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Präsident Xi Jinping und seine Staatsempfänge sind Dauerthema in chinesischen Nachrichtensendungen.

Foto: REUTERS/Jason Lee

Peking - Politische Witze über Willkürjustiz, die vormals in der Sowjetunion kursierten, tauchen nun in chinesischer Variante auch in der Volksrepublik auf. Der jüngste geht so: "Beim Hofgang im Pekinger Prominentengefängnis Qincheng kommen drei Sträflinge ins Gespräch. Auf die Frage 'Warum bist du hier?' antwortet der Erste: 'Ich war ein Gegner von Zhou Yongkang.' Sagt der Zweite: 'Ich bin hier, weil ich ihn unterstützt habe.' Der Dritte lacht nur bitter: 'Ich bin Zhou Yongkang.'"

Nach der offiziellen Bekanntmachung Ende Juli, dass Zhou, einst Chef der Staatssicherheit und Mitglied der höchsten inneren Führung Chinas, wegen Korruption und Amtsmissbrauchs angeklagt wird, spotteten Blogger über sein Schicksal. Viele lobten online dagegen den Parteichef Xi Jinping. Er löse sein gegebenes Wort ein, bei der Bekämpfung der überall verbreiteten Korruption auch vor mächtigen politischen Tigern nicht haltzumachen.

Viel Beifall gab es auf seiner Mikroblog-Fanseite, auf der sich 2,6 Millionen sogenannte Fans registriert haben: "Xi Dada (Onkel Xi) ist supergut." Solcher Zuspruch verfestigt den entstehenden Personenkult. Dieser trägt aufgrund der Internet-Ära und der weltweiten Reisefreiheit nur äußerliche Gemeinsamkeiten mit der einst pseudoreligiösen Anhimmelung des Machthabers Mao Tse-tung in einem abgeschlossenen Land. Eine neue Studie des Medienforschers Qian Gang und Studenten von der Universität Hongkong kommt zum Schluss, dass Xi seinen langen Marsch zum Tonangeber seines Landes durch forcierte Medienpräsenz bewerkstelligen lässt. Untersucht wurde, wie oft alle Parteiführer auf der Titelseite oder im ersten Buch des wichtigsten Parteiorgans "Renmin Ribao" (Volkszeitung) erwähnt wurden. Mit 1311 Namensnennungen ist Xi in den ersten 18 Monaten seit seinem Machtantritt auf der Titelseite heute fast so präsent, wie es einst Mao war (1411).

Ämteranhäufung Xis

Andere Beobachtungen ergänzen das Bild eines buchstäblich auf allen Kanälen präsenten Führers. In den halbstündigen 19-Uhr-Nachrichtensendungen des TV-Senders CCTV bestimmen Xis Reden, seine Auslandsreisen oder Inspektionstouren oft die erste Hälfte des Programms. An besonderen Tagen muss es über die halbe Stunde hinaus verlängert werden. In Parteibuchläden liegen derzeit mehr als 50 Bände und Materialien von oder über Xi aus.

Xi hat seiner Omnipräsenz in den Medien durch Ämterhäufung nachgeholfen. Seit seiner Parteitagswahl zum Partei- und Armeechef im November 2012 und seiner Volkskongress-Wahl zum Staatspräsidenten und staatlich bestätigten Oberbefehlshaber der Truppen im März 2013 hat er sich fünf weitere Spitzenpositionen verschafft. Pekings Jugendzeitung zeigte in einer Karikatur im Juni einen lächelnden Xi vor der Machtfülle seiner neun Ämter, die er in Personalunion vertritt. Formal ist er nun mächtiger, als es früher Mao oder Deng Xiaoping waren. Die herrschten aber mit so viel Autorität, dass sie zusätzliche Ämter gar nicht brauchten. Mao war "Chinas Vorsitzender" auf Lebenszeit. Deng, der Ende 1989 demonstrativ selbst in Pension ging, bestimmte bis zu seinem Tod Chinas Geschicke.

Keine offenen Debatte

Alle KP-Führer nach Deng spielten die Rolle des "Ersten unter den Gleichen". Nur Xi scheint die Machtfülle zu haben, um zum autoritären Alleinherrscher zu werden. Die kritische Öffentlichkeit ist gespalten, ob sie die Machtkonzentration als Chance oder als Gefahr ansehen soll, dass aus China ein Polizeistaat nach innen und eine aggressive Macht nach außen wird. Eine offene Debatte wird nicht geführt.

Bekannte Wirtschaftsreformer hoffen stattdessen, dass Xi seine Macht nutzt, um "von oben" Marktreformen gegen verkrustete Strukturen durchzusetzen. Sie glauben, dass die Korruption mit harter Hand ausgeräumt werden muss, bevor sich der Boden für rechtsstaatliche Verhältnisse bereiten lässt. Machtkonzentration "ist vielleicht notwendig, um den Widerstand mächtiger reformfeindlicher Interessengruppen brechen zu können", meint etwa der Sozialforscher Hu Xingdou.

Erinnert wird dabei auch an Taiwan, wo der Sohn von Tschiang Kai-shek und Nachfolgepräsident Chiang Ching-kuo die Diktatur seines Vaters selbst mit diktatorischen Mitteln ablösen musste, bevor er der Demokratie den Weg bereitete. Optimisten glauben, dass sich das Volk angesichts so vieler Ungerechtigkeiten einen "starken Mann und Helden" wünsche. Das sei die soziale Basis für den neuen Personenkult. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 29.8.2014)