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"Unterschiedliche Meinungen in einer Geschäftsführung sind ja nichts Schlechtes. Wenn alle immer einer Meinung sind, wären womöglich einige zuviel."

Richard Grasl über sein Faible für Innsbruck als Song-Contest-Standort, das höhere Risiko in Wien - und erstmals begleitendes Controlling auf Seite 1 dieses Interviews.

"2017 muss man die Gebühren neu kalkulieren. Aus heutiger Sicht gibt es keinen Plan, das schon früher zu tun - was gesetzlich möglich wäre."

Der Finanzdirektor über die nächste Gebührenerhöhung und wo nicht nur den öffentlich-rechtlichen Sender die gestrichene Abgeltung von Gebührenbefreiungen schmerzt - auf Seite 2.

"Wenn man sieht, wie junge Menschen auf Schlagerstars wie Helene Fischer abfahren, muss man sich fragen: Ist Helene Fischer automatisch ORF 2? Diese Debatte muss man ohne Tabus führen."

Wie Grasl gerne den jüngeren TV-Kanal ORF 1 aufforsten würde - auf Seite 3.

"Man sollte nicht jede Entscheidung im ORF bis 2016 unter dem Aspekt sehen, dass dann eine Wahl bevorsteht. Wir entscheiden nicht mit Blick auf 2016."

Grasl über mehr Bundesländer-Programm in ORF 2 und einen neuen Fernsehkanal des ORF für Bundesländer-Programm - er spricht von einem "reinen Österreich-Spartenkanal" - auf Seite 4.

"Oder ich werde Überraschungskandidat als Sänger beim Song Contest."

Warum das und die Nachfolge Erwin Prölls in Niederösterreich für ihn "kein Thema" ist - auf Seite 5.

"Wir werden keinen Schuhhandel aufziehen wie ProSiebenSat.1 mit Zalando. Das ist nicht die Aufgabe des ORF."

Grasl über seine "Vision" vom Medien-Innovationsstandort Küniglberg, der Startups Bleibe, Support und Geld bieten soll - auf Seite 6.

"Wenn ProSiebenSat.1Puls4 sich bei der Medienbehörde beschwert, dass der ORF sie bei der Champions League überboten hat - dann wäre vielleicht ein kleiner Teil der Boni hier besser investiert gewesen. Die Geschichte vom armen Privatsender ist spätestens mit diesen Bonuszahlungen nicht aufrechtzuerhalten."

Über Boni und Babies: Was Grasl aus Managergehältern bei ProSiebenSat.1 für Österreichs Medienpolitik und Medienbehörden schließt - und warum er über einen Papamonat verhandelt, den er selbst nicht macht - auf Seite 7 des Interviews.

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STANDARD: ORF-Chef Alexander Wrabetz hat entschieden, dass der Song Contest 2015 in der Wiener Stadthalle stattfindet. Nach unseren Informationen haben Sie sich als Finanzdirektor ausdrücklich per Aktenvermerk von der Entscheidung distanziert. Was können wir daraus schließen?

Grasl: Auch aus der Sicht des ORF-Finanzdirektors ist Wien ein hervorragender Austragungsort. Allerdings muss der Finanzdirektor wohl aus Prinzip für das beste finanzielle Angebot sein. Die Fernsehdirektorin favorisiert den optimalen Standort für die Show. Schlussendlich gibt es einen Alleingeschäftsführer, der all diese Kritierien dann bewertet und eine Entscheidung zu treffen und zu verantworten hat.

STANDARD: Sie wollen sie - siehe Aktenvermerk - ausdrücklich nicht mitverantworten.

Grasl: Ich habe darauf hingewiesen, dass Innsbruck das beste finanzielle Angebot hat. Mich hat vor allem auch das Angebot fasziniert, dass dieser Veranstaltungsort auch alle allfälligen Kostenüberschreitungen übernommen hätte. Einen Song Contest veranstaltet man nicht jedes Jahr, mit einem solchen Ereignis hat man also wenig Erfahrung. Kopenhagen hat mit den dreifachen Kosten gezeigt, dass auch andere diese Erfahrung nicht haben. Das hätte daher auch weniger Risiko für den ORF bedeutet. Darauf habe ich hingewiesen. Aber wenn der Geschäftsführer das anders sieht, hat er das Recht, anders zu entscheiden, und das trage ich selbstverständlich mit.

