Ich aber möchte eine Woche lang Grieche sein und scheitere schon an den Basics: "What, you don't drink Raki? Why?"

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Manfred Rebhandl wurde 1966 in Oberösterreich geboren. Seit 1995 ist er als freier Autor von diversen Drehbüchern für Film und Fernsehen tätig. Er lebt in Wien. Zuletzt erschien von ihm "In der Hölle ist für alle Platz" (Czernin-Verlag, 2014).

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Dann halt wieder mal Kreta. Schließlich soll das neue Buch Töpfern auf Kreta heißen, obwohl es keine Minute dort spielt. Ich reise mit kleinstem Gepäck - sieben Unterhosen - und einem Laptop, das Köfferchen muss ich trotzdem abgeben, denn drei Flaschen Sonnencreme sind drei Bomben zu viel. Im Flieger bin ich der Letzte, der noch Schnitzel kriegt, für Mistelbach neben mir gibt's nur noch Pasta. Neidvolle Blicke essen bei mir mit. Der Pilot ist eine Frau und schafft trotzdem die Landung. Bescheidener Applaus.

Von Chania aus geht es 1,5 Stunden mit Yorgos über die Berge hinunter in den Süden, und für alle, die es noch nicht wissen: "It sometimes snows in Krete" - "Echt? In Kreta?" - "Auf Kreta!" Wer keinen kennt, der auf dieser Strecke schon gekotzt hat, der gehört nicht dazu. Kreta ist voller Veteranen, aus ihrer Lederhaut macht man später schicke Armbändchen, nur Erster-Weltkrieg-Teilnehmer und Woodstock-Haudegen machen noch mehr Gewese aus dem, was sie erlebt haben: "Crete-credibility". Vor 25 Jahren war ich selbst das erste Mal hier, Pension Elias, bezahlt wurde noch in Drachmen, Angie Merkel war irgendwo Pfarrerin.

Diesmal Eliros-Rooms, sehr bescheiden, aber bescheiden bin ich auch. Kurz vor Mitternacht laufe ich noch zum Strand, mir die Milchstraße anschauen. Dann einen ersten Griechischen Salat im Galini. Yannis bringt ihn mit Kraut untermischt, wohl als Zugeständnis an den trotz aller ... nun ja, Freindschaft? ... so wichtigen deutschen Gast. Ich aber möchte eine Woche lang Grieche sein, scheitere schon an den Basics: "What, you don't drink Raki? Why?" Am Nebentisch diskutieren Veteranen aus der Heimat die ihnen zugeschickten Pensionserwartungsbescheide, es schaut teilweise gar nicht so schlecht aus, überwiegend aber griechisch.

Man überlegt ernsthaft, das Rauchen sein zu lassen, das erhöht - so die Meinung - die Chancen auf noch 20-mal Kreta, wenn man heute 50 ist. FKK mit 70 ist der Trend, das Schamhaar sieht auch weiß noch gut aus. Die Kinder der Kriegsmüden reden in seltsamen Satzfragmenten: "Kann ich Eis? Kann ich Geld? Kann ich Schlüssel?" Ich gehe schlafen und fühle mich wie ein Bangladescher. Bangladescher sind die unzufriedensten Menschen der Welt. Zu einem der drei Holzgestelle im Appartement sage ich "Bett", es ist ost-westlich ausgerichtet, vor meinem Balkon hängt wilder Wein, in dem hängen fröhliche Grillen, ganz kurz bin ich mir wieder nicht sicher: Grillen die Zirpen oder zirpen die Grillen? Über dem ausgetrockneten Flussbett ein paar Schritte weiter vor meinem Fenster liegt die Alabama-Bar. Der DJ ist Superveteran, die halbe Nacht lang: Dä Dä Dä Dä Dä Dä Dä - Cocaine! Dazwischen darf auch geraucht werden, Bob Marley war auf Kreta nie out. Ich bin Klimaanlagenfeind, das Fenster bleibt offen. Ich bin der unzufriedenste Bangladescher Kretas.

Um 8.10 Uhr kriecht die Sonne über die schneefreien Berge. Die 30 Grad Frühtemperatur sind längst erreicht. Auf Kreta gilt: "It's not the question if clouds or no clouds, it's only die Frage, ob Wind oder kein Wind." Bevor ich mich über die Hitze aufrege, denke ich an den Shitstorm, den das Wetter zu Hause über sich ergehen lassen musste, also bin ich fröhlich. Es ist Zeit für ein erstes Frühstück in der Lotus-Bar am Strand, gleich bei der Bushaltestelle, wo die Neuen ankommen, und neben dem Kiosk, wo es die Karten für die Schlucht gibt, "the gorge". "Kalimera" heißt "Guten Morgen!", und "Vemo do Pichlbeiwels" heißt "Ich komme aus Pichl bei Wels." Was man so sagt, wenn man aus einem Bus steigt.

"Breakfast No. one?" Aber sicher, my friend! "Und orange-juice, aber freshly pressed!" Das Ramones-Shirt wird Yorgos II die ganze Woche nicht mehr ausziehen, scheinbar ist er noch bescheidener als ich. Die aus Pichl bei Wels scheint mit sich im Reinen, das ist wichtig auf Kreta, sie hat volles schwarzes Lockenhaar und einen gut gefüllten, gelben Radlerdress, ein Notizbuch liegt die ganze Woche neben ihr, ich denke besorgt: Krimiautorin? Doch nicht etwa: "Ein Kreta-Roman?" Sie ist zwanzig Jahre älter als Yorgos II, und dem sieht man seine vierzig gelebten Jahre durchaus an. "Kalimera!", sagt sie, "please two mirror eggs." Das ist nicht gelogen. Manchmal steht sie auf und fotografiert das Meer in der typischen Haltung der Meer-Fotografierer und -innen: die Arme auf Augenhöhe weit von sich gestreckt, wodurch man das Meer vielleicht "näher ranholt"? Zur Frühstücksrechnung immerhin gibt's keinen Raki, aber eine Einladung: "You come to concert tonight?"

