Künstlich gezüchteter Saphir-Boule: Wie ein überdimensionaler Eishockey-Puck.

http://www.gtat.com/

Bild nicht mehr verfügbar.

Reuters

Für den Bildschirm seines allerersten iPhones verwendete Apple einst Glas statt Plastik und geriet damit zum Vorreiter der Smartphone-Branche. Jetzt schwenkt Apple auf Saphir um – ein solideres, aber auch teureres Material. 700 Millionen US-Dollar investiert das Unternehmen in der Hoffnung, dass Saphir zum Glas-Ersatz wird und die iPhones der Zukunft besser schützt.

Schon in diesem Monat sollen die ersten Saphir-Bildschirme für die neuesten iPhones und Smartwatches im US-Bundesstaat Arizona vom Band laufen. Dort, im Städtchen Mesa, hat Apple zusammen mit dem Materialproduzenten GT Advanced Technologies eine riesige Fabrik eröffnet. Zu Spitzenzeiten werde das Werk doppelt so viel Saphir produzieren wie sämtliche der weltweit fast 100 zurzeit existierenden Hersteller zusammen, sagt Eric Virey, ein leitender Analyst bei der französischen Marktforschung Yole Développement.

Es hält hohen Temperaturen stand und ist vor chemischer Korrosion gefeit

„Niemand hat jemals so viel Geld in Saphir investiert", sagt Virey. GT und Apple stellen synthetischen Saphir her – ein Stoff, der die Eigenschaften des härtesten Minerals der Erde kopiert. Saphir bricht und zerkratzt nicht so leicht wie Glas. Es hält hohen Temperaturen stand und ist vor chemischer Korrosion gefeit.

Doch die Herstellung von synthetischem Saphir ist kostspielig, weshalb das Material bisher nur vereinzelt in der Industrie zum Einsatz kam – etwa in Flugzeugfenstern oder gepanzerten Fahrzeugen als Schutz gegen Extrembedingungen. Oder als kratzresistente Oberfläche von teuren Uhren.

Nach Schätzungen von Square Trade, einem Unternehmen, das Versicherungen gegen Bildschirmschäden anbietet, besitzen 11 Prozent aller iPhone-Nutzer Geräte mit einem gesprungenen oder kaputten Bildschirm.

Probleme bei der Produktion könnten die gesamte Lieferkette durcheinander bringen

Es birgt allerdings ein gewisses Risiko, wenn man ein derart wichtiges Bauteil wie den Bildschirm austauscht. Das Unternehmen Corning welches das belastbare „Gorilla-Glas" der aktuellen iPhones herstellt, hat beispielsweise längst bewiesen, dass es Apples Anforderungen an eine Blitzproduktion erfüllen kann. Diese ist notwendig, wenn Apple zur Markteinführung einer Neuheit gleich mehrere Millionen Geräte gleichzeitig zur Hand haben muss.

Sollten Apple und GT jedoch bei der Massenfertigung von Saphirbildschirmen Probleme bekommen, könnte sich das als Bremsklotz für die gesamte Lieferkette erweisen und ausgerechnet dann das Angebot verknappen, wenn die Nachfrage boomt. Zudem ist noch nicht vollständig erwiesen, dass Saphir im Alltagsgebrauch besser abschneidet als die derzeit verwendeten Materialien.

Herstellung kostet 16 Dollar

Analyst Virey schätzt, dass es 16 Dollar kostet, um einen Saphir-Bildschirm herzustellen. Ein Bildschirm aus Gorilla-Glas dagegen koste nur etwa 3 Dollar, sagt er.

Apple und GT wollten sich für diesen Artikel nicht äußern.

Laut gut informierten Personen denkt Apple darüber nach, die Saphir-Bildschirme in den teureren Modellen der beiden neuen, größeren iPhones einzusetzen, die in diesem Herbst auf den Markt kommen sollen. Allerdings müsse Apple zusehen, dass es genug von dem neuen Material zusammenbekomme, sagen die Sachkenner.

Einige Analysten sagen, dass Apple die neuen Telefone wegen der höheren Kosten für Bauteile wohl zu einem höheren Preis verkaufen werde als seine bisherigen Modelle. Sollte der Einsatz von Saphir dazu führen, dass weniger Bildschirme kaputt gehen, könnte Apple Geld sparen, weil die Kosten von Rücknahmen sinken würden. Aber nach Einschätzung von Toni Sacconaghi, Analyst bei Bernstein Research, werden diese Ersparnisse wohl die höheren Kosten aus dem Einsatz von Saphir nicht wettmachen.

Preiserhöhung?

Wenn Apple nicht die Preise erhöhe, könnten die höheren Kosten die Gewinnmargen der iPhones aushöhlen, sagt Matt Margolis, ein Analyst bei der Marktforschung PTT Research und Investor von GT. Margolis glaubt, dass Apple aber durchaus gewillt sein könnte, die höheren Kosten zu schultern, um sich mit seinen Produkten von der Konkurrenz abzuheben.

