Ein pragmatisches Trio mit einem gemeinsamen Ziel: Dakota Fanning, Jesse Eisenberg und Peter Sarsgaard (v. li.) im Thriller "Night Moves".

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US-Regisseurin Kelly Reichardt.

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Wien - Gerade war die Oberfläche des Sees noch ruhig, eine dunkle, nur leicht gekräuselte Fläche, da beginnt Wasser aus einer Turbine zu schießen, ein druckvoller Strom, pure, weiße Kraft. Mit diesen Bildern beginnt Night Moves, der jüngste Film der US-amerikanischen Regisseurin Kelly Reichardt, die mit Old Joy (2006), Wendy and Lucy (2008) und dem Western Meek's Cutoff (2010) Bekanntheit erlangte. Nach dem Schnitt ist die Kamera hoch über der Wasseroberfläche, auf dem Staudamm, wo Josh (Jesse Eisenberg) und Dena (Dakota Fanning) am schmalen Geländer lehnen und in die Tiefe blicken.

Josh und Dena haben einen Plan. Gemeinsam mit Harmon (Peter Sarsgaard) wollen sie den Staudamm, in ihren Augen Symbol verfehlter Energiegewinnung, in die Luft sprengen. Sie wollen die Leute dazu bringen, darüber nachzudenken, woher der Strom kommt. Reichardt folgt den dreien, während sie das Attentat Schritt für Schritt vorbereiten, Ammoniumnitrat besorgen, um Sprengstoff zu gewinnen. Und Reichardt filmt den Selbstzerfleischungsprozess, der einsetzt, kaum ist das Geräusch der Detonation verhallt.

STANDARD: Wasser ist ein wichtiges Element in "Night Moves" - wie haben Sie den Film um dieses Thema herum gebaut?

Reichardt: Es gibt zwar keinen roten Faden, aber zugleich lag es nahe, nach Meek's Cutoff, der in der Wüste spielt, einen Film zu drehen, der sich zu großen Teilen auf dem Wasser zuträgt. Man muss heutzutage einfach über Wasser nachdenken. Wem gehört es? Wohin fließt es? Wohin wird es umgeleitet? Viele Leute haben Probleme mit den Staudämmen im ganzen Land, und das liegt daran, wer entscheidet, wohin das Wasser fließt. Bei der Recherche für den Film bin ich auf interessante Dinge gestoßen.

STANDARD: Worauf zum Beispiel?

Reichardt: Die Eisenbahn war für die ersten Staudämme verantwortlich. Man ließ die Dämme so errichten, dass die Wasserläufe möglichst weit weg von den Gebieten der amerikanischen Ureinwohner waren. Zynischer ging es gar nicht.

STANDARD: Was haben Sie noch entdeckt, während Sie für "Night Moves" recherchierten?

Reichardt: Für mich ist die Recherche der schönste Teil des Filmemachens - mich anregen zu lassen, wenn ich lese oder etwas wiederlese, Verbrechen und Strafe zum Beispiel, oder wenn ich mit jemand anderem am Drehbuch arbeite, und der regt mich an, mir dieses oder jenes anzusehen. Zum Beispiel die Bilder von Charles Burchfield ...

STANDARD: ... einem Maler, der für seine Landschaftsaquarelle bekannt war.

Reichardt: Es gab eine Retrospektive, die ich mir mit dem Produktionsdesigner und der Kostümbildnerin ansah. Doch der größte Teil der Recherche besteht darin, dass ich herumfahre und Leuten begegne. Ich habe zum Beispiel diesen Mann getroffen, der sich ein Grundstück anschaute. Ich merkte, dass ihm mehrere Finger fehlten. Und es stellte sich heraus, dass er Bomben baut, um Bäume in die Luft zu jagen, für Immobilienentwickler. Ein cooler Typ, und er hatte sich ein wunderschönes Haus im Wald gebaut. Ich konnte kaum glauben, dass jemand etwas so Schönes baute, während er zugleich Bäume sprengte. Als wir nach einem Düngemittelgeschäft Ausschau hielten, wo wir drehen könnten, war es interessant zu sehen, was geschieht, wenn man nach Ammoniumnitrat fragt.

STANDARD: Das haben Sie mehrmals gemacht?

Reichardt: Zweimal, dann haben wir es gelassen. Beim ersten Mal sind wir in den Laden gegangen, Jon Raymond, der Drehbuchautor, Produzent Neil Kopp und ich, um zu sehen, wie sie reagieren. Sie haben sofort das FBI angerufen.

STANDARD: Sie sind in den Laden gegangen und haben nach 200 Kilo Ammoniumnitrat gefragt?

Reichardt: Nicht nach so viel. Ich glaube, Jon sagte: "Wir möchten Ammoniumnitrat kaufen." Und der Verkäufer zeigte auf die Überwachungskamera und sagte: "Sie wurden gerade gefilmt, wer zum Teufel sind Sie?" Wir hatten nicht den Mut, weiterzumachen, und sagten, dass wir einen Film drehten. Selbst dann sagte er: "Sie reden doch Scheiße." Wir spürten, dass wir unsere Chancen, einen Drehort zu finden, vermasselten.

STANDARD: Besonders in der ersten Hälfte des Films, solange Sie nachvollziehen, wie die Figuren das Attentat vorbereiten, macht sich Ihr Interesse an Details bemerkbar. In der zweiten Hälfte verschiebt sich das ein wenig, oder?

Reichardt: Es gibt mehr Plot, das ist richtig. Und als ich im Schneideraum saß, hat der Plot stärker als bei den anderen Filmen vorgegeben, wie ich vorgehen musste. Aber ich hoffe, dass der Film trotzdem spezifisch bleibt, wenn es um die Figuren geht.

STANDARD: Es gibt einen interessanten Augenblick nach der Explosion. Die drei Protagonisten sitzen im Wagen und drehen sich nicht um, als es knallt. Warum?

Reichardt: Ich habe einen Dokumentarfilm über Angehörige der ELF (Earth Liberation Front, eine Bewegung aus den 1990er-Jahren, Red.), gesehen, sie haben ein paar Sachen in die Luft gejagt und ein paar Brände gelegt. Wir haben unseren Film absichtlich in der Gegenwart verortet, damit man ihn nicht mit der ELF in Verbindung bringen kann. Die haben nie einem Menschen etwas angetan, sie haben immer nur Sachen beschädigt. Ich erinnere mich an dieses Mädchen. Ich war beeindruckt von ihrer Ruhe. Etwas an ihr wollte ich auf Dena ...

STANDARD: ... eine der drei Hauptfiguren ...

Reichardt: ... übertragen. So eine Art Enthobenheit. Etwas, was nötig ist, damit man die Nerven behält, damit man das Ganze wie eine To-do-Liste betrachtet. Nach dem Motto: "Dies sind die Dinge, die geschehen müssen: Ich muss meine schwarzen Stiefel anziehen, an einer Telefonzelle anhalten und durch das Unterholz kriechen." Und noch etwas: Diese drei Menschen haben unterschiedliche Hintergründe. Sie kommen zusammen, arbeiten als Einheit, aber wenn sie im Auto sitzen, ist jeder wieder ein Individuum, zurück in seiner Welt. (Cristina Nord, DER STANDARD, 23./24.8.2014)