Team-Stronach-Klubobfrau Kathrin Nachbaur und Schriftsteller Harald Darer sind sich nicht einig in der Frage, wie man zu einem sogenannten Alphatier wird. Nachbaur glaubt an die Macht der Gene, Darer hält das soziale Umfeld für relevanter.

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Nachbaur: "Hedgefonds sind wie Haie, sie haben eine reinigende Funktion."

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Darer: "Seit den 1990er-Jahren hat es sich jeder in seiner Wohlstandswurschtigkeit bequem gemacht."

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STANDARD: Frau Nachbaur, kürzlich wurden Sie in einem Interview gefragt, ob Sie - so wie Frank Stronach - ein Alphatier sind. Darauf antworteten Sie: "Ein kleines." Wie wird man denn ein Alphatier?

Nachbaur: Zum Teil liegt einem das in der Natur. Was mich persönlich anlangt, so bin ich von Haus aus kein Mensch, der anderen seine Sicht der Dinge aufdrängen will, ich bin relativ harmoniebedürftig. Aber ich habe erkannt, dass es Leadership braucht, wenn man in der Politik ist. Ich versuche meine Kollegen und Mitarbeiter zu überzeugen. Wenn ich meine Position festgesetzt habe, bleibe ich wie ein Leader drauf.

Darer: Ich glaube auch, dass das ein Charakterzug ist. Ich denke, es hat einen starken Einfluss, wie man aufwächst und wie man sich im Leben durchschlagen muss. Ein Anschaffer zu sein muss einem sicher auch liegen.

STANDARD: Herr Darer, sind Sie auch ein Alphatier?

Darer: Seit ich Kinder habe, bin ich manchmal gezwungen, eines zu sein. Aus literarischer Sicht interessiert mich aber die Frage, was die Punkte sind, weshalb sich die Wege scheiden. Warum manche trotz ähnlicher Biografien zu Alphatieren werden und andere im Armenhaus landen.

Nachbaur: Ich glaube sehr stark an die Gene. Natürlich spielt das soziale Umfeld eine große Rolle, aber eine noch größere Rolle spielen die Gene.

Darer: Wenn jemand mehr dazu neigt, Suchtmittel zu nehmen, dann könnte es ein Grund dafür sein, dass er alkoholkrank wird. Aber wichtiger ist, wie jemand aufwächst, welchen Freundeskreis er hat, wie die Familie zu einem steht und seine Bildung.

Nachbaur: Ich habe in Kanada sehr viele Menschen kennengelernt, die adoptiert sind oder adoptiert haben. Die Betroffenen haben erzählt, dass die Interessen und die Lebenswege der Adoptierten in Wirklichkeit jener der leiblichen Eltern entsprachen.

Darer: Das kann auch Zufall sein.

STANDARD: Herr Darer, wäre der Job als Politiker was für Sie?

Darer: Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, als junger Mensch haben mich die Roten Falken interessiert, wo es darum geht, Kindern Werte wie Solidarität und Zusammenhalt beizubringen. Die Arbeit in einer Partei, vor allem in einer Großpartei, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Man muss eine Parteischule durchmachen. Spätestens dort wird einem der Idealismus ausgetrieben.

Nachbaur: Ich war nie bei einer Partei engagiert, aber politisch sehr interessiert. Zu Hause wurde immer politisiert. Dass ich selbst in der Politik gelandet bin, hat sich durch das Thinktank-Institut, das wir gegründet haben, ergeben.

STANDARD: Sie sind in den 1970er-Jahren geboren. Was sind die drängendsten Fragen Ihrer Generation?

Nachbaur: In den 1970er-Jahren wurde in der Schweiz das Frauenwahlrecht eingeführt. Sehr spät im Vergleich zum Rest der Welt. Noch heute gibt es sehr viel zu tun für die Frauen. Sie tragen eine große Last in der Gesellschaft und haben sehr oft eine Doppelbelastung. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Frauen die Kinder bekommen, und so gibt es oft sehr viele Lücken in ihren Lebensläufen, was zu Altersarmut führen kann.

Darer: In den 1970er-Jahren setzten sich in meiner Wahrnehmung die Frauen noch mit mehr Energie für ihre Anliegen ein. Es gab mehr Demos, auch Künstler haben diese Fragen stärker thematisiert. Heute wird mehr über das Binnen-I gesprochen als darüber, wie man die Situation der Frauen verbessern kann. Seit den 1990er-Jahren hat es sich jeder in seiner Wohlstandswurschtigkeit bequem gemacht. Früher haben sich die Leute noch mehr aufgeregt. Dazu kommt die Regierung, die auch nicht agiert. Bei der Räumung der Pizzeria Anarchia hätte ich mir beispielsweise zumindest eine Stellungnahme von der Regierungsspitze erwartet.

Nachbaur: Ich glaube, da haben Sie recht. Die Kühlschränke sind voll, da dauert es lange, bis der Geduldsfaden reißt.

STANDARD: Den vollen Kühlschrank hat Frank Stronach schon im Wahlkampf ausführlich strapaziert. Ist diese Erklärung nicht zu kurz gefasst?

Nachbaur: Das Bild ist sicher sehr einfach gezeichnet, aber es trifft die Zusammenfassung der Situation sehr gut. Durch die ständige Schuldenmacherei fehlt es uns augenscheinlich an nichts. Den Menschen in Österreich geht es gut, es gibt relativ wenig Armut. Irgendwie geht es sich noch mit den Pensionszahlungen und dem Gesundheitssystem aus. Aber der Motor kommt immer mehr ins Stocken. Erst wenn es den Leuten schlecht geht, sind sie bereit, sich für etwas einzusetzen.

