Trude Fleischmann mit ihrer Kamera im Atelier in Wien, 1929.

Foto: Annie Schulz / Fritsch Antiquariat

In karierter Hose, mit Überrock, lag Peter Altenberg auf seinem Bett im Graben-Hotel und sah sich das Porträt an, das ihn mit Adolf Loos zeigt. Sie trug ein Kleid, das ihre Hausschneiderin gefertigt hatte. Durch seine Brille, sein Pincenez, musterte er sie. Es war das Jahr 1918, der Beginn ihrer Fotokarriere. "Mein Kind, solche Kleider sollten Sie immer tragen", riet ihr der Schriftsteller. Sie sei nicht so eine Kapazität wie er und müsse sich nach der Mode richten, entgegnete die 23-Jährige. Daraufhin Altenberg: "Sei der, der du bist, nicht mehr und nicht weniger."

Der Ratschlag blieb Trude Fleischmann im Gedächtnis. Was andere von ihr halten, war der Fotografin rasch egal. Sie verfolgte ihre Leidenschaft, auch wenn sie provozierte: und lichtete nackte weibliche Körper in schnörkelloser Manier ab. In den 1920ern, einer Zeit, in der das Geschlechterbild erst langsam umgezeichnet, in der Sexualität als Privatsache gehandelt wurde, löste just eines von Fleischmanns Porträts 1925 einen Skandal aus. Die Tänzerin Claire Bauroff räkelt sich unbekleidet vor schwarzem Hintergrund, der Körper eingeölt. Die Aufnahmen, zu Werbezwecken affichiert, wurden zensiert oder abgehängt - und machten Fleischmann international bekannt. Sie setzte auf konventionelle Methoden der Fotografie, spielte mit Licht, Schatten, Nähe und Distanz. Von avantgardistischen Experimenten hielt sie sich fern.

Mit Menschen tat sie sich leicht

Trude Fleischmann, 1895 als Tochter eines jüdischen Kaufmanns geboren, wuchs in Wien auf. Mit neun Jahren griff sie zur Kamera, sechzehn Jahre später besaß sie ein eigenes Atelier in der Ebendorferstraße. Fleischmann fotografierte Bekannte, Freundinnen und Freunde aus der Wiener Kulturszene. Mit Menschen tat sie sich leicht, sie galt als gute Netzwerkerin. "Ich hatte einen interessanten Freundeskreis", sagte Fleischmann später. Beziehungsleere Fotografie interessierte sie nicht. "Manchmal verliebte sie sich in Gesichter", erzählte ihr Freund Hans Schreiber. Fleischmann ging es vor allem darum, Gesichtszüge herauszuarbeiten, Gesten und Gebärden darzustellen. Denn sie war der Meinung, dass "die Menschen sind, wie sie ausschauen".

Neben Adolf Loos und Peter Altenberg posierten Fleischmann auch der Komponist Alban Berg, der Dirigent Arturo Toscanini und die Schwestern Wiesenthal. Ihre Fotos - sie selbst sprach von "Photobildnissen" - veröffentlichte sie in österreichischen und deutschen Zeitungen, sie schloss aber nie Verträge mit den Verlegern ab.

Mit "gebrochenem Herz" in die USA

In den Jahren des Austrofaschismus musste Fleischmann ihre Motive an den Zeitgeist anpassen, um mit der Fotografie noch Geld verdienen zu können. Nacktszenen wichen Heimatfotos. Ab 1938 durfte Fleischmann als Jüdin nicht mehr publizieren. Ein Porträt ihrer Freundin Paula Wessely für die Zeitschrift "Die Bühne" war das letzte, das in hiesigen Medien erschien. Trude Fleischmann ging mit "gebrochenem Herz" nach Amerika, wie sie in ihrem einzigen noch zugänglichen Interview erzählt. 41 Negative soll sie im Gepäck gehabt haben, 200 weitere sind bis heute verschollen.

In Manhattan gelang ihr ein Neustart - mit Landschaftsbildern, Porträts und Straßenszenen. Sie ging viel ins Freie, fing die Stimmung ein. Sie tat das, was sie gut konnte: Kontakte pflegen, vertraute Gesichter ablichten. Am liebsten fotografierte Fleischmann Einwanderer und Flüchtlinge. Menschen, die dasselbe Schicksal teilten wie sie.

Trude Fleischmann war nie darauf aus, berühmt zu werden, was sich letztlich beinahe erfüllte. Fleischmanns Fotografien gerieten fast in Vergessenheit. In einer kleinen New Yorker Galerie werden sie 1983 ausgestellt. In Wien, ihrer Heimatstadt, die immer weiter von ihr "wegrückte", sollte man sich erst fünf Jahre später an die Fotografin erinnern.

1988 lancierte die Kunstforscherin Anna Auer eine Ausstellung in der Galerie Faber. Zwei Jahre später starb Trude Fleischmann in New York. (Lisa Breit, DER STANDARD, 26.8.2014)