STANDARD: Aber erst distanzieren Sie sich von der Standortentscheidung für den Song Contest?

Grasl: Im Gegenteil: Wir stehen absolut dazu, dass wir hier in Wien einen tollen Song Contest austragen werden - mit Unterstützung der gesamten Geschäftsführung. Wien bietet für eine solche Veranstaltung wirklich alles, was man dafür braucht. Unterschiedliche Meinungen in einer Geschäftsführung sind ja nichts Schlechtes. Wenn alle immer einer Meinung sind, wären womöglich einige zuviel. Man diskutiert, aber wenn eine Entscheidung getroffen ist, tragen sie alle mit. Das halten Alexander Wrabetz und ich seit viereinhalb Jahren so, und das ist auch dieses Mal so.

STANDARD: Und Sie legen schon Geld beiseite, falls der Song Contest ein paar Millionen mehr kostet als angenommen und von der Stadt übernommen

Grasl: Wir werden wie bei allen Projekten sorgfältig budgetieren und schauen, dass die Budgets auch eingehalten werden.

STANDARD: Sicherheitshalber soll es aber begleitendes Controlling geben, hört man.

Grasl: Ja, das hat aber mit der Standortentscheidung nichts zu tun. Bisher prüfen externe Wirtschaftsprüfer, beauftragt von der Medienbehörde, ob im Jahr zuvor alles in Ordnung war. Ich habe jetzt erstmals - in Absprache mit Prüfungskommission und KommAustria - um eine begleitende Kontrolle ersucht. Die beiden Wirtschaftsprüfer sind schon 2014/15 mit dabei. Und das halte ich bei einem Projekt dieser Größenordnung für wichtig.

STANDARD: Was wird der Song Contest denn nun - planmäßig - kosten?

Grasl: Wir haben 25 Millionen Euro brutto budgetiert. Wir rechnen mit rund zehn Millionen Euro Einnahmen.

STANDARD: Die zehn Millione kommen aber nicht alleine aus Beiträgen der Stadt

Grasl: Nein, das kommt aus Ticketerlösen, aus Teilnahmegebühren der Länder, von Sponsoren und Beiträgen der Host City. Unser Ziel ist, möglichst viel Geld von den 25 Millionen in eine tolle Show zu investieren.

Was der Song Contest das übrige Fernsehprogramm kostet - und wann die nächste Gebührenerhöhung ansteht - auf der nächsten Seite


  • "Mindestens zehn Millionen" extra für's TV-Programm

STANDARD: Das wird ja eine ganze Kette von Shows vom Casting des österreichischen Beitrags ab Anfang 2015 bis zum Contest-Finale am 23. Mai 2015. Im ORF-Fernsehen befürchtet man: Das bringt zwar punktuell viele Zuschauer, geht wieder auf Kosten des übrigen Fernseh-Programmbugets.

Grasl: Der Song Contest ist ein Sonderbudget, das auch im TV-Budget zu tragen ist. Wir haben allerdings schon entschieden, dass wir dafür auch Reserven verwenden, die wir in den vergangenen vier Jahren bilden konnten. Wir wollen so den Anteil am operativen Fernsehbudget so gering wie möglich halten, damit wir 2015 auch abseits des Song Contest möglichst gutes Programm machen können.

STANDARD: Laut Info an die Stiftungsräte läuft das Geschäft heuer so gut, dass Sie mehr Geld als budgetiert für das TV-Programm lockermachen konnten - etwa für Events wie Starnacht und Grillshow und Kulturübertragungen wie Grafenegg und Salzburg. Wieviel war denn das extra?

