Salzburg-Debütant Andreas Kriegenburg: "Es ist die Geschichte einer im Krieg zerstörten Seele."

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STANDARD: Don Juan verführt 35 Frauen, verkörpert werden sie von neun Schauspielerinnen: Weil Ödön von Horvath sagte, es gäbe gar nicht so viele verschiedene Frauentypen, sondern nur neun?

Kriegenburg: Klar, man könnte auch 35 Frauen spielen lassen. Aber wir stürzen uns mit Vergnügen auf diese Typisierung. Die Schauspielerinnen genießen es sehr, sich selber, Momente der Entlarvung oder der Schwäche zu bespötteln.

STANDARD: Neun Frauen, ein Mann: schwierige Konstellation?

Kriegenburg: Nein, das ist eine große schwesterliche Gemeinschaft; die paar Männer, die an der Produktion beteiligt sind, werden freundlich mitgeschleift, sind aber ein bisschen außen vor, was aber auch sehr schön ist. Der Abend lebt von diesen neun Frauen, sowohl was die Spiellust, den Esprit, als auch, was die Trauer, die Bitterkeit betrifft. Ich habe Max von Beginn an gesagt, dass er nicht versuchen soll, den Abend auf seine Schultern zu laden. Er ist ja eher eine Projektionsgestalt und auch szenisch eine arme Figur.

STANDARD: Dem die Frauen reihenweise verfallen. Warum?

Kriegenburg: Das ist eine nicht zu beantwortende Frage. Man weiß ja nicht genau, wie er die Frauen verführt, durch das ungezügelte, animalische Wesen: er, das Tier, das die Frauen bändigen, dessen Wildheit sie sich aussetzen wollen. Oder verführt er durch Ablehnung, sagt Nein, strahlt aber ein Ja aus. Das wird bei Horvath nicht begründet. Und dann ist da natürlich auch die Gier, die Sehnsucht nach Liebe, nach Leben.

STANDARD: Auch die Gier nach Besitz?

Kriegenburg: Ja, der Anspruch, besitzen zu wollen, ist groß. Es ist ja nicht so, dass die Frauen diesen Don Juan großzügig teilen, weil es außer ihm keine anderen Männer gibt. Sondern es entstehen sofort Fronten, jede will ihn für sich allein haben, eben besitzen. ´

STANDARD: Die Frauen etablieren kein neues Wertesystem?

Kriegenburg: Man könnte denken, sie tun's. Stimmt aber nicht. Sie verschenken das über den Krieg Verlorene, all den Stolz, den sie haben, sofort an ihn - und machen sich wieder zu Opfern.

STANDARD: Aber ist nicht auch Don Juan ein Opfer - des Krieges und der Frauen?

Kriegenburg: Don Juan ist vor allem Opfer seines Namens. Ich habe Max gesagt, er könne ruhig ablehnend mit den Frauen umgehen - sie würden ihm sowieso verfallen, weil Horvath es so vorgeschrieben hat. Letztendlich benutzen ihn die Frauen. Seinen Wunsch, ein anderer zu werden, im einfachsten Sinn sesshaft zu werden, zu Hause bei seiner Braut anzukommen, gestehen sie ihm nicht zu. Das ist die Geschichte einer im Krieg zerstörten Seele.

STANDARD: Hat er nicht das Gefühl, geläutert und verändert aus dem Krieg zurückgekommen zu sein?

Kriegenburg: Verändert: Ja. Geläutert: So weit würde ich nicht gehen. Er hat sicherlich seine bisherige Lebensweise, dass er seine Braut tief verletzt hat, reflektiert. Für mich stehen hier zwei Theaterebenen gegeneinander: auf der einen Seite die wandlungsfähigen Frauen, die oft überzogen, also nicht im psychologisch realistischen Sinn reagieren. Sie zeigen und beschreiben Typisierungen, Überzeichnungen. Dazwischen, wie ein Spielball des Authentischen, erlebt Don Juan wirklich den Herzschmerz und die Krankheit, das Fieber, die Wut, den Ekel, den Hass und die Verlorenheit. Während sich um ihn herum alle permanent verwandeln, ist er im Gefängnis der Authentizität gefangen.

