Suchumi - Die Strandpromenade der abchasischen Hauptstadt Suchumi verströmt den Charme vergilbten Glanzes. Die obeliskenförmigen Laternen entlang der weißen Strandmauer dienten vor dem blauen Meer einst Millionen sowjetischen Touristen als Kulisse für romantische Urlaubsfotos. Heute funktioniert gerade einmal die Hälfte der Laternen, die Mauer bröckelt, und ein Sturm hat vor wenigen Wochen einen der Obelisken umgeworfen. Die Trümmer liegen mitten auf der Promenade.
Einen verwahrlosten Eindruck hinterlassen auch die meisten der einst ansehnlichen Wohnhäuser in der Stadt. An vielen Gebäuden sind die Spuren des abchasisch-georgischen Bürgerkriegs 1992/93 bis heute zu sehen. Selbst der Bahnhof von Suchumi, für dessen Restaurierung Russland der abchasischen Führung eine Millionensumme zur Verfügung gestellt haben soll, gleicht einer Ruine.
Billigtouristen aus Russland
Dennoch kommen immer noch Touristen aus Russland. Der rund 200 Kilometer lange Küstenstreifen im Schatten des Kaukasus zieht vor allem Billigreisende an. Wer nach Abchasien fährt, muss hart im Nehmen sein: Direktflüge gibt es nicht, alle Touristen müssen durch das Nadelöhr Sotschi über die Grenze, was zu stundenlangem Warten in der Hitze führen kann. Stromausfälle oder abgestelltes Wasser sind in den Hotels keine Seltenheit, ein Internetzugang, für Russlands Facebook-Generation eigentlich ein Muss, hingegen schon.
Samwel lässt trotzdem nichts auf seine Heimat kommen. "Wir haben das schönste Land der Welt", erklärt der 27-jährige Taxifahrer und Hobbyimker. Weil es keine Produktionsstätten in Abchasien gebe, "ist auch das Meer bei uns sauberer als anderswo."
Von der Politik hält er allerdings nicht so viel, die Korruption in Abchasien sei aufgrund der Sippenhaft organisierten Gesellschaft gravierend, klagt er. Die besten Posten seien alle aufgeteilt. "Gehörst du als gebürtiger Abchase zum richtigen Clan, lässt dich die Polizei weiterfahren, auch wenn du mit 140 km/h durch die Stadt rast. Mich hingegen kassieren sie ab, wenn ich die Geschwindigkeit nur minimal übertrete", sagt er.
Wenig Wahlberechtigte
Samwel ist Armenier. Obwohl sie einst auf Seiten der Abchasen gegen Georgien kämpften, haben die meisten der gut 40.000 Armenier bis heute keinen Pass. "Ich habe einmal versucht, das Examen für die Staatsangehörigkeit zu machen, aber die Beamten haben mich durchfallen lassen, um Geld zu kassieren. Da habe ich es sein lassen", erzählt er.
Samwel wird daher am Sonntag nicht abstimmen können. Überhaupt sind nur gut 100.000 der rund 240.000 Einwohner Abchasiens wahlberechtigt. Die Initiative von Ex-Präsident Alexander Ankwab, mehr Menschen mit einem Pass und damit Bürgerrechten auszustatten, hat ihn letztendlich sein Amt gekostet. Die einflussreichen Clans rebellierten und setzten ihn ab.
Übergangspräsident Waleri Bganba verwaltet das Amt kommissarisch, wird aber nicht antreten. Vier Kandidaten bewerben sich, der Kampf verläuft hauptsächlich zwischen dem Oppositionellen Raul Chadschimba und Aslan Bschanija, der als Vertrauter Ankwabs gilt. Dass die Emotionen durchaus hochkochen, zeigte ein Sprengstoffanschlag vor der Wahlkommission am Mittwoch. Bei dem Attentat wurde niemand verletzt, aber wer dahinter steht, ist bisher unklar.
Raul Chadschimba Favorit
Chadschimba hat schon dreimal die Wahlen verloren. Diesmal gilt er als Favorit. In Umfragen liegt er bei 51 Prozent, Bschanija bei 30 Prozent. Viele verbinden den möglichen Sieg Chadschimbas mit seinem Vizepräsidentschaftskandidaten Witali Gabnija den der russische Politologe Alexander Skakow sogar als "gewichtigere Figur" einschätzt. Der 46-Jährige war einer der Anführer der Revolte gegen Ankwab. Nun verspricht er mehr Konsequenz im Kampf gegen die Korruption und bessere Bedingungen für Investoren. Über den außenpolitischen Kurs - Annäherung an Russland und scharfe Abgrenzung gegenüber Georgien - herrscht Konsens.
Doch viele Menschen glauben nicht an einen Wandel. Versprechen habe sie schon viele gehört, aber für das einfache Volk habe sich kaum etwas geändert, sagt die Verkäuferin Laila. Auch die in Suchumi geborene Russin Jewgenia hat sich noch nicht entschieden. Einst sei Suchumi ein Paradies gewesen - heute gehe es nur noch um die Nachlassverwaltung. (André Ballin, DER STANDARD, 22.8.2014)