Grasl: Mir ist als Finanzdirektor wichtig, dass wir generell vorsichtig budgetieren. Werbeentwicklung und andere Paramenter lassen sich schwer einschätzen. Aber wenn wir besser performen, investieren wir 1:1 ins Programm. Wir können heuer unterjährig mindestens zehn Millionen Euro zusätzlich ins Programm stecken.

STANDARD: Woher kommen die Millionen? Mehr Werbung gar?

Grasl: Die Werbung läuft ein bisschen besser. Wir haben aber vor allem auf der Kostenseite - Personal, geringere Abschreibungen und andere Positionen - Spielräume. Ich halte das für den richtigeren Weg, so vorsichtig zu budgetieren, als ins Risiko zu gehen und am Ende womöglich wieder vor einem Minus zu stehen. Und wie wichtig es ist, dass wir auch Reserven bilden, zeigt sich jetzt mehr denn je, auch wenn das von Mitbewerbern oft als unverständlich angesehen wird. Die laufen dann sofort zur Politik und behaupten, der ORF hätte zu viel Geld. Leider meist ohne Ahnung von unserem Geschäft.

STANDARD: Die Verhandlungen über das Budget 2015 haben gerade begonnen. Und schon wieder soll offenbar - nicht nur wegen des Song Contests - am Fernsehprogramm gespart werden.

Grasl: Geld, das man nicht hat, kann man nicht ausgeben. Wir müssen mit unseren Mitteln auskommen - und auch 2015 fehlen uns Positionen - etwa die Abgeltung von Gebührenbefreiungen durch den Bund.

STANDARD: Sie kommen ja offenbar ganz gut ohne die - in den vergangenen Jahren - 30 bis 50 Millionen Gebührenabgeltung aus.

Grasl: Ohne Refundierung mussten wir unser Angebot reduzieren. Mich schmerzt etwa, dass wir das Auftragsvolumen an die österreichische Filmwirtschaft zurückfahren mussten. Natürlich versuchen wir, den Schmerz so gering wie möglich zu halten, indem wir Fernsehproduktionen kostengünstiger machen oder die Ausstrahlung verschieben. Die Auswirkungen fallen heuer vielleicht noch nicht so ins Auge, vielleicht auch nächstes Jahr noch nicht - aber längerfristig wird man das spüren, weil uns auch Repertoirewerte verloren gehen. Ob es sich rein wirtschaftlich ausgeht oder nicht - das sagt im Übrigen nichts darüber aus, ob der Anspruch auf Gebührenrefundierung berechtigt ist.

STANDARD: Sie verabschieden sich aber vermutlich nicht von der Hoffnung?

Grasl: Ich werde weiter jedem Politiker bei jeder Gelegenheit darlegen: Wenn die Politik richtigerweise möchte, dass sozial schwache Menschen von den Gebühren befreit werden, dann sollte sie auch dafür aufkommen wie bei allen anderen vergleichbaren Leistungen. Bei allen Sparzwängen des Bundes, die man natürlich auch sehen muss - es bleibt unverständlich, warum das für den ORF nicht gelten sollte.

STANDARD: Viel Bereitschaft ist in der Politik nicht bemerkbar.

Grasl: Das stimmt leider.

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STANDARD: Alle fünf Jahre muss der ORF prüfen und rechtfertigen, wieviel Gebühren er für seinen Auftrag braucht. Im Ergebnis bedeutet das: alle fünf Jahre Gebührenanpassung, sprich: Erhöhung. Bis 2017 steht diese Prüfung an - lässt sich der ORF bis dahin Zeit?

Grasl: 2017 muss man die Gebühren neu kalkulieren. Aus heutiger Sicht gibt es keinen Plan, das schon früher zu tun - was gesetzlich möglich wäre.

STANDARD: Je näher die nächste ORF-Direktorenwahl 2016 rückt, desto unwahrscheinlicher eine Erhöhung

Grasl: Im Gesetz steht: Alle fünf Jahre oder bei wirtschaftlicher Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit richtet sich nicht nach Wahlterminen.

STANDARD: Der ORF wirkt auch nicht so, als würde er wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand stehen.

