Ungefähr an dieser Stelle, von Weyregg aus, schwamm die Autorin, zusammen mit rund 400 anderen Schwimmerinnen und Schwimmern über den Attersee.

Foto: Robert Newald

Ich wollte unbedingt: Das war Anfang Mai. Ich wollte wirklich: Das war Mitte Juni. Ich wollte: Das war Ende Juli. Längst stand das Datum fest: der 9. August 2014. Längst konnte man sich online anmelden. Dann hatte ich plötzlich eine Computerpanne. Ja, und dann vergaß ich die Anmeldung. Am 1. August besuchte ich die Homepage der Attersee-Überquerung, und - ach du lieber Schreck - die Onlineanmeldefrist war abgelaufen. Nur mehr Nachmeldungen vor Ort, in aller Früh, da seien nur noch wenige möglich. Jetzt wollte ich wiederum unbedingt schwimmen.

Die Strecke für die Überquerung führt von Weyregg nach Attersee und ist 2520 Meter lang. Ich hatte in den Jahren 2007 und 2008 teilgenommen und etwas weniger als eineinhalb Stunden gebraucht. Es gibt ein Zeitlimit: Nach 110 Minuten wird die Veranstaltung beendet, wenn dann ein Schwimmer, eine Schwimmerin noch auf der Strecke ist, wird sie von einem der Begleitboote zum Ufer gebracht.

Im Jahr 2007 hatte ich sehr viel trainiert. Im Jahr 2008 hatte ich viel trainiert. Heuer hatte ich trainiert. Und ich hatte die - wie sich später als unbegründet herausstellende - Angst, länger als 110 Minuten zu brauchen. Das Wasser kann sich sehr kalt anfühlen, wenn man so lange drin schwimmt, das wusste ich natürlich auch.

Die Nachmeldung also in aller Morgenfrühe und -frische. Um sechs Uhr stand ich im Strandbad Attersee in der Schlange der Willigen. Ich wollte schwimmen. Und in der Tat: Ich erhielt die Startnummer 380 und den Chip für die Zeitmessung.

Dann saßen wir, die zirka 400 Schwimmer und Schwimmerinnen im Strandbad Attersee und warteten auf die Boote, die uns um 7.45 Uhr nach Weyregg an den Start bringen sollten.

Ich hatte Zeit genug, daran zu denken, wie alles angefangen hatte - nämlich mit einer Bandscheibenoperation 1992. Mit einem Neurochirurgen, der mir prophezeit hatte, dass ich in zehn Jahren wieder massive Rückenprobleme haben würde. Mit einer Physiotherapeutin, die mir Übungen zur Stärkung meiner Bauch- und Rückenmuskulatur empfohlen hatte. "Rückenschwimmen ist immer gut!", hatte die Physiotherapeutin gesagt, und: "Brustschwimmen ist auch gut, aber nur, wenn Sie den Kopf nicht zu weit aus dem Wasser heben!" Ich begann mit dem Schwimmen im Dianabad, anfangs in Begleitung meines Gefährten Fritz Widhalm. Später waren wir eine schwimmende Künstlerinnengruppe. Das Dianabad sperrte zu, und wir verlegten das Schwimmen in die Stadthalle.

Ich verdanke es einer Kollegin, dass wir dort von der Möglichkeit der Attersee-Überquerung erfuhren. Ruth Aspöck und ich waren begeistert. Ruth sprang zuerst ins kalte Wasser des Attersees. Sie schwamm. Und ich war noch nicht so weit. Aber ich hatte Lunte gerochen. Ich machte einen Schwimmkurs. Ich lernte kraulen, ohne es wirklich zu erlernen. Den Attersee würde ich heuer, wie auch in den Jahren zuvor, brustschwimmend überqueren. Brustschwimmend und "klassisch", also ohne Neopren, nur im schlichten Badetrikot.

Während wir da saßen, neben uns war bereits das Ziel aufgebaut, wir würden ja hierher zurückschwimmen, fühlte ich mich ein wenig unsicher. Würde ich es schaffen? Würde mir nichts zustoßen? Der See lag vor mir, türkis schillernd, und Weyregg war weit entfernt. "Dort ist die Kirche!" , sagte mein schwimmender Kollege Wolfgang Helmhart. Ich sah keine Kirche, sie war viel zu weit weg. Kurzsichtig bin ich auch.

Dann kam das Boot. Bevor die Müdigkeit mich noch ängstlicher machen würde. Es war 7.45 Uhr, und ich war seit 5 Uhr wach. Kühl war es auch. Ich hatte eine lange Hose und ein langärmeliges Shirt an, darunter bereits meinen bequemsten Badeanzug. Bald würde ich ins kühle Nass steigen. Das kühle Nass war allerdings für Attersee-Verhältnisse relativ warm: 22 Grad.

Auf dem Boot viele junge Menschen, viele mit Neopren ausgestattet. Ich suchte nach Schwimmerinnen meiner Altersklasse. Bestimmt gab es welche. Viele nicht. Später, nach Durchsicht der Ergebnisse, sah ich, dass ich in meiner Altersklasse die Letzte geworden war. 13 Schwimmerinnen ohne Neopren gab es, die Dreizehnte wurde ich. Acht Schwimmerinnen meiner Altersklasse schwammen mit Neopren. Die waren auch alle schneller als ich. Ich schwamm in Altersklasse 3, das bedeutet 50 bis 59 Jahre. Egal. Wir saßen im Boot, es war beschlossen, ich wollte schwimmen und ich würde schwimmen.

