Mark Pennington: "Härtere Einschnitte würden zwar die Konjunktur belasten, aber danach rasch zu einem Aufschwung führen."

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STANDARD: Sie haben Zweifel daran geäußert, dass Deregulierungen in der Finanzbranche die Krise mitverursacht haben. Wie begründen Sie diese Haltung?

Pennington: Es gibt eine vorherrschende Meinung, wonach die Finanzkrise unter anderem durch laxe Aufsicht ausgelöst wurde und wir daher die Regulierung verschärfen müssen. Ich habe Zweifel an dieser Einschätzung. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus Großbritannien. 1974 kamen auf einen Aufseher 11.000 Beschäftigte in der Finanzbranche. 2008 waren es 300. Ähnliches kann man anhand der Daten zeigen, die Banken an die Aufseher übermitteln müssen. Die These, dass Deregulierung die Finanzkrise verursacht hätte, ist in meinen Augen absurd. Die Harmonisierung der Regulierung hat vielmehr zu einer einheitlichen Handlungsweise, zu einem Herdentrieb geführt. Dadurch wurde das systemische Risiko erhöht und die Finanzkrise ausgelöst.

STANDARD: Welche Schlüsse sollte die Politik daraus ziehen?

Pennington: Ich plädiere für eine fragmentierte Regulierung, für einen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Aufsichten. Fehlentscheidungen einer Behörde führen dann nicht automatisch zu Systemkrisen. Bei einer Zentralisierung der Regulierung wie etwa im Rahmen der Europäischen Bankenunion sind Systemkrisen garantiert, wenn falsche Schritte gesetzt werden.

STANDARD: Würde das nicht dazu führen, dass Finanzinstitute Geschäfte dorthin verlagern, wo die Regeln am lockersten sind?

Pennington: Ich denke nicht, da Investoren auf hohe Sicherheit bedacht sind. Es gibt also einen Anreiz für funktionierende Regeln. Noch wichtiger wäre freilich, Banken pleitegehen zu lassen, wenn sie nicht aus eigener Kraft überleben können. Der drohende Verlust des Kapitals wäre für den Eigentümer das stärkste Motiv, nicht zu hohe Risiken einzugehen.

STANDARD: In diese Richtung gibt es seit dem Kollaps von Lehman Brothers zwar einige Schritte, die Frage ist aber, ob die Umsetzung funktionieren wird. Befürchten Sie nicht, dass große Banken erst wieder vom Steuerzahler gerettet werden müssen, um einen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern?

Pennington: Lehman Brothers kollabierte zwar, aber weitere Bankenpleiten wurden mit staatlichen Hilfen vermieden. Man könnte argumentieren, dass es ohne Intervention zu einem viel stärkeren Abschwung kommt, dieser aber deutlich kürzer ausfällt.

STANDARD: Die EU ist im zweiten Quartal nicht mehr gewachsen. Was sind die Ursachen der neuerlichen Stagnation?

Pennington: Die Abschwächung der Wirtschaft in Europa wird von vielen auf die harte Sparpolitik zurückgeführt. Wenn man sich die Zahlen genau ansieht, erkennt man aber, dass kein einziges europäisches Land die Staatsausgaben seit Ausbruch der Krise reduziert hat. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung gilt das sogar für Griechenland.

STANDARD: Das liegt aber überwiegend daran, dass die Wirtschaft schrumpft und somit die Ausgabenquote steigt. Weitere Einsparungen würden die Wirtschaft treffen.

Pennington: Härtere Einschnitte würden zwar die Konjunktur belasten, aber danach rasch zu einem Aufschwung führen. Es wurde nicht genug unternommen, um die öffentlichen Ausgaben in den Griff zu bekommen. Das liegt vor allem daran, dass der Staat viele im Abschwung ergriffene Maßnahmen nicht zurücknimmt, wenn die Konjunktur wieder anspringt. Dazu kommen die starren Arbeitsmärkte in Europa, die dafür mitverantwortlich sind, dass die Erholung beispielsweise in Europa langsamer voranschreitet als in den USA. Das gilt auch für Großbritannien, das einen relativ liberalen Arbeitsmarkt hat. Die Arbeitslosigkeit sinkt deutlich. Das hängt auch mit der Lohnzurückhaltung zusammen, die eine Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum ist. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 28.8.2014)