Christiane Funken, Professorin an der Technischen Hochschule zu Berlin

Foto: Christian Fischer

No return on investment. Mit dieser frustrierenden Erkenntnis verlassen Frauen im Management rund um die 50 "freiwillig“ ihre Konzerne. Vulgo: Es wurde und wird nicht entlohnt, was die Frauen in mindestens zwei Dekaden für die Unternehmen eingebracht haben. Also ziehen sie ihr Know-How, ihr (oftmals in diesen Jahren nach den Kindern neu gestärktes) Engagement ab und verwirklichen sich anderswo.

Die deutsche Professorin für Mediensoziologie und Geschlechterforschung an der Technischen Universität zu Berlin, Christiane Funken, hat vor einigen Jahren mit diesen ihren Forschungsergebnissen für eine Menge Unbehagen in der Konzernwelt gesorgt.
Nun hat sie sich die Generation 35+ vorgenommen und erforscht: Wie geht es diesen Führungskräften in den großen Unternehmen und in Wissenschaftseinrichtungen?

Immerhin: Sie sind es ja, die demnächst einmal ganz nach oben aufrücken sollen und daher für die Arbeitswelt der kommenden Jahre durchaus stark prägend sind.
Ausgehend davon, dass "die kritische Reflexionsphase“ in diesen Wirtschaftsjobs schon weit vor der so genannten Lebensmitte einsetzt, stand die bange Frage im Hintergrund, ob die bisherigen Berufserfahrungen der 35+ möglicherweise zu Ausstiegsszenarien führen oder geführt haben.

Gibt sich diese Generation in den Wirtschaftsetagen auch dem Wunsch nach alternativen Lebensentwürfen hin – oder bleibt sie im Karrierenhamsterrad mit Hoffnung auf vertikalen Aufstieg? Neue, besonders kräftezehrende Arbeitsbedingungen (von 24/7 bis zur Matrix-Organisation und dem Zwang zur permanenten Selbstoptimierung) lassen den Traum von Alternativen ja eigentlich vermuten. Oder? Und: Bleibt es beim Traum?
Christiane Funken hat die Antwort darauf in drei Gruppen geclustert. Sorgen sollte sich die C-Suite über alle drei machen:

Die Kulturkritischen sie sind äußerst ehrgeizig und haben konkrete Karriereziele in Form bestimmter Positionen, die sie erreichen möchten. Die bisherigen Karriereverläufe zeichnen sich durch große Eigeninitiative und Zielstrebigkeit aus. Karriere gilt als etwas, das Schritt um Schritt geplant wird. Ihr Aufstiegswille ist dezidiert. Der Frauenanteil in dieser Gruppe ist gering. Alle sind machtorientiert und statusorientiert. Hohe Gestaltungsaffinität sei in dieser Gruppe zentral wichtig, betonte Christiane Funken anlässlich eines Netzwerktreffens der ÖBB-Frauen in Wien, wo sie ihre neue Studie vorstellte.

Damit kommt sie auch gleich zum Dilemma der Kulturkritischen: Sie wollen etwas bewegen, organisationale Prozesse verändern, verbessern, eigene Ideen einbringen, dem Unternehmen eine neue Form geben. Dabei haben sie bis jetzt aber die "desillusionierende Erfahrung“ gemacht, dass dies nicht gewollt wird. Sie nehmen ihre Konzerne also als eine Arena wahr, in der sie Fremdbestimmung und Kontrolle ausgesetzt sind. Die Kluft zwischen proklamierten Leitbildern neuer partizipativer Kultur und tatsächlich geforderter Anpassung und Unterordnung wird als besonders groß empfunden. Sie erleben sich als entmündigt.

Mit der Unternehmenskultur gehen sie hart ins Gericht: Es fehle an Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern, welche "drangsaliert“, „verbrannt“ würden und „innerlich gekündigt“ seien, heißt es in den Interviews. "Mehr als bedenklich“ kommentiert Funken. Kurz: Die "Kulturkritischen“ wollen aussteigen – am liebsten in kleinere Strukturen, in denen sie sich die Welt heiler vorstellen, wo sie sich nicht so "verbiegen“ und "verstellen“ müssen.

Die Dynamischen sie erleben die Konzernwelt als ein Terrain, das ihnen eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Sie haben im Gegensatz zu den „Kulturkritischen“ positive Erfahrungen mit ihren Vorgesetzten. Sie haben auch hohe Karriereaspiration, planen aber nicht voraus. Sie gehen eher situationsabhängig vor, zeigen hohen Einsatz und viel Ambition, arbeiten gern in Projekten.

Dass Langfristplanung zur Illusion geworden ist, scheint bei ihnen angekommen. Dieser Typus passt seine Strategie an die neuen Unvorhersehbarkeiten an“, so Funken. Bewegung ist für die "Dynamiker“ essentiell, diese Frauen und Männer seien unruhig. Positions- und Funktionswechsel in kurzen Abständen sind für sie selbstverständlich. Funken: "Dynamiker haben das Postulat der fortwährenden Veränderungsbereitschaft zum Bestandteil ihrer Identität gemacht.“

Es liege nun an der Achtsamkeit der Konzerne, die von dieser zugvogelartigen Daseinsform ja profitieren, Sorge zu tragen, dass der von ihnen herauf beschworene Geist sich nicht gegen sie wendet, warnt die Professorin. Denn: Stillstand ist für diesen Typus keine Option, dann ist er weg.

Die Entschleuniger sie wurden "nach oben gespült“, also haben ihren Aufstieg bis jetzt nicht gezielt geplant, sondern wurden aufgrund fachlicher Exzellenz oder guter Leistung quasi entdeckt. Und gefördert.

Prägendes Merkmal ist die große inhaltliche Orientierung – vertikaler Aufstieg liegt also nicht wirklich im Fokus. Aber auch die Beobachtung und die Erfahrung der Leistungsverdichtung machen ihnen weitere Führungsverantwortung gar nicht schmackhaft. Arbeitsklima und Arbeitsethos in der hyperbeschleunigten projektifizierten Organisation sind für sie besonders unbefriedigend. In den Tiefeninterviews berichten sie von "Pseudoaktivismus“, von „organisationalen Ansprüchen fernab jedweder Realität“. Das geht mit dem Qualitätsanspruch an die eigene Arbeit gar nicht zusammen. Übergroßer Zeitdruck löst rundum Unbehagen aus.

"Bei diesen Führungskräften zeigen sich Auswirkungen von subjektivierter Arbeit, die auf dem Rücken der Individuen ausgetragen wird, mit aller Vehemenz: Den organisationalen Versuchen, sie mit Haut und Haar in Beschlag zu nehmen, setzen sie Entschleunigung und bewussten Verzicht auf weitere Karrieremöglichkeiten entgegen“, sagt Funken.

Sie leiden besonders darunter, dass der Umgang mit Personal im besten Fall als „nachlässig“ empfunden wird und organisationale Trägheit sowie starre Strukturen kaum Entwicklungsmöglichkeiten zulassen. Deswegen nehmen sie auch Umstieg, wenn nicht Abstieg in kauf. Human Resources vergeude hier wertvolle Ressourcen, so Funken. (DER STANDARD, 23./24.08.2014)