Während sich die westliche Öffentlichkeit und die Staatskanzleien der EU, vom israelisch-palästinensischen Konflikt fast völlig in den Bann geschlagen, mit der Frage beschäftigten, ob Israels Vorgehen gegen die terroristische Hamas "verhältnismäßig" sei, geschah in großen Teilen Iraks und Syriens ein Völkermord gegen Jesiden, Christen und Kurden. Die islamischen Fanatiker der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) morden, brandschatzen und vergewaltigen mit beispielloser Gewalt. Sie verbreiten sogar über ihre Grausamkeiten triumphale Videos im weltweiten Netz. Der jihadistische Terror ist kein regionales Problem. Durch die vielfach bestätigte Wirkung auf muslimische Jugendliche stellt er ein bisher unterschätztes Gefahrenpotenzial auch für die innere Sicherheit der westlichen Gesellschaften dar.

In einem aufsehenerregenden Leitartikel der Welt geißelte kürzlich der Chefkommentator Jacques Schuster die Gleichgültigkeit und die Leisetreterei der Weltgemeinschaft: "Es kommt in Deutschland und bei seinen Nachbarn nicht auf die Zahl der Opfer an, um aufzuschreien. Es ist entscheidend, um welche Toten es sich handelt. Sterben einige tausend Palästinenser in einem Krieg, den ihre Führung begonnen hat, treibt es die Menschen auf die Straßen, weil endlich einmal wieder gegen Israel gewettert werden kann. Schlachten Araber andere Araber und Kurden zu Zehntausenden ab, sind sie im Begriff einen Völkermord zu begehen, dann ist das hierzulande für viele Zeitgenossen zwar traurig, aber weit weg."

Man muss auch seiner These über die Schlüsselrolle der Vereinigten Staaten von Amerika zustimmen: Ohne Amerika herrschte im Nahen Osten nicht nur Chaos, sondern es bräche auch ein Blutrausch sondergleichen aus. In der Tat hat bisher nur eine einzige Macht, die USA, mithilfe von Luftangriffen und Kampfdrohnen den Vormarsch der terroristischen Organisation IS aufgehalten und die ins Gebirge geflüchteten Menschen geschützt bzw. mit Lebensmitteln aus der Luft versorgt. Die Bombardierung der IS-Truppe durch die amerikanischen Kampfflugzeuge begann am 8. August. Die EU-Außenminister stritten noch eine Woche später in Brüssel über die Frage der Waffenlieferungen für die Kurden in Irak.

Trotz aller Fehler und Missgriffe der Obama-Administration, trotz des Überwachungswahns, der den eigenen Interessen schadet, beweist auch dieser oft zaudernde und introvertierte 44. US-Präsident Solidarität in der Not, Führungsbereitschaft und Tatkraft. Die vielen hämischen Amerika-Kritiker dürfen auch nicht vergessen, dass trotz der größten Europakrise seit Jahrzehnten infolge Putins nationalistischer Expansionspolitik die Vereinigten Staaten mehr denn je das Rückgrat der Nato bilden, während die meisten europäischen Staaten nach wie vor nicht mehr für ihre Verteidigung tun.

Obamas Ansehen wies Mitte Juli einen neuen Tiefststand auf: 57 Prozent der Befragten glauben, dass er nicht führe und ein Versager sei. Gerade wegen der Schlüsselrolle der USA bedeutet sein Image als "lahme Ente" nach einer glänzenden Wiederwahl, die innenpolitische Polarisierung und die Positionskämpfe vor den Kongresswahlen im November einen weltpolitischen Unsicherheitsfaktor. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 19.8.2014)