Darer: Gewissen Leuten geht es ganz gut in Österreich. Aber ich frage mich, wie zum Beispiel alleinerziehende Mütter ohne Unterstützung mit einem Vollzeiteinkommen von 1200 Euro netto über die Runden kommen. Die Gehälter stagnieren. Die Frage ist auch: Wer wird in Zukunft den ganzen Krempel kaufen, den wir produzieren? Was passiert, wenn sich niemand mehr das neueste iPhone kaufen kann? Wenn die Tankdeckel zubleiben, wird auch der Herr Stronach keine Tankdeckel in Gleisdorf mehr produzieren können. Irgendwann werden wir am Ende des Wachstums angelangt sein. Dann muss es eine Alternative geben.

Nachbaur: Ich fürchte auch, dass es immer mehr Personen geben wird, die vorne und hinten nicht mehr auskommen, die kalte Progression frisst den Menschen alles weg. Allein die Bankenkrise ist bis heute nicht gelöst in Österreich. Wir sind nicht gut durch die Krise gekommen, sondern wir haben das Problem einfach hinausgeschoben. In fünf Jahren werden wir uns fragen, warum sich das Gemeinwesen in Österreich keine Kindergärten mehr leisten kann.

derstandard.at/von usslar

STANDARD: Herr Darer, der Protagonist Ihres Buches, Herr Norbert, eine weitgehend gescheiterte Existenz, zittert, ob er die Invalidenpension erhält und sich das Leben und die Miete leisten kann. Hätte Herr Norbert trotzdem die selbsternannte "Leistungspartei" Team Stronach gewählt?

Darer: Viele haben Stronach gewählt, weil es ihnen gefallen hat, dass sich endlich einmal jemand lautstark zu Wort meldet. Und viele haben nicht so genau geschaut, welche Ideologie dahintersteckt. Nachdem das politische Interesse der Menschen heute nicht mehr so ausgeprägt ist, zählen Sympathiewerte oft mehr als die Inhalte: Ich kann mir deshalb sehr gut vorstellen, dass Herr Norbert Stronach gewählt hätte.

STANDARD: Frau Nachbauer, Ihre Partei hat ihre Stimmen vor allem den männlichen, frustrierten und einstigen FPÖ-Anhängern - kurz: den Protestwählern zu verdanken. Wieso spiegeln sich deren Anliegen nicht im Parteiprogramm wider?

Nachbaur: In unserem Parteiprogramm spiegelt sich Leistungsgerechtigkeit wider. Frank Stronach verkörpert den jungen Mann, der mit Einsatz, guter Ausbildung, harter Arbeit und ein bisschen Glück viel erreicht hat.

Darer: Ein bisschen viel Glück.

Nachbaur: Ja, das Glück fällt den Tüchtigen zu. Ich möchte uns nicht als reine Wirtschaftspartei sehen, sondern als Partei für alle, die etwas leisten. Es ist im Interesse aller, dass die Schuldenmacherei endet. Es kann nicht sein, dass am Ende die Hedgefonds das Sagen haben.

STANDARD: Also, Sie kämpfen gegen die Hedgefonds, und das ist auch für den Herrn Norbert gut?

Nachbaur: Das möchte ich anders ausdrücken. Hedgefonds sind wie Haie, sie haben eine reinigende Funktion. Ich kämpfe gegen die Schuldenmacherei, damit die Hedgefonds erst gar nicht zum Zug kommen, um die Verletzten aufzufressen.

Darer: Die Gewerkschaft und der Betriebsrat sind ja auch nicht Ihre besten Freunde. Wie sollen Arbeiter zu ihren Rechten kommen?

Nachbaur: Man muss schauen, was zeitgemäß ist. In Nordamerika hat Frank Stronach in seinem Werk firmeninterne Vertrauensleute wählen lassen. Sie werden dafür bezahlt, sich um Mitarbeiteranliegen zu kümmern. So müssen sie keine Gewerkschafter hereinholen. Die stacheln nur auf und kosten viel Geld.

STANDARD: Im Körper einsetzbare "Chips für alle", wie sie Stronach-Generalsekretär Marcus Franz andachte - wäre das ein guter Stoff für einen Science-Fiction-Roman?

Darer: Solche Aussagen sind einfach nur grotesk, genauso wie die Todesstrafenforderung. Das könnten Sie sich alles ersparen.

Nachbaur: Ja, aber Gott sei Dank gibt es Leute, die unkonventionelle Vorstöße machen. Ich sehe das als Bereicherung. Mainstream haben wir genug.

STANDARD: Mit Bücherschreiben lässt sich schwer Geld verdienen. Können Sie nachvollziehen, warum Herr Darer trotzdem viel Zeit dafür investiert?

Nachbaur: Ja, und ich wünsche Herrn Darer viele Bestseller. Künstler zu sein ist eine unglaubliche Berufung, die von innen kommt. Es ist ein innerer Drang, unabhängig davon, wie viel Geld man damit verdient. Sehe ich das richtig, Herr Darer, das kommt doch von innen?

Darer: Ja. Aber es wird nicht funktionieren, wenn man nichts zu essen hat. Hier ist auch die Politik gefordert, Förderungen gerechter zu verteilen und die kulturelle Vielfalt zu erhalten. Die kleinen österreichischen Verlage und deren Autoren sind ohnehin der Marginalisierung ausgesetzt. Dann haben Sie den Einheitsbrei.

Nachbaur: In den USA ist das Mäzenentum stärker ausgeprägt. Bei uns nimmt man den Wohlhabenden ohnehin schon so viel weg, dass sie sich denken: "Hörst, wieso soll ich jetzt noch was zahlen?“ (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 13.8.2014)