Apple hat immer schon stark in seine Bauteile investiert, damit seine Produkte am Markt hervorstechen. So entwickelte der Konzern einen eigenen 64-Bit-Prozessor für seine tragbaren Geräte, was Apple einen gehörigen Vorsprung gegenüber seinen Rivalen bescherte. 2012 kaufte der Smartphoneriese Authentec, der die Technologie für Fingerabdruck-Sensoren produziert. Im vergangenen Jahr verfügte das neue iPhone 5S prompt über ein eigenes Fingerabdruck-Lesegerät als Sicherheitsschranke.

Eine Fabrik, so groß wie 24 Fußballfelder

Um die Saphir-Bildschirme bauen zu können, kaufte Apple im vergangenen Jahr einem Solarmodulhersteller in Arizona für 113 Millionen Dollar ein Fabrikgelände ab, das so groß wie zwei Dutzend Fußballfelder ist. Dieses Werk leaste Apple an GT und versprach im November, 578 Millionen Dollar im Voraus zu zahlen, um die Fabrik mit den allerneuesten Brennöfen für die Saphirherstellung auszustatten. GT baut solche Brennöfen und produziert in dem Werk jetzt Saphir exklusiv für Apple.

Die Fabrik sei so gut wie fertig und bereite sich jetzt auf die Massenherstellung vor, sagte GT-Vorstandschef Tom Gutierrez in der vergangenen Woche zu Analysten. Die vollständige Betriebseffizienz werde das Werk allerdings nicht vor Anfang nächsten Jahres erreichen, fügte Gutierrez einschränkend hinzu. Ende Oktober wird Apple laut GT wohl die letzte der vier Vorauszahlungsraten von 139 Millionen Dollar zahlen – sofern GT bis dahin bestimmte Betriebsziele erreicht hat.

Kratzfest

Saphir ist kratzfest. Aber es ist nicht klar, ob das Material auch besser vor einem Bildschirmbruch schützt, weil Saphir je nach Dicke und Schnitt unterschiedlich stark ist. Saphir verfügt zudem über eine höhere Dichte als Glas, weshalb ein Telefon mit Saphir-Bildschirm schwerer ist.

Laut Corning belegen Tests, bei denen Bildschirme aus unterschiedlicher Höhe auf den Boden fallengelassen wurden, dass Gorilla-Glas widerstandsfähiger ist als andere Stoffe, darunter auch Saphir. Zudem reflektiere Gorilla-Glas weniger Licht als Saphir, weshalb man die Anzeige eines Bildschirms aus Gorilla-Glas bei Sonnenlicht besser erkennen könne.

Einige kleinere Smartphone-Hersteller haben ihre Handys bereits mit Saphir-Bildschirmen ausgestattet. Die britische Vertu Corp etwa, die Luxustelefone zum Preis von mehr als 10.000 Dollar pro Stück herstellt, hat zwei Modelle mit Saphir-Bildschirmen im Programm. Und der japanische Konzern Kyocera verkauft ein Modell namens Brigadier, das nach Angaben des Unternehmens so gut wie keine Kratzer bekommen kann.

In der Natur sind Saphire verunreinigt und bunt

Natürliche Saphire sind Edelsteine des Minerals Korund, eine kristalline Form des Aluminiumoxids. Verunreinigungen durch Kupfer oder Magnesium verändern die Farbe eines Saphirs, der als bunter Schmuckstein geschätzt wird. Ohne solche Verunreinigungen ist ein Saphir jedoch farblos klar.

Will man Saphire künstlich herstellen, muss man komplexe und energieintensive Verfahren anwenden. Saphirkristalle werden in riesigen Hochöfen bei hoher Temperatur gezüchtet. Sie bilden darin einen gigantischen Zylinder namens Boule, der ein bisschen so aussieht wie ein dicker Eishockey-Puck und in verschiedene Formen geschliffen werden kann.

Moderne Hochöfen

Das Apple-Werk in Arizona nutzt modernste Hochöfen, die in der Lage sind, Boules mit einem Gewicht von rund 200 Kilogramm herzustellen – das sind 50 Prozent mehr, als die Boules aus der Produktion herkömmlicher Maschinen. Apple und GT wollen mit diesem Mengenvorteil die Kosten drücken und die Preiskluft zwischen Saphir und Glas verringern.

„Vor dem Apple-Investment hätte ich gesagt, dass Saphir ein großartiges Material mit einem großartigen Potenzial ist, aber wohl noch ein paar Jahre davon entfernt ist, Wirklichkeit am Markt zu werden", sagt Vinita Jakhanwal, eine leitende Analystin bei der Marktforschung IHS Technology. „Aber Apple hat eine bedeutende Summe investiert, insofern würde ich sagen, dass das Unternehmen vermutlich ziemlich schnell mit einem Kapitalertrag rechnet." (DAISUKE WAKABAYASHI, WSJ,de/derStandard.at, 15.8. 2014)