Wenn man die Kommentare mancher ÖVP-Politiker und Beobachter am Dienstagabend verfolgt hat, konnte man den Eindruck gewinnen, Reinhold Mitterlehners herausragende Eigenschaft sei es, dass er Oberösterreicher ist. Das ist absurd. Aber dass der neue VP-Obmann aus dem Wirtschaftsbund und nicht wie sein Vorgänger Michael Spindelegger aus dem ÖAAB kommt, ist sehr wohl ein bedeutendes Signal.

Spindeleggers Scheitern hat viel mit seiner bündischen Herkunft zu tun gehabt. Die ÖVP muss sich als bessere Wirtschaftspartei präsentieren, die mehr Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen kann, wenn sie sich bei den Wählern gegen ihre politische Konkurrenz durchsetzen will.

Aber der ÖAABler Spindelegger hatte sich schon im Wahlkampf schwergetan, wirtschaftliche Glaubwürdigkeit und Kompetenz auszustrahlen, noch mehr als Finanzminister. Das versuchte er mit budgetärer Spardogmatik im Stile Wolfgang Schäubles zu kompensieren, was ihn als stur und unbeweglich erscheinen ließ. Erst bei seinem Abschied wirkte seine Prinzipientreue menschlich anständig.

Zugeständnisse bei Vermögenssteuern

Ein Wirtschaftsbündler hat es da leichter als Vertreter des Arbeitnehmerflügels, die zwar die meisten Parteimitglieder, aber keine klare Richtung repräsentieren. Mitterlehner kann bei Vermögenssteuern kleine Zugeständnisse machen, ohne als Klassenkämpfer abgestempelt zu werden, und höhere Budgetdefizite tolerieren, ohne als Verschwender zu wirken.

Schwieriger schon ist es, nicht allzu kalt und desinteressiert am Schicksal kleiner Leute zu erscheinen. Das wurde dem letzten Parteichef aus dem Wirtschaftsflügel, Wolfgang Schüssel, bei der Wahl 2006 zum Verhängnis.

Aber Schüssel hat auch aufgezeigt, dass ein Wirtschaftsbündler die heterogene Partei sehr wohl führen kann. Und Mitterlehner hat im Vergleich zu Schüssel eine stärkere großkoalitionäre Ader, die ihm etwas die ideologische Schärfe nimmt, wenn er von Marktwirtschaft spricht.

Bauernbündler theoretisch im Vorteil

Eigentlich wären Bauernbündler die geborenen ÖVP-Chefs, weil sie gleichzeitig unternehmerisch und volksnah, liberal und dennoch bodenständig auftreten können. Dass sie zuletzt alle gescheitert sind – von Josef Riegler über Wilhelm Molterer bis Josef Pröll –, lag eher an ihren Persönlichkeiten und bei Pröll an den verwandtschaftlichen Verhältnissen.

Mitterlehner nun kann eher als Spindelegger den Neos in den Städten Paroli bieten, weil er stärker liberale Werte vertritt, auch wenn er dadurch auf dem Land Boden an die FPÖ verliert. Aber das kann er durch Kompetenz und Führungsstärke wieder wettmachen.

Spannend ist die Frage, wie sich Erwin Pröll verhalten wird. Seine Abwesenheit beim Parteivorstand am Dienstag war wohl nicht nur ein urlaubsbedingter Zufall. Der Rücktritt seines Protegés aus Niederösterreich war auch ein Rückschlag für den machtbewussten Landeshauptmann in St. Pölten, der 2011 den Oberösterreicher Mitterlehner noch zu verhindern wusste. Da hat das Bundesland vielleicht doch eine Rolle gespielt.

Aber es würde nicht zum gewieften Diplomaten Mitterlehner passen, wenn er sich mit Pröll nicht rasch arrangiert. Dessen Bundespräsidentenkandidatur steht 2016, anders als das letzte Mal, nichts im Weg. (Eric Frey, derStandard.at, 27.8.2014)