Die Neos sind als Partei der leistungswilligen (oberen) Mittelschicht angetreten, der (middle) Manager, Selbstständigen, Kreativen und Freiberufler, die sich in ihrer Entwicklung nicht von sturen Gewerkschaftsfunktionären und unbeweglichen Kammer-Kommerzienräten behindern lassen wollen (und die mit dem Geschrei der FPÖ nichts im Sinn haben).

Nach anfänglichen Erfolgen ist es den Neos gelungen, sich das Image von Millionärsverstehern, Wasserprivatisierern und eiskalten Sozialstaatskürzern aufpappen zu lassen. Die Performance von Neos-Chef Matthias Strolz im letzten Sommergespräch des ORF trug dazu bedeutend bei.

Strolz verließ sich zu sehr auf seine langsam abgenutzten Sprüche (" Pensionen enkelfit machen"!) und seine überdrehte Art. Allerdings waren das neue, populistische Format der Sendung ("Wir lassen jetzt endlich den kleinen Mann mit seinen Sorgen und Ängsten zu Wort kommen") und der Moderator Peter Resetarits mit seinem "Anwalt des Volkes"-Ansatz für Strolz schwer zu handhaben. Seine Partei will alte, schädliche Muster der österreichischen Realverfassung durchbrechen, alte Mythen des Sozial- und Steuerstaates knacken - und dann kommt ihm Resetarits mit dem Pensionsklau ("Wollen Sie den Pensionisten was wegnehmen?").

Ein Übriges tat der ORF nachher in der ZiB 2. Die Einrichtung des sogenannten "Faktenchecks" ist eine gute Sache. Nur muss man dabei alle Aspekte in die Bewertung einbauen. Die ORF-Faktenchecker urteilten, Strolz' Behauptung, die Schweden gingen um sechs Jahre später in Pension als die Österreicher, stimme "eher nicht". Es seien weniger. Dabei wurden aber nur die reinen Alterspensionen und nicht die Invaliditätspensionen gezählt (die es in Schweden so nicht gibt). In Österreich bezogen 2012 immerhin 286.000 Personen eine Invaliditätsperson. Sogar der SPÖ-Sozialminister versucht die Invaliditätspensionen von Menschen unter 50 durch Rehab-Maßnahmen zu ersetzen, weil hier ein relativ hoher Missbrauchsfaktor vermutet wird: 44,5 Prozent (!) der Invaliditätspensionen werden wegen psychischer Probleme zuerkannt. Burnout im Job ist eine Realität, aber in dem Ausmaß? Die Invaliditätspensionen nicht zur Wirklichkeit der österreichischen Pensionswelt zu rechnen ist kein Faktencheck.

Das Problem der Neos ist es, dass sie gegen Schlagworte wie "soziale Kälte" und "Neoliberalismus" kämpfen müssen, wenn sie eine Neuaufsetzung unseres sozial- und steuerpolitischen Systems verlangen.

Das kann nur gelingen, wenn sie klipp und klar sagen, was konkret sie für welche Schicht verändern wollen, ohne das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft zu verlassen. Gleichzeitig muss die Führungsspitze aber auch die Marktradikalen an den Rändern der Partei in den Griff bekommen ("Unbefristete Mieten sollen jederzeit kündbar sein"). Das ist alles unendlich mühsam, muss aber sein, wenn der Ansatz zu einer modernen Reformpartei nicht gleich wieder zerbröseln soll. Die Zeit für Sprüche aus dem Motivationsseminar ist vorbei. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 16.8.2014)