Grasl: Das ist ein Bild, das mir nicht gefällt. Aber: Es gibt schon Bereiche und Redaktionen, die am Limit arbeiten. Ich fürchte nur, das ist in der Medienbranche in vielen Betrieben so. Wir wüssten schon, was wir mit zusätzlichem Geld noch Gutes für das Programm und für die Zuseherinnen und Zuseher machen könnten.

Wie Grasl gerne ORF 1 aufforsten würde - und warum er "ohne Tabus" über Helene Fischer dort reden will - auf der nächsten Seite:


  • Helene Fischer - "ohne Tabus"

STANDARD: Bis zur nächsten Gebührenerhöhung muss die Fernsehdirektorin Jahr für Jahr an Geld und Quote sparen?

Grasl: Kathrin Zechner und ich beschäftigen uns im Budgetprozess sehr intensiv mit strategischen Maßnahmen im Programm. Wir sind uns sehr einig, dass es wichtig ist, insbesondere auch auf ORF 1 noch mehr österreichische, mehr deutschsprachige Programmfarbe hineinzubringen und nicht in großem Ausmaß auf amerikanische Serien zu setzen. Wir sehen ja, dass das funktioniert, wie aktuell gerade bei Elizabeth T. Spiras "Liebesgschichten und Heiratssachen".

STANDARD: Also mehr Geld für ORF 1?

Grasl: Wir sind noch nicht am Ende des Budgetprozesses. Aber wir wollen ORF 1 stärken, auch mit mehr österreichischem Programm. Ich unterstütze diesen strategisch richtigen Weg der Fernsehdirektorin und werde schauen, dass wir möglichst viel Geld dafür freimachen können. Wir werden sehen, wieviel sich da letztlich ausgeht. Eine Programmdirektorin will immer mehr Geld für das Programm und ein Finanzdirektor kann nicht mehr geben, als er hat - das ist nicht nur im ORF so. Aber wir werden einen Weg finden.

STANDARD: Wird das TV-Budget damit insgesamt größer - oder nur umgeschichtet?

Grasl: Ich hoffe, wir können ORF 1 stärken. Das geht aber auch, wenn wir einen Teil der Programme von ORF 2 für die jüngere Zielgruppe auf ORF 1 verschieben. Das würde die Budgetmittel zwischen ORF 1 und ORF 2 ein wenig anders aufteilen als bisher. ORF 2 geht förmlich über an österreichischem Programm, ORF 1 hat zuwenig davon. Mit programmplanerischen Initiativen kann man da auch einiges bewegen. Das ist ein laufender Prozess.

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Grasl und TV-Direktorin Kathrin Zechner.
Foto: APA

STANDARD: Mehr Österreichisches in ORF 1 hilft auch in den Debatten über eine strengere Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags und eine zu private, verwechselbare Programmierung von ORF 1.

Grasl: Das hilft sicher in der Diskussion um die Präzisierung des öffentlich-rechtlichen Auftrags. In erster Linie hilft es aber in der Akzeptanz der Zuschauerinnen und Zuschauer. Heimischen Produkte in ORF funktionieren. Sokos, Dienstagnacht, Liebesg'schichten. Mit verwechselbarer Programmware hingegen tun wir uns immer schwerer. Und das ist kein Vorwurf an die Verantwortlichen.

STANDARD: Über die heutige Programmier-Philosophie für ORF 1 und ORF 2 wird auf dem Küniglberg gewitzelt: Jede Sendung, in der ein Baum vorkommt, muss in ORF 2 laufen.

Grasl: Auch wenn das zugespitzt ist: Wir könnten mehr davon in ORF 1 brauchen.

STANDARD: Die Aufforstung von ORF 1?

Grasl: Wenn man sieht, wie junge Menschen auf Schlagerstars wie Helene Fischer abfahren, muss man sich fragen: Ist Helene Fischer automatisch ORF 2? Diese Debatte muss man ohne Tabus führen. Da hab auch ich die Wahrheit nicht gepachtet, aber man muss über einen interessanten Mix nachdenken.