STANDARD: Aus diesem Gefängnis will er entkommen: ins Leben oder in den Tod?

Kriegenburg: Das macht keinen Unterschied. Er will einfach nur raus. Für uns ist das Bild der Passionsgeschichte, der Wanderung, wichtig. Das Stück beginnt mit der Reise; dann gibt es den Zwischenstopp der Verführung, seine Erkenntnis, dass er benutzt wird und er wieder fliehen muss; und am Schluss kommt er an im Schnee, in der Kälte, die er vorher auch innerlich gespürt und die man ihm vorgeworfen hat, und die nun in seiner toten, kalten Braut eine Entsprechung findet.

STANDARD: Ist es eigentlich ein moralisches Stück?

Kriegenburg: Dazu ist es zu verwirrend. Das Faszinierende ist, dass Horvath Angebote in viele Richtungen macht, die er wieder revidiert oder unscharf macht. Es hat moralische und sehr berührende Momente. Gleichzeitig ist es wie eine rasche Skizze, wie in die Verwirrung zwischen Inflation und Partyrausch hineingeschrieben.

STANDARD: Überall um uns herum herrschen Krieg und Gewalt: Wie sehr beeinflusst das Ihre Arbeit?

Kriegenburg: Es ist ein Aberwitz, der unsere Produktion begleitet. Wir beschäftigen uns mit dem hundert Jahre entfernten Weltkrieg, aber diese Zeitspanne ist angefüllt mit großen Kriegen und kleinen Scharmützeln, mit deren Betrachtung aus der Ferne wir uns abgefunden haben. Nun bemerke ich an mir und meiner Umgebung, dass wir es müde sind, ein Agreement mit dem Irrsinn zu machen. Der Zusammenhang zwischen Krieg und Lüge ist unauflösbar. Jeder, der Krieg fordert oder begründet, lügt.

STANDARD: Teil des Bühnenbilds sind hunderte Feldpostkarten, die von der Decke hängen ...

Kriegenburg: Insgesamt werden es 30.000 sein, die teils auch verlesen werden. Ich wollte Horvaths Figuren auf eine Spielfläche setzen, die eine ganz bestimmte Wortmelodie hat. Die Feldpostkarten legen Zeugnis ab von dem Kontrast zwischen dem Hurra, mit dem jemand in den Krieg gezogen ist, und dem Erschrecken, das er auf Karten an seine Liebste zu formulieren versucht. Der Erste Weltkrieg war der erste große Krieg der Feldbriefe, das bestimmt die Don-Juan-Figur: Briefe schreiben, Antwort erwarten von der Liebsten.

STANDARD: Sie inszenieren seit einiger Zeit auch Oper - weil es die abstrakteste Theaterform ist?

Kriegenburg: Ja, aber durch die Musik auch die emotionalste. Am Beginn stand der Reiz des Unbekannten. Es klingt vielleicht kokett, aber ich dachte: Da muss ich wieder neue Begrifflichkeiten und Wirkungsmechanismen lernen. Mir als einem Regisseur, der sehr bildhaft arbeitet, kommt Oper sehr entgegen. Ich versuche, den Orchestergraben wieder mit der Bühne zu verknüpfen und genau die Szene zu finden, die diese Musik unabdingbar macht.

STANDARD: Sind Sänger nicht noch mehr Kritik ausgesetzt? Jeder kleinste Misston wird registriert.

Kriegenburg: Mich fasziniert, mit Sängern zu arbeiten, die den Mut haben, die hohe Fähigkeit des Belcanto durch die Figur in Gefahr bringen zu lassen. Die so lange um den Ton ringen, bis sie sagen: Was die Figur erleidet, ist stärker als das, was ich dem als Sänger entgegensetzen kann. Dann erlebt man eine Intensität des Akteurs auf der Bühne in einer ganz anderen Dimension, als Schauspieler es können. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 16.8.2014)