Ich schwamm und schwamm

In Weyregg angekommen, packte ich Hose und Sweatshirt in einen Plastiksack mit meiner Startnummer. Die Sachen wurden in einen Bus verladen. Später, nach dem Schwimmen, würde ich mein Sackerl im Strandbad Attersee vorfinden. Ich stand am Ufer und wartete auf den Startschuss. Dann war es so weit. Mit dem Startschuss stürzten sich jene Schwimmerinnen und Schwimmer, für die es auf jede Sekunde ankam, ins Wasser und kraulten los. Ich machte beherzt die ersten Schritte in den See. Dann schwamm auch ich. Und ich schwamm, schwamm und schwamm.

Interessant, welche Gedanken einer wie mir durch den Kopf sausten, zum Beispiel die Frage, ob ich wirklich so gerne schwimme und ob mir dieses Abenteuer wirklich so wichtig ist. Oder ob ich einen Vogel habe, der auf meinem Kopf sitzt und mir solche Ideen ins Ohr zwitschert? Dann wieder erfreute ich mich am türkisfarbenen Wasser und empfand es als durchaus erbaulich zu schwimmen. Später schweiften meine Gedanken zur Grazer Autorinnen und Autorenversammlung, und ich überlegte, welche Kolleginnen und Kollegen ich besonders ins Herz geschlossen habe und ob es einen Grund gibt, jemanden ins Herz zu schließen, und, wenn ja, ob der Grund bei mir oder bei der anderen Person liegt und ob ich fähig bin, die komplizierten Mechanismen des Ins-Herz-Schließens zu durchschauen. Ich dachte an das Fröhliche Wohnzimmer, dessen Hälfte ich bin, und an unsere Projekte und daran, welche Menschen daran Anteil haben. Ich dachte an meinen Partner in allen Lebenslagen, und überlegte, ab wann er am Ufer stehend nach meiner knallgelben Badehaube Ausschau halten würde.

Schwimmen und denken, eine angenehme Kombination. Ein gutes Stück des Weges war ich umgeben von anderen Schwimmenden. Wir verloren uns, als eine Gruppe nach rechts abwich, ich aber die "Direttissima" weiter links vermutete. Ein Fehler, wie ich später erfuhr. Ich schwamm einen Umweg. Der Weg war mit nur zwei gelben Bojen markiert, ich wusste nicht, wie weit diese voneinander entfernt waren. Ich schwamm bis zur zweiten Boje vergnügt und zuversichtlich. Dann erblickte ich drüben schon die bunten Luftballons und die am Ziel aufgebaute Tribüne. Da machte ich den Fehler und drehte mich um. Ich wollte mich an der bisher zurückgelegten Strecke erfreuen. Oh Schreck, hinter mir sah ich nur mehr einen einzigen "schwimmenden Kopf". War ich schon die Vorletzte? Ich sah die den Schwimmbewerb abschließenden Rettungsboote. War ich so knapp am Zeitlimit? Von da an begann ich, mich anzustrengen. Ich wollte nicht herausgefischt werden, weil ich zu weit zurücklag oder es in der vorgesehenen Zeit nicht schaffen konnte.

Es passiert nichts Schreckliches, wenn man von einem Boot ins Ziel gebracht wird. Aber ich wollte es nicht. Ich wollte es schaffen. Unbedingt! Aus einem Rettungsboot deutete man mir etwas, was ich nicht verstand. Später kam ich drauf. Ich war zu weit nach links geraten und schwamm einen Bogen. Ich strengte mich an. Es war jetzt keine Zeit mehr für Gedanken, vor allem nicht für den Gedanken, dass ich vielleicht keine Lust mehr hatte zu schwimmen. Wellen kamen auf. Die bunten Luftballons und das Ziel schienen nicht näher zu kommen. Ich schwamm, schwamm, schwamm.

Um nicht wieder von der Zielgeraden abzukommen, wagte ich nicht, den Kopf so weit unter Wasser zu senken, wie es beim Brustschwimmen sinnvoll wäre. Ich schwamm halb in Seitenlage. Nun ja. Weit war es wirklich nicht mehr. Ich hörte schon die Stimmen eines Kommentators, der die einlaufenden Schwimmer und Schwimmerinnen begrüßte und ihre Zeit verlautbarte. Ich schwamm, schwamm, schwamm.

Ja, und dann war ich endlich am Ziel. Eine junge Frau stand auf der aus dem Wasser führenden Holztreppe und streckte mir die Hand entgegen. Sie hatte die Aufgabe, den Schwimmenden an Land zu helfen. Man fühlt sich schwer, weil man im Wasser so lange leicht war. Mein Gefährte reichte mir den Bademantel. Das war's also. Ich hatte 97 Minuten und 25 Sekunden gebraucht. In meiner Altersgruppe wurde ich die Letzte. Nach mir kamen noch vier Schwimmerinnen und ein Schwimmer ins Ziel. Ich hörte mich sagen: Es ist gar nicht schlimm, die Letzte zu sein. (Ilse Kilic, Album, DER STANDARD, 23./24.8.2014)