Ältere, traditionell gekleidete Männer mit ihren Damen aus der Weinritterschaft, Offizielle aus der lokalen Politik und Beamtenschaft, pensionierte Lehrer und ein paar Berichterstatter waren nach St. Margarethen ins Burgenland gekommen, um sich an die auf europäischer Ebene legendäre, wenige Stunden dauernde Öffnung des Stacheldrahts im August 1989 zu erinnern.

Walburga Habsburg, damals beim "Grenzpicknick" dabei, heute im Schwedischen Reichstag vertretende Mitveranstaltende der "Paneuropa-Bewegung", hielt eine Verehrungsrede für ihren Vater Otto, verbunden jedoch mit scharfer Kritik an den heutigen "Stacheldrähten" und Überwachungsmechanismen à la NSA.

Organisiert wurde die Feier am Dienstag, den 19. August, vom ÖVP dominierten Europaforum. Kein einziges Mitglied der Bundesregierung war gekommen. Denn offiziell hatte der Über-drüber-ÖVPler Michael Spindelegger für Donnerstag, den 21. August, zu einer Bootsfahrt über den See geladen, die dann aus Angst vor schlechtem Wetter (das nicht eintraf) auch noch abgesagt wurde.

Auch dort nur eine Ministerin, Sophie Karmasin, mit dabei. Außenminister Sebastian Kurz hatte sich krankgemeldet. Alles in allem eine Mischung aus Unvermögen, eine historische Erinnerung zu entfalten, und Unfähigkeit, dieses Ereignis der heutigen Wirklichkeit (u. a. Ostukraine) gegenüberzustellen.

Parallel dazu und nicht weit von den eben in Konkurs gegangenen Opernfestspielen im Steinbruch von St. Margarethen ein kleines Provinzschauspiel. Während Vizelandeshauptmann Franz Steindl auf der einen Seite der Straße nach Ungarn sich fürs Rednerpult vorbereitete, schnitt SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl auf der anderen Seite ein Band für den neuen Radweg nach Sopron durch. Für eine halbe Stunde tat sich eine unsichtbare Grenze zwischen den beiden und ihren Parteien auf. Hätte nicht der eine kurz dort, der andere hier vorbeischauen können?

Anders Ungarn. Sie hatten nicht nur eine Bühne zur musikalischen Illustration des Rad-Events aufgebaut und zwei Zelte für ihr Publikum. Am Nachmittag erschien Ministerpräsident Viktor Orbán mit Entourage und TV-Kameras. Nach einem nationalistischen Auftritt an der rumänischen Grenze vor einigen Wochen folgte nun der zweite. Orbán, der Wladimir Putin und Tayyip Erdogan zu Vorbildern erkoren hat, nahm für Ungarn in Anspruch, damals in dieser denkwürdigen Stunde A "ein Loch durch den Stacheldraht" geöffnet zu haben. So als hätte es weder eine deutsche noch eine österreichische Mitwirkung gegeben.

Trotz aller Kritik an Orbán, trotz der Unverfrorenheit, mit der er die Geschichte umdeutet, muss man ihm eines lassen: Er sticht sein österreichisches Gegenüber und dessen Stellvertreter mit Fantasie, Präsenz und Rhetorik aus.

Wer sich dann noch die Mühe machen sollte, weiter nach Andau zu fahren, um auf der Straße zur historischen Fluchtbrücke von 1956 die zerfallenden Kunstwerke zu sehen, würde bemerken, wie auch dort die Geschichte zerbröckelt und entschwindet. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, 25.8.2014)