Wer es pingelig liebt, ...

Foto: Lukas Friesenbichler

... sollte sich laut Kitz besser nicht neben Kollegen mit Hang zu kreativem Chaos setzen.

Foto: Lukas Friesenbichler

STANDARD: Warum arbeiten immer noch so wenige Menschen von zu Hause aus, obwohl dieses Arbeitsmodell schon vor langem als ein sehr effizientes angepriesen wird?

Volker Kitz: Weil die Arbeitgeber großenteils immer noch davon ausgehen, dass das Gehalt für Anwesenheit bezahlt wird. Die Gründe liegen aber auch beim Arbeitnehmer. Für viele ist der soziale Kontakt sehr wichtig. Meiner Beobachtung zufolge wünschen sich die meisten eine Mischung aus ein paar Tagen im Büro und ein paar Tagen Arbeit zu Hause.

STANDARD: Liegt es auch an mangelndem Vertrauen gegenüber dem Arbeitnehmer?

Kitz: Ein Arbeitgeber, dem es in der Regel ja auf Effizienz ankommt, sieht an den Ergebnissen leicht, was ein Arbeitnehmer geleistet hat. Wenn das nicht möglich ist, ist die ganze Stellung ohnehin nur eine Beschäftigungstherapie. Ich habe eher den Eindruck, dass in den Chefetagen noch zu viele Menschen sitzen, die im Laufe ihres Arbeitslebens sehr viele Opfer gebracht haben, die sich hochdienen mussten, die sehr viele Überstunden gemacht haben, Wochenenden durchgearbeitet haben, dadurch zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbrachten usw. Für die ist es zum Teil schmerzhaft, zu sehen, dass spätere Generationen eine ähnliche Karriere machen, ohne diese Opfer zu bringen.

STANDARD: Apropos persönliche Kontakte: Sitzungen, Meetings, Workshops - wie wir es auch immer nennen wollen, all das nimmt stark zu. Warum eigentlich?

Kitz: Unser Gehirn funktioniert so, dass wir Menschen automatisch mehr mögen, wenn wir sie öfter sehen. In der Psychologie nennt man das den Effekt der bloßen Darstellung. Persönlicher Kontakt darf nicht unterschätzt werden. Deshalb können solche Termine unter Umständen inhaltlich völlig überflüssig sein, aus psychologischer Sicht sind sie es nicht. Das spricht natürlich nicht gerade für das Home-Office.

STANDARD: Auch das nonterritoriale Büro wurde uns schon vor langem angekündigt. Demnach sollten wir keinen fixen Arbeitsplatz mehr haben, sondern unsere Sachen in einem Trolley aufbewahren und zu jenem Tisch rollen, der gerade frei ist. Warum ist das nicht eingetreten?

Kitz: Ja, das kam gar nicht gut an. Das eigene Büro ist auch ein Statussymbol. Es macht einen Unterschied, ob ich einen Schreibtisch in einem Großraumbüro habe, oder ob ich als hochrangiger Manager das Eckbüro mit den drei Fensterblöcken habe. Wenn ich nicht einmal einen eigenen Schreibtisch habe, dann wird das als Geringschätzung empfunden.

STANDARD: Menschen wollen also ihr markiertes Territorium, zum Beispiel mit Postkarten auf der Pinnwand?

Kitz: Es geht nicht unbedingt ums Markieren, aber um einen Bereich, der dem Arbeitnehmer gehört, den das Unternehmen für ihn reserviert, auch wenn er seltener da ist. Das zeigt dem Arbeitnehmer, was er der Firma wert ist.

STANDARD: Apropos Großraumbüro: Das galt ja auch schon als abgehaktes Modell. Inzwischen sieht man es aber wieder immer öfter.

Kitz: Dazu gibt es interessante Untersuchungen, die besagen, dass sich die Anwesenheit anderer Menschen bei Routinearbeiten durchwegs positiv auswirkt. Wenn wir unsere Alltagsarbeit erledigen, geht uns diese leichter von der Hand, wenn andere Menschen um uns sind.

STANDARD: Aber Alltagsarbeit kann von Branche zu Branche sehr unterschiedlich sein. Ein Werbegrafiker ist kein Steuerberater.

Kitz: Klar, schwieriger ist es, wenn es um komplexere Dinge geht, die der Arbeitnehmer nicht jeden Tag macht. Dann stört die Anwesenheit anderer. Deswegen ist es wichtig, dass man im Großraumbüro die Möglichkeit hat, sich zurückziehen zu können.

STANDARD: Wo ziehen Sie die Grenzen zwischen Routine und Nichtroutine?

Kitz: Routine ist, was ich gewohnt bin. Das kann für den Chirurgen eine Herztransplantation sein und für den Kassierer, Waren über die Kasse zu ziehen. Wenn nun der Chirurg plötzlich an der Kasse sitzen würde, und ihm Leute bei der Arbeit zuschauen, könnte das schwierig für ihn werden.

STANDARD: Gibt's so etwas wie den idealen Büroarbeitsplatz?

Kitz: Wie gesagt, das ist der, an dem es die Möglichkeit gibt, beides zu haben, sozialen Kontakt und die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.

