Bukarest - In Rumänien steht seit Montag ein weiterer "kommunistischer Henker" vor Gericht: Ioan Ficior, der 1958 bis 1963 das Zwangsarbeitslager von Periprava an der Donau leitete, habe laut Anklage durch seine Gräueltaten den Tod von 103 politischen Häftlingen verschuldet - allerdings berichtete ein Zeitzeuge, dass allein in der Zeit vom Winter 1959 bis zum Frühjahr 1960 über 270 Personen umgekommen seien.
Der heute 85-Jährige zeigt keinerlei Reue. Das Kernstück des von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Anklageschreibens gegen Ficior sind dabei Zeitzeugenberichte Dutzender ehemaliger Häftlinge, die seine Folter überlebt haben. Diese erzählen, dass "das Verprügeln an der Tagesordnung war" und "die Häftlinge nachts im Schlaf vor lauter Hunger kauten". Einer der Häftlinge erinnert sich an Ficiors Drohung, dass er ihn "im Kuvert nach Hause schicke", eine Anspielung auf den Todesschein, der den Familien im Todesfall übermittelt wurde. Einem der Zeitzeugen versetzte Ficior mit einer Stange einen so heftigen Schlag, dass er ihm das Schulterblatt brach.
Aus den Zeugnissen geht außerdem hervor, dass Ficior angeordnet hatte, dass die Suppe, die den Insassen täglich ausgeteilt wurde, nur 14 Gerstengraupen zu enthalten hatte. Jene Häftlinge, die dabei erwischt wurden, dass sie von den zu erntenden Maiskolben aßen, wurden bestialisch geschlagen, oft bis zur Bewusstlosigkeit, nachdem ihre "Schuld" durch ein improvisiertes "Gericht" festgestellt wurde. Das Trinkwasser für die Häftlinge stammte direkt aus der Donau. Die meisten Todesfälle in Periprava traten infolge des Aushungerns ein.
Einer der ehemaligen Häftlinge berichtete, dass er gezwungen wurde, Gras mit den Zähnen auszureißen. Drei Adventisten, die sich weigerten, am Samstag zu arbeiten, mussten stundenlang mit nackten und mit Draht gefesselten Füßen in gefrierendem Wasser verharren. Die Strafe für die Nichterfüllung der Norm bei der Ernte war es, 21 Tage lang drei Kilogramm schwere Ketten an den Beinen zu tragen. Zeitweise wurden täglich fünf oder sechs Leichen in Strohmatten gewickelt, an Kopf- und Fußende mit Draht festgebunden, mit einem Pfahl durchstochen und mit einem Betonklotz beschwert. Mit dem Holzwagen, der auch für die Latrinenabfälle diente, wurden sie zur Donau transportiert und hineingeworfen. Zu Ficiors unmenschlichen Repressivmaßnahmen gehörte auch, dass er mit dem Pferd über die Leichen sprang.
25 Jahre nach der Wende ist Ficior einer der bisher nur fünf ehemaligen Gefängnisleiter, gegen die wegen Verbrechen an der Menschlichkeit Anklage erhoben wurde, und erst der zweite, der tatsächlich vor Gericht steht. Ficior hatte vor Periprava auch das Gefängnis von Poarta Alba geleitet. Viele Jahre nach der Wende blieben Folterer wie Ficior unverfolgt und bezogen teilweise satte Pensionen, welche jene ehemaliger Häftlinge um ein Vielfaches überschritten. Das Institut zur Erforschung kommunistischer Verbrechen (IICMER) hat bisher insgesamt 35 "kommunistischen Henker" identifiziert. (Laura Balomiri/APA, 19.8.2014)