Ich fühle mich unverstanden

Die Fortuna-Bar liegt am Dorfausgang, der Weg dorthin ist finster, und finster sind auch die drei Jungs, die sich Beggar's Blues Diary nennen, eine Speedmetaltruppe griechischen Zuschnitts. In die Fortuna-Bar bin ich vor 20 Jahren mal spät nachts und total spontan mit nichts als einem Billa-Sackerl in der Hand einmarschiert, eine Unterhose musste reichen, aber das waren "die Zeiten". So viel Pension wie die Kreta-Veteranen werden die Bettler nie kriegen, darum sind sie auch so böse. Ich frage den Kellner: "You have alcohol-free beer?" "Without alcohol?" "With no alcohol?" - "What?" Ich fühle mich unverstanden wie Angie Merkel, wenn sie den Griechen wieder mal was erklärt. Zwei 16-jährige Touristen-Bubis mit blonden Haaren, die auch im Urlaub vorschriftsmäßig Schwarz tragen, legen los und hüpfen ineinander, "chest bump". Beim dritten Mal knallen unfreiwillig die Köpfe aneinander, einer scheidet aus, allein macht "chest bump" keinen Spaß, allein macht nicht mal die EU Spaß. Mutti bringt die Buben nach Hause, Zeit für die Heia. Ich bleibe und erhole mich vom unruhigen Schlaf, die Grillen vor meinem Balkon sind lauter als Motörhead.

Nächsten Tag endlich Strand. Die Steine dort sind heiß, aber die Hundescheiße zwischen den Steinen schmilzt nicht. Sie trocknet und wartet auf den afrikanischen Wind, der sie in kleinsten Teilen zu den umliegenden Höhlen und in das Scham- und Brusthaar der Nacktbader trägt. Afrikaner sind noch unbeliebter als Deutsche. Viele Griechen haben keine Wohnung mehr und leben nun in Zelten am Strand. Je ärmer die Leute sind, desto mehr Hunde haben sie, wegen der Ansprache, der Zweisamkeit. Man ist nicht so allein unter der Milchstraße und in der bösen EU. Obwohl sie eine gute Pension erwarten, haben die Veteranen am wenigsten zum Anziehen. Als ich das erste Mal hier war, gab es noch den Eisernen Vorhang, wer nackt baden wollte, der ging zur Schweinebucht, Bay of Pigs, "Havanna for the playboy in the Cuban sun". The Clash waren auch mal böse, ihre Pensionsbescheide können sich sehen lassen. Heute gibt es diese Trennung nicht mehr, und man ertappt sich manchmal dabei, dass man irgendeine Trennung gerne immer noch hätte. Eine der besten Erfindungen der Menschheit war die Badehose. Auf Kreta muss die Frage erlaubt sein: Was habt ihr Götter euch eigentlich gedacht, als ihr uns erschaffen habt?

Griechischer Salat im Ancorage, diesmal mit Pfefferoni. Fast bin ich versucht, den Raki zu trinken. Dagegen spricht: der Raki. Mittwoch ist "gorge"-Tag. Santa Maria oder Irini, die große oder die kleine, mit oder ohne Kinder? Ein Veteran kennt andere Veteranen, die haben Wein getrunken, als ihnen in brütender Hitze das Wasser ausgegangen ist. Prost-Jamas! Man muss auch im Alter noch offen sein für Abenteuer, aber heute gibt's Clouds. Schade, dass ich mich vor der Reise entschlossen habe, nicht mehr zu fotografieren. Ambitionierte Wandersleute in Outdoor-Kleidung sind was fürs Auge oder für den Ordner "KRETA 2014, vermutlich letztmalig". Die Holländerin aus dem Supermarkt kennt mich von früher: "Berlin?" Ich bin nicht gekränkt, kaufe die eine Ansichtskarte, die ich meiner Tochter versprochen habe, und gehe zu Yorgos II: "Oooooh! You go back? Back to reality?" Ich sage: "So it is."

Der Ösi-Flug geht von Gate 7, aber: "You are not boarding yet, so please go back!" Immer Drängeln, als gäbe es Gratis-Schnitzel! Nur bei den Hilfszahlungen für die Griechen halten wir uns zurück. Vor uns sind die nach Odense und Zypern dran, auch wenn die Boarderin hartnäckig einen Flug nach Laranca ausruft. Der junge Vater ist sichtlich stolz, dass er das schreiende Kind zum Schlafen gebracht hat, die müde Mutter ist gedemütigt, ihr Blick versichert ihm: Bald siehst du dein Kind nur noch alle zwei Wochen! Wer im Urlaub seine Beziehung retten will, der muss auch Rucola im Griechischen Salat akzeptieren. Beim Rückflug nehme ich Pasta, aber neben mir sitzt niemand. Der AUA-Pilot heißt Dominguez Rodriguez Irgendwas, so was gab's früher nicht. In Guatemala, wusste ein Veteran auf Kreta, nennen sie ihre Kinder gerne "Superman", Superman Rodriguez. "Nein, Dennis, das da unten ist nicht St. Pölten."

Superman landet sanft, kein Applaus. Dafür: Alles Walzer! (Manfred Rebhandl, Album, DER STANDARD, 16./17.8.2014)