Die TV-Direktion beklagt sich über zuwenig Geld für's Programm - und der ORF plant schon den nächsten Fernsehkanal - wie sich das ausgehen soll - auf der nächsten Seite:


  • Mehr Bäume auf ORF 1


STANDARD: Einerseits stöhnen die TV-Programmmacher über enge Budgets, andererseits denkt der ORF-Chef nun offenbar sehr konkret über einen weiteren Fernsehkanal - für die Bundesländer - nach. Dafür gibt es Geld? Wie passt das zusammen?

Grasl: Wir müssen mit unseren Budgets nicht nur schauen, wie wir das Heute und vielleicht das Morgen bestreiten. Wir müssen in die Zukunft investieren - also schauen, was übermorgen oder in den nächsten zehn Jahren ist. Deshalb haben wir in eine App-Strategie investiert, mit Flimmit in ein eigenes Video-on-Demand-Portal, in Spartenkanäle wie ORF 3. Und deshalb kann es sein, dass wir mit einem zusätzlichen Spartenkanal kommen.

STANDARD: Den es auch nicht umsonst geben wird.

Grasl: Er würde - wie ORF 3 - wirklich kostengünstig arbeiten, aber in Summe unser Programmportfolio gut ergänzen. Wir sehen jetzt schon: Mit ORF 3 und ORF Sport Plus halten wir die Marktanteile unserer Gesamtflotte stabil. Das tun alle Fernsehkonzerne. So ein reiner Österreich-Spartenkanal, der viel von unserem in Österreich produzierten Content bündelt und vielleicht das eine oder andere kostengünstig dazu produziert, könnte ein echter Renner werden.

STANDARD: Thema ist zugleich, auf ORF 2 mehr Programm der Landesstudios zu zeigen. Eine Stunde "Bundesland heute" ab 18.30 Uhr?

Grasl: Dafür gibt es ein finanzielles Argument: Wir leisten uns neun Landesstudios. Wir leisten uns jetzt, die Bundesländersendungen in High Definition zu übertragen, die ORS hat dafür einen eigenen Satellitentransponder gemietet. Das kostet doch einige Millionen im Jahr. Und wenn wir das haben, sollten wir diese Infrastruktur optimal ausnutzen. Da sind mir 22 Minuten pro Tag zu wenig. Dazu kommt der Programmerfolg: Was aus den Bundesländern kommt wie "Bundesland heute", "Heute mittag", "Heute in Österreich", "Österreich-Bild am Sonntag" funktioniert gut - das kann sonst niemand. Ich habe den Landesdirektoren und Landesdirektorinnen vor zwei Monaten meine Bereitschaft signalisiert, so ein Programm zu unterstützen. Wir erwarten jetzt Vorschläge der Landesdirektoren und Landesdirektorinnen, was das sein könnte - eine 18.30-Sendung, eine Frühsendung, eine Sendung im Abendprogramm.

STANDARD: Sie waren selbst Chefredakteur des Landesstudios Niederösterreich - was würde sich der wünschen?

Grasl: Auch die Lebenswelten in den ländlichen Regionen haben sich geändert, viele kommen später als 19 Uhr nach Hause. Denen könnte man auch noch später am Abend eine Zusammenfassung anbieten, was in den Bundesländern passiert ist. Aber inhaltlich sollen sich die Landesdirektoren und Landesdirektorinnen damit auseinandersetzen - dort ist das Knowhow zuhause. Da mische ich mich nicht ein, auch wenn ich aus einem Landesstudio komme - unterstütze aber gerne gute Ideen.

STANDARD: Ein Bundesländerkanal gefällt den Landeshauptleuten und den Länder-Stiftungsräten - die wiederum einiges Gewicht im Stiftungsrat bei der nächsten Wahl der ORF-Direktoren 2016 haben. Das Projekt riecht nach langsam anlaufendem Wahlkampf.

