Das Haus in Wien-Mariahilf wird generalsaniert. Der letzte verbliebene Bewohner wurde tot im Eingangsbereich vorgefunden.

Foto: Melzer

Wien - Die Samstage von Cafer I. hatten einen geregelten Ablauf: Erst holte er sich eine Topfengolatsche vom Bäcker, dann ging er in die Sauna. Am Samstag, dem 2. August, war die Sporttasche gepackt, die Mehlspeise wartete essbereit auf dem Küchentisch, Cafer I. aber lag tot im Eingang seines Hauses in der Esterházygasse.

Der Todesfall in Wien-Mariahilf lässt aufhorchen. Seit Mai ist das Gebäude eine Baustelle, vollständig eingerüstet, überall liegt Schutt. Der über 1,80 Meter große 65-jährige Mann wurde am Abend tot hinter dem Eingangsportal aufgefunden, erdrückt von Baugittern. Er war der letzte Bewohner dieses Hauses. Über dreißig Jahre hatte er hier gelebt. Als der Hauseigentümer das Haus renovieren wollte, weigerte er sich auszuziehen.

Die Polizei spricht in einem vorläufigen Obduktionsbericht von einem Unfall: Tod durch Ersticken. Der Druck der Gitter auf den Oberkörper sei zu stark gewesen. Entdeckt wurde Cafer I. vom Geschäftsführer eines Oldtimerverleihs im Erdgeschoß. Er ist nur tagsüber dort. Auf der Baustelle herrschten chaotische Zustände, erzählt er, vieles sei ungesichert gewesen. Das beunruhigte ihn. Er wollte an diesem Tag nach dem Rechten schauen.

Auf Cafer I. sei immer wieder massiv Druck ausgeübt worden auszuziehen, schildern Nachbarn und Familie. Nicht nur auf ihn. Ehemalige Bewohner und der verbliebene Geschäftsmieter berichten von Schikanen: Telefonanschlüsse seien abgedreht, WC-Anlagen unangekündigt abgerissen worden.

Wasserschaden

Ein Wasserschaden durch ein offenes Fenster in einer unbewohnten Wohnung zerstörte im Winter 2012 ein darunter gelegenes Vereinslokal. Von diesem Motorsportklub heißt es, man sei daraufhin mit Nachdruck und falschen Versprechungen gedrängt worden auszuziehen.

Als zuletzt - angeblich ohne Ankündigung - ein Kamin abgerissen wurde, habe sich Cafer I. gerade noch vor der immensen Staubwolke aus seiner Wohnung retten können. Angesprochen auf den Vorfall sagt der Innsbrucker Hauseigentümer, davon wisse er nichts. Seit einem Jahr habe er versucht, Cafer I. von einer Übersiedlung in eine Ersatzwohnung zu überzeugen. Ein Immobilienspekulant sei er nicht, er wolle das baufällige Haus nur renovieren.

Fest steht, Cafer I. suchte Hilfe bei der Mietervereinigung. Landesgeschäftsführerin Elke Hanel-Torsch bestätigt, dass er sich wegen eines Angebots, das ihm unterbreitet worden sei, beklagt habe. Er hätte aus- und zu einem höheren Mietzins wieder einziehen sollen. Als die vorletzte Mieterin im Juli ging, blieb er allein zurück. Der Briefverkehr zwischen I. und der Hausverwaltung, der dem Standard vorliegt, offenbart: Das Haus sollte einen Aufbau bekommen und generalsaniert werden.

Die Briefe zeigen auch, dass Cafer I. nicht unbedarft an die Sache heranging. Er ließ sich von vielen Seiten beraten und war aufgeschlossen für Kompromisse - sofern er in seine Wohnung hätte zurückkehren dürfen. Nur eines wollte der Mindestpensionist nicht: staatliche Unterstützung, um seine Miete zu bezahlen.

Im Zuge der Baustelle wurde ihm ein alternativer Hauseingang zugeteilt. Er habe ausnahmslos diesen benutzt, bestätigen Bauarbeiter, Nachbarn und Familie. Cafer I. wurde tot an einer Stelle entdeckt, die Fragen aufwirft: im früheren - baustellenbedingt abgesperrten - Eingang. Als man ihn fand, lag er auf dem Bauch, auf ihm die Baugitter, seine Schuhe daneben. Er trug keine Schlüssel bei sich.

Anrainer berichten, sie hätten am Morgen ein lautes Klirren vernommen, dann hätten die Bauarbeiter hastig das Haus verlassen. Als später Hammerschläge zu hören waren, wurden die Arbeiter beim behelfsmäßigen Sichern der Baustelle beobachtet. In den Tagen darauf fotodokumentierten Nachbarn die Vorgänge am Bau.

Viele offene Fragen

Die Hausverwaltung betonte in einem Schreiben vom Juni 2014, der Umbau berge keinerlei Gefahren für den Mieter. Laut seiner Familie habe I. gewusst, wie man sich auf einem Bau verhält: Über 40 Jahre sei er selbst Bauarbeiter gewesen.

Wie gelangte Cafer I. ohne Schlüssel in diesen Teil des Hauses? Warum trug er keine Schuhe? Wie kam er unter die Baugitter? Sein Tod hinterlässt viele Fragen, die inzwischen auch die Staatsanwaltschaft beschäftigen. Sie ermittelt wegen fahrlässiger Tötung, bestätigte eine Sprecherin der Wiener Anklagebehörde am Dienstag auf Anfrage des Standard. (Anja Melzer, DER STANDARD, 13.8.2014)