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Holocaust-Memorial-Center (HDKE) in der Páva-Straße in Budapest.

Foto: reuters/BALAZS GARDI

Seit der Eröffnung des Holocaust-Memorial-Centers (HDKE) in Budapest im Jahr 2004 leistete jedes Jahr ein österreichischer Gedenkdiener seinen Dienst in einem der Büros des Museums ab. Auch ich schrieb dort Reden für meinen Vorgesetzten, arbeitete historische Dokumente auf, half beim Sortieren des Archives und vieles mehr. Außerhalb meiner Arbeit hatte ich mir für meinen 12,5 Monate langen Dienst in Budapest u. a. auch vorgenommen, mich vor Ort über die politischen Geschehnisse in Ungarn zu informieren und erste journalistische Erfahrungen zu sammeln.

Über meine Eindrücke schrieb ich einen recht regierungskritischen Leserartikel, den die Website der deutschen "Zeit“ im vergangenen November veröffentlicht hat. Umgehend wurde ich von meinen Kollegen im Museum gewarnt, lieber etwas vorsichtiger zu sein. Doch wirklich ernst nahm ich diese Aussagen nicht. Zumindest bis ich in das Büro der Leitung des HDKE gebeten wurde, wo man mich grob aufforderte, „von hier zu verschwinden“.

Hinter den Kulissen

Im ersten Moment war ich total perplex. Es dauerte ein wenig, bis ich die Situation begriffen hatte: Ich war gerade angewiesen worden, mein Büro zu räumen. Etwas überrumpelt fragte ich nach dem Grund, worauf mir knapp geantwortet wurde, keinen Vertrag mit dem Museum zu haben, weshalb ich hier "nichts zu suchen habe". Dann könne sich ja genauso gut "jeder Ausländer von der Straße in unsere Büros setzen".

Ich erwiderte, dass mein Vertrag zwar mit einem anderen Institut abgeschlossen wurde, doch da dieses kein eigenes Büro habe, leisteten die Gedenkdiener schon seit zehn Jahren ihren Dienst im Museum ab. Ob das noch niemandem aufgefallen sei? Der Gesprächston wurde darauf rasch noch unfreundlicher, weshalb ich vorschlug, die Nummer des Gedenkdienstbüros zu hinterlegen, damit das HDKE die Angelegenheit selbst und vor allem ohne mich regeln könne.

Froh und erleichtert, dieses Gespräch endlich beenden zu können, wandte ich mich zum Gehen. Ich konnte mir noch immer keinen Reim darauf machen, warum ich überhaupt und vor allem auf so feindselige Weise aus dem Museum geworfen wurde. Doch mit einem Fuß am Gang bekam ich noch eine Art Erklärung hinterhergerufen: "Ich weiß doch, wie schön Sie über das faschistische Ungarn schreiben können, Herr Pigl.“ Ich blieb ruckartig stehen. "Sie haben meinen Artikel gelesen?“ fragte ich erstaunt. Als Antwort bekam ich nur ein vielsagendes Grinsen. "Ich verstehe, vielen Dank.“ Und schloss die Tür.

Andere Zeiten

Es war schon die zweite Situation an diesem Tag, für die ich einige ungläubige Momente brauchte, um sie vollends zu begreifen. Ich musste so bald wie möglich mein Büro verlassen, und allem Anschein nach deshalb, weil ich einen Leserartikel mit unerfreulichem Inhalt geschrieben hatte. Ich hatte gerade Politik hinter den Kulissen zu spüren bekommen.

Im "Zeit“-Leserartikel bezeichnete ich Ungarn übrigens zwar nie als „faschistisch“, kritisierte die Regierung aber sehr wohl für ihre nationalistische Rhetorik. Weil am Tag darauf ein ungarisches Radio diesen Artikel kurz erwähnte, wurden sogar einige meiner Mitarbeiter darauf aufmerksam. Sie erinnerten mich gleich darauf eindringlich, dass das Museum rein staatlich finanziert ist und ich deshalb leicht in Unannehmlichkeiten geraten könne – "du bist hier in Ungarn, nicht in Österreich. Hier herrschen noch andere Zeiten.“ Doch ich winkte jedes Mal ungläubig ab. Wen kümmert schon der Leserartikel eines 18-jährigen, ausländischen Hobbyjournalisten? Meine Mitarbeiter sollten recht behalten.

Bestätigung

Nachdem ich mein Büro geräumt hatte, konnte ich meinen Gedenkdienst ohne Probleme an einem anderen Arbeitsplatz, dem "Verein für Naziverfolgte in Ungarn", fortsetzen. Es ist ein weitaus kleineres Büro und befindet sich ironischerweise gleich um die Ecke von Viktor Orbáns Arbeitsplatz, dem ungarischen Parlament.

In absehbarer Zeit werde ich aber auch dieses Büro räumen müssen. Gerade mal eine Woche bleibt mir noch von meinem Gedenkdienst in Budapest. Von den Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, werden mir meine ersten Schritte in der Welt des ungarischen Journalismus wohl noch länger in Erinnerung bleiben. In meinem am Anfang des Jahres in Budapest gefassten Entschluss, Journalist werden zu wollen, hat mich diese Erfahrung jedoch nur noch mehr bestärkt. (Andreas Pigl, derStandard.at 27.8.2014)