Grasl: Man sollte nicht jede Entscheidung im ORF bis 2016 unter dem Aspekt sehen, dass dann eine Wahl bevorsteht. Wir entscheiden nicht mit Blick auf 2016.

Grasl als Überraschungskandidat - für Politik oder doch Song Contest? Warum der Finanzdirektor allen im ORF Harmonie und gute Zusammenarbeit bis 2016 empfiehlt - auf der nächsten Seite:


  • Politikerjob "nicht erstrebenswert"

STANDARD: Kann man eigentlich aus dem Dissens beim Song Contest schon ORF-Vorwahltöne heraushören?

Grasl: Wir haben in einer Sachfrage eine unterschiedliche Position gehabt und auch die gelöst. Alexander Wrabetz und ich haben vor, bis zum Ende dieser Periode gut und wie bisher harmonisch zusammenarbeiten - wie letztes Mal vor der Wahl 2011. Bis zum Schluss im guten Einvernehmen weiterzuarbeiten, empfiehlt sich allen, wenn sie ihre Jobs weitermachen wollen.

STANDARD: Gilt das für alle Beteiligten, dass sie ihre Jobs nach der nächsten ORF-Wahl weitermachen wollen?

Grasl: Ich kann nur für mich sprechen: Aus heutiger Sicht ja. Ich glaube auch, dass ich genug Ideen und genug Kraft dafür habe. Daher finde ich das spannend. Aber fragen Sie mich 2016 nochmals.

STANDARD: Richard Grasl, ORF-Finanzdirektor auf Lebenszeit?

Grasl: Ich bin erst 41, am Ende der nächsten Periode bin ich 48 - ich hoffe sehr, das ist nicht meine Lebenszeit. Sachorientierte Arbeit bis 2016, und dann sehen wir, wie's weitergeht.

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"Sachorientierte Arbeit bis 2016, dann sehen wir, wie's weitergeht": Grasl mit ORF-Chef Alexander Wrabetz (li.)
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STANDARD: Ein Gerücht zu 2016 kursiert gerade munter: Wenn Erwin Pröll Bundespräsident wird, dann könnte ein Überraschungskandidat Landeshauptmann in Niederösterreich werden - ein gewisser Richard Grasl.

Grasl: Oder ich werde Überraschungskandidat als Sänger beim Song Contest. Aber ehrlich: Gerüchte sollte man besonders kritisch hinterfragen wenn sie in Wien und in der Medienbranche gestreut werden. Das ist kein Thema - und hat mich auch bis vor zehn Sekunden nicht erreicht.

STANDARD: Ein Wechsel in die Politik ist kein Thema für Sie?

Grasl: Ich mache mir keine Gedanken darüber. Ich habe einen unheimlich spannenden Job, der mich tagtäglich von der Früh bis in die Nacht beschäftigt - nämlich wie man den ORF nach vorne bringen kann. Wenn ich mir ansehe, wie es Politikern in ihren Jobs geht - scheint mir das nicht unbedingt erstrebenswert. Ich fühle mich in dem Job sehr wohl.

STANDARD: Medienminister Josef Ostermayer (SPÖ) hat wieder einmal die Überlegung aufs Tapet gebracht, den ORF statt von einem Alleingeschäftsführer von einem Vorstand führen zu lassen. Es ist nicht lange her, dass die ÖVP das wollte. Was halten Sie davon - ein Vorstand würde ja die Position des Finanzdirektors aufwerten

Grasl: In der Theorie hat jedes Modell seine Vor- und Nachteile. In der Praxis macht es für mich aus heutiger Sicht keinen Unterschied. Alexander Wrabetz trifft Entscheidungen auch heute üblicherweise nicht im Alleingang. Wir besprechen alle Entscheidungen gemeinsam - und kommen dann auch zu einer gemeinsamen Linie. Wir arbeiten in der Praxis fast wie ein Vorstand zusammen.

STANDARD: Beim Song Contest hätten Sie als Vorstand eine Stimme gehabt und sich auf die Schienen werfen können.

