Lieber von allem ein bisschen zu viel als zu wenig, schließlich muss man den Angestellten wieder so etwas wie ein gefühltes emotionales Zuhause auf Zeit bieten - mit ausreichend Stauraum für Arbeitsutensilien und persönliche Gegenstände."

Wer glaubt, mit Desksharing Nutzfläche einsparen zu können, irrt gewaltig. Jenen Unternehmen, die ihren Mitarbeitern zu wenig Auswahl - also zu wenig Arbeitsplätze und zu wenige Regenerations- und Rückzugsbereiche - bieten, fällt der vermeintliche Rotstift früher oder später in Form von Konzentrationsschwäche, sinkendem Output und zunehmenden Krankenstandstagen auf den Kopf. Zahlreiche internationale Studien belegen das.

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"Die größte Gefahr des Desksharings sehe ich darin, dass sich der Arbeitgeber damit in erster Linie erhofft, wertvolle Nutzfläche und somit Betriebskosten einzusparen", bestätigt Bernhard Herzog, Leiter von Forschung und Entwicklung bei M.O.O.CON. "In diesem Fall rate ich von Desksharing vehement ab, denn der eigentliche Impetus sollte ein anderer sein, nämlich die Nutzung von Synergieeffekten sowie der Wunsch nach einer gewissen Optimierung der Arbeitsabläufe." Derzeit arbeitet M.O.O.CON an einer Desksharing-Variante für Adidas in Herzogenaurach, sowie für das Axel-Springer-Hochhaus in Berlin.

(Im Bild: Plastikpferde als Beleuchtungskörper und ein Hinweis auf das Wifi-Passwort)

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Ob die so vielfältig ausfallen wird wie das New Yorker Büro der Barbarian Group, die all ihre Angestellten an einen Tisch gebracht und die Besprechungszimmer nach verschiedenen David-Bowie-Alben - Space Oddity, Earthling, Heroes - getauft hat, wird sich weisen.

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Ein Highlight jedenfalls ist der in den Schreibtisch integrierte Diskussionskreis, der für kurze, informelle Besprechungen und abendliche Büropartys verwendet wird.

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"Ich glaube, jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter hat einen eigenen Lieblingsort im Büro", sagt Pressesprecherin Daphne Lin. "Meiner zum Beispiel befindet sich unter dem Brückenbogen am grünen Sofa."

Neben den relativ geringen Material- und Errichtungskosten von knapp 300.000 US-Dollar (rund 225.000 Euro) ist auch der ökologische Aspekt der fast komplett recyclebaren Büroeinrichtung beeindruckend. Bei den New York Design Awards, die heuer im Mai über die Bühne gingen, zählte Clive Wilkinsons Schreibtischschlange bis zuletzt zu den Favoriten. (Wojciech Czaja, Michael Hierner, DER STANDARD, 30.8.2014)

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