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Kinder in Lahore bekommen eine Polio-Schluckimpfung.

Foto: AP Photo/K.M. Chaudary

Pakistan ist eines von drei Ländern, in denen Poliomyelitis – kurz: Polio – noch nicht vollständig ausgerottet ist. Im Gegenteil: Die Fälle steigen jährlich an. Heuer infizierten sich bereits rund 70 Personen an der unheilbaren Krankheit, die zu Paralyse führt. Im Vergleichszeitraum im Vorjahr waren es nur acht Fälle. Vor allem in den Stammesregionen Pakistans, die zum Teil von den Taliban kontrolliert werden, fanden die schützenden Impfungen bis zu zwei Jahre nicht statt.

Doch immer wieder versuchen Gesundheitshelfer in die Gebiete vorzudringen, obwohl ihr eigenes Leben auf dem Spiel steht. Die Taliban führen seit dem Jahr 2012 eine Offensive gegen die Impfaktionen. Damals wurde bekannt, dass die CIA eine fingierte Hepatitis-Impfaktion dazu verwendet hatte, um Informationen über Osama bin Laden zu sammeln. Eine Gesundheitsarbeiterin erzählte dem "National Public Radio", dass sie bei ihren Einsätzen die Kühlbox mit den Impfstoffen unter ihrer Burka verstecke.

Hohe Kindersterblichkeit

Mehr als 60 Mitarbeiter wurden bei ihrer Arbeit von Taliban-Kämpfern getötet. Auch die Eltern der Kinder lassen die Freiwilligen nicht immer durch. Gerüchte, dass eine westliche Verschwörung gegen Muslime die Kinder durch die Kampagnen sterilisieren lasse, halten sich hartnäckig im ländlichen Raum. Laut dem Bericht "Die Lage der Kinder in Pakistan", der von der lokalen NGO Sparc (Gemeinschaft zum Schutz der Kinderrechte) durchgeführt und unter anderem von der Kindernothilfe unterstützt wird, waren im Jahr 2011 nur 81 Prozent aller Kinder gegen Polio geimpft. Insgesamt 86 von 1.000 Neugeborenen erleben ihren fünften Geburtstag nicht. Damit liegt Pakistan bei der Kindersterblichkeit global auf dem 26. Platz.

Es sind vor allem die Regionen im Westen Pakistans, in denen die Kinder den größten Gefahren ausgesetzt sind, sagt Zarina Jillani von Sparc. Im Moment liegt der Fokus der NGO vor allem auf den Themen Kinderehe und Prügelstrafe. So wurde die Kinderehe zwar bereits im Jahr 1929 unter Strafe gestellt, doch wird das Gesetz in den weitgehend unabhängigen Regionen nicht exekutiert, oder die geringen Strafen haben keine abschreckende Wirkung.

Im Falle einer Verurteilung drohen entweder ein Monat Haft oder 1.000 Rupien (7,4 Euro) Strafe. Zahlen aus dem Jahr 2012 zeigen, dass 42 Prozent aller Kinderehen weltweit in Pakistan geschlossen werden. Ein Gesetzesentwurf, um den Schutz der Kinder in diesem Bereich zu stärken, liegt seit heuer wieder auf dem Tisch.

Prügelstrafe noch immer quasi legal

Ein weiterer Gesetzesentwurf soll die Prügelstrafe in Pakistan bekämpfen, die noch immer im Strafgesetz aus dem Jahr 1860 geregelt ist. Im Bericht von Sparc werden die Schlupflöcher kritisiert, die Gewalt an Kindern möglich macht. So heißt es in Artikel 89, dass nichts, was in gutem Glauben für das Wohl einer Person unter zwölf Jahren von einem Vormund getan wird, ein Angriff ist. Das Gesetz gilt sowohl für das Zuhause als auch für die Schule, die Betreuungseinrichtung oder den Arbeitsplatz von Kindern. Laut Jillani wird nur in Fällen von schwerer Körperverletzung der Angreifer vor Gericht gestellt. Eltern würden sich in den meisten Fällen nicht an die Behörden wenden, wenn das Kind in der Schule verprügelt wurde, sondern es direkt mit dem Lehrer regeln. Deshalb gebe es auch keine validen Zahlen zu Opfern der Prügelstrafe.

Nicht nur die Gesetze im Zusammenhang mit minderjährigen Opfern stehen in der Kritik der NGO, sondern auch die Gesetzgebung, wenn es um minderjährige Straftäter geht. Anfang des Monats berichtete Sparc, dass es zwar eine Gesetzesvorlage gebe, wonach Straftäter unter 18 Jahre in Erziehungseinrichtungen kommen sollen, doch viele Richter nicht darüber informiert sind. So komme es noch immer vor, dass jugendliche Straftäter zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Mehr als 1.300 jugendliche Straftäter sind landesweit davon betroffen. Deshalb fordert die Organisation die Einrichtung von Jugendgerichtshöfen und eine bessere Schulung von Richtern.

Die wohl berühmteste Kinderrechtsaktivistin Pakistans, Malala Yousafzai, ist sich im Interview mit dem US-Fernsehsender PBS allerdings sicher, dass sich die Situation in ihrem Land verbessern wird. "Wenn die Jugend den Kampf weiterführt und die Leute ihren Beitrag zur Gemeinschaft weiterhin leisten, wird Pakistan eine strahlende Zukunft haben. Aber wir brauchen ein paar Änderungen", sagt die 17-Jährige, die im Jahr 2012 von Taliban in den Kopf geschossen wurde, weil sie trotz Verbots als Mädchen weiterhin zur Schule ging. (Bianca Blei, derStandard.at, 27.8.2014)