Grasl: Aber ob ich eine Mehrheit gefunden hätte, bin ich auch nicht sicher. Ich glaube, wichtiger sind handelnden Personen und ein funktionierendes Team als die Frage der Struktur. Wenn ein Team arbeitet, das sich gut versteht, das offen miteinander reden kann, das sich nicht gegeneinander ausspielt, dann funktioniert das - wie heute bei uns. Wenn die Personen nicht miteinander können, dann hilft das beste Vorstandsmodell nicht. Daher haben wir bei der Song-Contest-Entscheidung auch stundenlang diskutiert, und es war Alexander Wrabetz schon wichtig, dass ich seine Entscheidung trotz meiner Gegenargumente mittragen werde.

Startups in den ORF holen - auch mit Geld: Grasls "Vision" vom Medieninnovations-Standort Küniglberg - auf der nächsten Seite:


  • Kein Schuhandel wie Zalando


STANDARD: Was wie eine Sachfrage aussieht, ist im ORF oft auch eine Macht- und Besetzungsfrage - und damit ein Thema für die nächste Generalswahl. Der Multimedia-Newsroom mit Journalisten aller Medien zum Beispiel wird wohl zu neuen Zuständigkeiten in Information und Programm führen. Der Finanzdirektor verfolgt die Zusammenführung erste Reihe fußfrei aus der Distanz?

Grasl: Das Zusammenziehen der Wiener ORF-Standorte auf dem Küniglberg heißt für alle Bereiche, auch für die Generaldirektion, die kaufmännische Direktion: Können wir Dinge zusammenlegen, synergetisch besser und damit kostengünstiger machen? Es kann nicht sein, dass nur die Redakteure zusammenziehen müssen und mit gleicher Mannschaft mehr leisten oder mit weniger gleich viel.

STANDARD: Dabei weiß man noch nicht einmal, wo und wie im sanierten Hauptgebäude die Direktoren sitzen sollen

Grasl: Wir haben viel in den Übersiedlungsprozessen gelernt, wie man besser zusammenarbeitet. Klar ist für mich: Es kann nicht sein, dass wir in neu ausgemalten Zimmern, mit neuen Teppichen in unseren Zimmern in einem statisch wieder abgesicherten Gebäude sitzen - und es bleibt alles wie vorher. Es muss im Newsroom, aber auch auch in den Verwaltungsbereichen die moderne Arbeitsrealität Einzug halten. Es gibt noch immer Sitzungszimmer, die einzelnen Direktoren und Abteilungen zugeteilt sind. Wenn es nach mir geht, gibt es Sitzungszimmer verschiedener Größen, und wer es braucht, bucht es. Man schafft Begegnungszonen. Man fördert die Kommunikation zwischen Direktionen und Abteilungen. Damit nicht immer nur die Gleichen miteinander reden. Das müssen wir verstärken, damit nicht immer nur die Finanzer mit den Finanzern und die Programmleute mit den Programmleuten reden, die Juristen mit den Juristen.

STANDARD: Aber die ORF-ler bleiben dennoch unter sich, hoch droben auf dem Küniglberg.

Grasl: Nicht unbedingt: Mir schwebt vor, dass wir für frische Ideen, frischen Wind auf dem Küniglberg einen Innovations-Cluster installieren. Ich könnte mir vorstellen, dass wir ein Gebäude oder einen Trakt jungen Startup-Unternehmen widmen. Die können dort ein, zwei Jahre sein, sie können bei uns mitwirken, wir stellen ihnen Infrastruktur zur Verfügung, da gibt es Know-How-Transfer und im besten Fall, wenn das funktioniert, integrieren wir sie. Damit der Küniglberg nicht nur ein moderner Medienstandort für den ORF wird, sondern eine Art Medieninnovations-Cluster.

STANDARD: Für welche Medien?

Grasl: Digitale Medien im weitesten Sinn, im programmlichen wie technischen Bereich, den ich für besonders spannend halte. Schon auf die Kernaufgaben des ORF fokussiert. Wir werden keinen Schuhhandel aufziehen wie ProSiebenSat.1 mit Zalando. Das ist nicht die Aufgabe des ORF.

