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Al-Tabqa bei Raqqa: Der "Islamische Staat" eroberte die Luftwaffenbasis am 24. August, dutzende syrische Soldaten wurden umgebracht.

Foto: AP/Raqqa Media Center of the Islamic State group

Damaskus/Wien - Die allgemeine Wahrnehmung ist, dass einer der Profiteure der Krise um den "Islamischen Staat" (IS) in Damaskus sitzt: Bashar al-Assad, der sich im Juni bei international nicht anerkannten Wahlen als syrischer Präsident bestätigen ließ, spuckt große Töne beziehungsweise lässt seinen Außenminister Walid al-Muallem solche spucken: Das syrische Regime sei zur Zusammenarbeit mit den USA gegen die Jihadisten bereit, sagte dieser in einem Interview, aber Angriffe gegen die IS auf syrischem Territorium hätten nur in Absprache mit Damaskus stattzufinden.

Tatsächlich ist die Richtung, in die die Analysen der letzten Woche laufen - seit US-Generalstabschef Martin Dempsey anklingen ließ, man könne die IS nicht besiegen, ohne sie auch in Syrien anzugreifen -, geeignet, sie dem erratischen Assad zu Kopf steigen zu lassen. Er sitzt jedoch einem Irrtum auf, wenn er glaubt, dass ihn seine internationalen Gegner nun als Bollwerk gegen die radikalen Islamisten akzeptieren. Er wird weiter - wie Frankreichs Staatspräsident François Hollande in einer Reaktion auf Muallem sagte - dafür verantwortlich gemacht, dass es überhaupt so weit gekommen ist und Syrien zum jihadistischen Schlachtfeld wurde. Wobei der Westen sich aber doch einig ist, dass im Moment von der IS die größere Gefahr ausgeht als von Assad.

Die militärische Realität in Syrien sieht aber noch einmal anders aus, als es Assad glauben machen will. Nach einer langen Konsolidierungsphase - in der sich das Regime nicht so sehr um die Peripherie kümmerte, in der sich die Kurden und die islamistischen Gruppen (und diese einander) bekämpften, sondern sich auf seine Kerngebiete konzentrierte - brennt es nun wieder an allen Ecken und Enden. Die Nusra-Front, die am Donnerstag auf dem Golan Uno-Blauhelme festnahm, erzielt Erfolge und kontrolliert Qunaitra: unangenehm nicht zuletzt für Israel. In den Drusengebieten - die Drusen versuchten bisher, sich aus dem Konflikt herauszuhalten - gibt es Unruhe. Für das Regime am bedrohlichsten sind jedoch die jüngsten substanziellen Erfolge des "Islamischen Staats" bei Raqqa im Osten.

Die Stadt kontrollierte die IS schon länger, in den vergangenen Tagen gelang es ihr jedoch, die syrische Armee aus dem Gebiet herauszuwerfen. Systematisch - und professionell, wie militärische Beobachter anmerken - griff die IS ab Ende Juli die verbliebenen drei isoliert liegenden Stützpunkte des Regimes an und eroberte sie hintereinander. Am 24. August fiel die Luftwaffenbasis Al-Tabqa in die Hände der IS. Nun wird ihr Vormarsch auf die Stadt Deir al-Zor befürchtet,

In Tabqa erlitt das Regime aber nicht nur eine empfindliche militärische Niederlage, sondern auch einen substanziellen Vertrauensverlust bei der eigenen Klientel - die die großen Töne aus Damaskus dementsprechend höhnisch kommentiert. In Tabqa wurden nämlich 135 Soldaten einfach ihrem Schicksal überlassen - sie wurden von der IS niedergemetzelt, Aufnahmen kursieren im Internet. Auch in Armeekreisen regt sich Unmut, berichten Insider, zumal offenbar in Aussicht gestellte Konsequenzen wie die Ablöse des Verteidigungsministers nicht stattfanden. Die Alawiten, die das Rückgrat von Assads Sicherheitsapparat bilden, fühlen sich besonders verwundbar: Die Angst vor dem "Islamischen Staat" wächst auch in ihren Stammgebieten.

"Kreation Assads"

Die vom Westen anerkannte syrische Opposition hat den "Islamischen Staat" immer als "Kreation" des Assad-Regimes bezeichnet. Diese Behauptung hat ihre Wurzeln in der Tatsache, dass das Regime während der ersten Zeit des Aufstands in Syrien radikale Islamisten aus den Gefängnissen entließ - viele von ihnen landeten bei Gruppen wie Nusra und IS. Bei seiner Konsolidierungskampagne 2013 konzentrierte sich das Regime auf andere Gebiete - und sah mit Befriedigung, wie die Radikalen Siege gegen die anderen Rebellengruppen errangen. Zudem kooperierte das Regime punktuell mit Nusra und IS beim Verkauf von Öl aus den "befreiten" Gebieten. Nun aber scheint der Moment der Wahrheit gekommen zu sein: Wenn das Regime glaubte, mit der IS koexistieren zu können, dann wird es eines Besseren belehrt.

Für die USA und Präsident Barack Obama - der vor genau einem Jahr nach einem Giftgaseinsatz erwartete Militärschläge gegen das syrische Regime absagte - ist es ein großes Dilemma. Angriffe auf die IS kämen auch Assad zugute, ob man das will oder nicht. Allein die Überlegungen über ein solches Eingreifen stellen einen klaren Paradigmenwechsel der USA im Syrien-Konflikt dar, in dessen Sumpf sich Obama nicht begeben wollte. Aber auch für Assads Anhänger ist diese Möglichkeit gar nicht leicht zu schlucken - wurde ihnen doch drei Jahre lang gesagt, sie kämpften gegen eine westliche Verschwörung. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 29.8.2014)