STANDARD: Wie sieht es diesbezüglich mit Begriffen wie "Thinktanks" oder "Recreation-Zones" aus? Diese neu angedachten Bereiche haben sich auch nie wirklich durchgesetzt.

Kitz: Ich sehe da nicht wirklich etwas Neues. Neu sind nur die Wörter. Was heißt schon "Thinktank"? Das heißt, dass man Leute zusammensteckt, die gemeinsam über etwas nachdenken. Das gibt's schon so lange, wie es das Büro gibt. Es hieß halt früher Arbeitsgruppe oder so. Und Recreation-Zone? Dass irgendwo ein Sofa steht, ein Sessel auf einer Terrasse hingestellt wurde oder es eine Cafeteria gibt, das ist ja auch nichts Neues.

STANDARD: Was sagen Chefbüros über den jeweiligen Vorgesetzten aus?

Kitz: Sehr viel. Der Chef, die Chefin möchte auf das, was er im Büro zur Schau stellt, angesprochen werden. Das schafft Möglichkeiten für den Arbeitnehmer - wir sprechen hier vom Ähnlichkeitsprinzip. Der Chef mag die Mitarbeiter, die Gemeinsamkeiten mit ihm haben. Die werden auch befördert. Vorwärts kommen die Sympathieträger, nicht unbedingt die Leistungsträger. Wenn ich eine kleine Gemeinsamkeit mit meinem Chef entdecke, bringt mir das viel mehr, als wenn ich ihm vorrechne, wie viel Leistung ich gebracht habe. Wenn mein Chef in seinem Büro Fotos von seinem Segelurlaub oder von seinen kleinen Kindern oder seinem Hund hängen hat, dann möchte er darauf angesprochen werden. Wenn ich auch kleine Kinder oder einen Hund habe, dann sollte ich das sagen und darüber eine Gemeinsamkeit herstellen.

STANDARD: Zurück vom Chefbüro ins Großraumbüro und zu dessen Regeln. Wann, wie und wen grüßt man im Großraumbüro. Gibt es eine Art Großraumbüroknigge?

Kitz: Es kommt auf die Uhrzeit an. Kommt man zu einer Uhrzeit, zu der die meisten kommen, herrscht sowieso eine gewisse Unruhe. Da sollte man schon grüßen. Es kommt auch darauf an, wie groß das Büro ist. Man grüßt einfach in den Raum, und wer sich angesprochen fühlt, grüßt zurück. Andere sind vielleicht gerade in Arbeit versunken und grüßen nicht zurück.

STANDARD: Darf man bei der Arbeit eigentlich die Beine auf den Tisch legen?

Kitz: Das kommt auf die Branche und aufs Umfeld an. In manchen Unternehmen ist das sogar gewollt, es gibt dem ganzen einen Touch von Entspanntheit und Kreativität. In einer Bank kommt das wahrscheinlich nicht so gut.

STANDARD: Auf dem Schreibtisch des einen Kollegen türmt sich der Saustall, beim anderen herrscht pingeligste Ordnung. Wie sieht es bei diesem Thema mit Wertschätzung gegenüber Kollegen aus?

Kitz: Auch hier kommt das Ähnlichkeitsprinzip zum Tragen. Der Störfaktor liegt nur in der Unterschiedlichkeit. Das ist wie in einer Beziehung: Das Problem ist nicht die offene Zahnpastatube, sondern die unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen. Man sollte also, wenn man sich das Büro mit jemandem teilt, schauen, dass man jemanden erwischt, der einem so ähnlich wie möglich ist. Der mit dem Saustall fühlt sich ja auch von der Pingeligkeit des anderen gestört. Das ist wirklich wie in einer Ehe: Gemeinsamkeiten führen zum Erfolg, Unterschiede zum Scheitern.

STANDARD: Inwiefern beschäftigen Sie sich auch mit den Entwicklungen im Bereich der Möbelhersteller?

Kitz: Ich schau mir schon an, was da passiert. Ich selbst hab zum Beispiel einen höhenverstellbaren Schreibtisch, eine tolle Sache. Aber es ist natürlich eine Geldfrage, ob man in einem Unternehmen so etwas jedem zur Verfügung stellen kann. Hat es der eine, wollen es die anderen auch. Auch hier geht es wieder um Wertschätzung.

STANDARD: Auf dem Einband Ihres Buches "Die 365-Tage-Freiheit" steht zu lesen: "Ihr Leben ist zu wertvoll, um es mit Arbeit zu verbringen". Viele Menschen sehen den Ausweg aus dem Arbeitsalltag allerdings nur in einem Lottogewinn oder einem saftigen Erbe. Was raten Sie denen, außer Ihr Buch zu lesen?

Kitz: Ihr Leben zurückzugewinnen. Zum Beispiel indem sie versuchen, auf Teilzeit zu gehen. Einen Tag in der Woche frei zu haben, ist für viele Menschen eine fantastische Lösung. Hat man so einen Tag, ändert sich das Leben komplett, man kann wieder andere Interessen erkennen. Bei vielen Menschen entstehen sogar Ideen, die zu einer neuen Existenzgrundlage werden können. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 29.8.2014)