STANDARD: Der ORF als Venture-Capitalist?

Grasl: Venture nicht. Aber hätte sich ein Unternehmen wie Flimmit vor zehn Jahren auf dem Küniglberg angesiedelt und mit uns zusammengearbeitet, hätte es nicht so lange gedauert, bis wir da einsteigen. Dann hätten wir das früher integriert.

STANDARD: Auch mit Startkapital für die Unternehmen?

Grasl: Ich würde da ohne Denkverbote starten. Was möglich ist, prüfen wir. Das eine Unternehmen braucht Startkapital, ein anderes vielleicht andere Unterstützung.

STANDARD: Gibt es dazu schon Beschlüsse?

Grasl: Visionen.

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Auch Startups in den Medienstandort Küniglberg: Grasls "Vision".
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STANDARD: Was sagt der Generaldirektor dazu?

Grasl: Ich glaube, dass er dieser Idee durchaus auch aufgeschlossen gegenübersteht. Soweit ich Alexander Wrabetz kenne, macht ihm das Arbeiten mit jungen, innovativen Menschen viel Spaß.

STANDARD: Wo wir schon bei Innovationen sind: Der lange angekündigte ORF-Programmguide mit Social-Media-Funktionen ...

Grasl: ... kommt.

STANDARD: Ein weiterer Baustein des ORF zu seiner medialen Universalherrschaft - mit dem Programmguide den Zugriff auf Sendungen und die Empfehlungen strukturieren

Grasl: Wenn ich mir die Übermacht von Google, Hulu und Netflix anschaue, kann von Übermacht wohl bei uns keine Rede sein. Aber wir bündeln unsere Kräfte und wollen unseren Kunden das beste Service bieten.

Über Boni und Babies: Was Grasl aus Managergehältern bei ProSiebenSat.1 für Österreichs Medienpolitik und Medienbehörden schließt - und warum er über einen Papamonat verhandelt, den er selbst nicht macht - auf der nächsten Seite:


  • Die Geschichte vom armen Privatsender


STANDARD: Wo wir bei großen Konzernen sind: Wenn man als ORF-Finanzdirektor von den spontanen Bonuszahlungen der bisherigen Eigentümer für die Vorstände von ProSiebenSat.1 liest - vier bis 23 Millionen Euro pro Kopf: Fühlt man sich da im falschen Film?

Grasl: Bonuszahlungen in solchen Größenordnungen können in keiner Relation zu realen Leistungen stehen. Aber solche Gedanken überlasse ich gerne den Eigentümern von ProSiebenSat.1. Ich habe mich bei den Zahlen nur daran erinnert, wie arm sich die österreichischen Ausläufer dieser Mediengruppe gern darstellen, wenn es um den Wettbewerb in Österreich geht - und wie böse der reiche ORF zu ihnen ist. Wenn ProSiebenSat.1Puls4 sich bei der Medienbehörde beschwert, dass der ORF sie bei der Champions League überboten hat - dann wäre vielleicht ein kleiner Teil der Boni hier besser investiert gewesen. Die Geschichte vom armen Privatsender ist spätestens mit diesen Bonuszahlungen nicht aufrechtzuerhalten.

STANDARD: Sie sind gerade wieder Vater geworden. Wie wäre es eigentlich mit Väterkarenz?

Grasl: Wir verhandeln gerade mit dem Betriebsrat den neuen Kollektivvertrag über den ORF. Wir haben Stillschweigen vereinbart, aber die Belegschaftsvertreter werden mir hoffentlich nicht übel nehmen, wenn ich ein Detail ausplaudere: Wir überlegen die Einführung eines Papamonats im ORF.

STANDARD: Auch für Finanzdirektoren?

Grasl: Das ist wohl eher nicht für Mitglieder der Geschäftsführung gedacht. Meine Frau und ich haben entschieden, dass es besser ist, wenn sie das übernimmt - aber natürlich versuche auch ich, mir möglichst viel Zeit freizuschaufeln.