Durchschleusen nach Schema F: Nicht alles, was effizient ist, tut auch Patienten gut, die Zuwendung brauchen.

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Irgendjemand lügt, oder es wird einfach nicht alles gesagt: Klinikmanager und Spitalslandesräte loben alljährlich ihre Einrichtungen und schildern, dass man zusätzliches Personal einstelle. Die Spitalsbelegschaft wiederum jammert: Der Druck werde immer größer, die Arbeit immer mehr. Gleichzeitig soll aber angeblich die Zahl der Spitalsaufenthalte geringer werden. So wirklich passt das alles nicht zusammen.

Viele Problemfelder

"Es gibt zahlreiche Fehlentwicklungen im stationären Sektor, die sich langfristig auf die Versorgungsqualität auswirken, aber auch die Ärzte zunehmend belasten", wetterte Anfang Sommer Kurienobmann und ÖÄK-Vizepräsident Harald Mayer bei der Präsentation eines Konzepts zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Spitalsärzte. Der Umstand, dass unattraktive Arbeitsbedingungen immer mehr junge Ärzte ins Ausland treiben, sei ein Warnsignal, betonte Mayer. Die bestehenden Problemfelder: überlaufene Ambulanzen, enorme Arbeitsbelastung, mangelnde Work-Life-Balance.

Die EU-Kommission kritisierte zuletzt Österreich und drohte mit Strafen, weil die Arbeitszeitrichtlinie in heimischen Kliniken im Gegensatz zu allen anderen Ländern nicht umgesetzt ist. Noch immer sind 72 Wochenstunden normal. Doch nicht nur die Ärzte stöhnen. Eine Studie aus der Steiermark gab zu Jahresbeginn auch Einblick in die Arbeitswelt der anderen Gesundheitsberufe. Die Belastungen führen bei knapp 39 Prozent der Arbeitnehmer zu Burn-out-Symptomen, gab die Arbeiterkammer bekannt. AK-Präsident Josef Pesserl forderte deshalb einen Stopp beim "Sparwahn" im Gesundheits- und Sozialwesen.

Steigende Belastungen

Befragt wurden rund 27.000 Mitarbeiter in Heimen, Spitälern, mobilen Betreuungsdiensten. Mehr als 20 Prozent meldeten sich zurück. Das sei schon ungewöhnlich, so Studienautor Tom Schmid von der Sozialökonomischen Forschungsstelle (SFS), denn üblicherweise seien nur fünf bis acht Prozent Rücklauf zu erwarten. Die Ergebnisse: 44,3 Prozent arbeiten mehr als vertraglich vereinbart, mehr als ein Viertel will kürzer arbeiten und 74 Prozent sind mit der Entlohnung unzufrieden. Mehr als die Hälfte empfand eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in den vergangenen sechs Jahren und glaubt auch in Zukunft an schlechtere Aussichten. 33,2 Prozent empfinden eine erhöhte emotionale Erschöpfung, "nicht der Mensch, nur der Beinbruch wird gesehen", sagt Schmid.

Doch wie passt das mit den steigenden Personalzahlen der Spitalsgruppen zusammen? Recht simpel: In den meisten Jahresberichten zeigt sich zwar ein Anstieg bei den Mitarbeitern, doch meist steigt die Zahl der behandelten Patienten noch stärker. Diese Schere geht bereits seit Jahren auf. Das heißt: mehr Patienten in kürzerer Zeit.

Der Unternehmensberater Roland Berger Strategy Consultants rechnete anhand deutscher Beispiele bereits vor zehn Jahren in Wien vor, dass die Kosten allein für das Pflegepersonal - die immerhin etwa 25 Prozent der gesamten Spitalskosten ausmachen - um zehn Prozent gesenkt werden könnten, wenn Dienstpläne besser gesteuert würden und Personal flexibler eingesetzt werde. Denn trotz teurer Technik sind die Personalkosten mit Abstand der größte Kostenfaktor.

Am Personal sparen

In Krankenhäusern entfallen etwa 60 bis 70 Prozent aller Ausgaben auf die dort beschäftigten Ärzte, Pflegekräfte und technischen Dienste. Sollen Kosten also nachhaltig gesenkt werden, muss man hier einsparen. Die Folge: Prozesse werden gestrafft, Krankenhäuser zusammengelegt. Für ganz Kärnten gibt es etwa nur noch eine Augenambulanz, in Wien sollen die städtischen Spitäler zu sieben Standorten zusammengeführt werden. Die Unfallversicherungsanstalt will ihre zwei Krankenhäuser in Wien und ein Rehazentrum zu einem neuen Megaspital machen. Damit werde die Versorgung für Patienten besser, sagt der Sprecher.

Selbst Patientenanwalt Gerald Bachinger ist überzeugt: "Die Konzentration durch die Bildung von Kompetenzzentren ist positiv zu sehen und führt zu längst fälligen Qualitätssteigerungen durch höhere Fallzahlen." Sowohl Schwerpunktbildung als auch Rationalisierung seien heutzutage durchgehende Programme bei jedem Rechtsträger und auch in der Gesundheitspolitik. Die neuen Herausforderungen lägen in der notwendigen Priorisierung und in der Erkenntnis, dass ein mehr an Quantität nicht automatisch ein mehr an Qualität bedeute, betont Bachinger.

Die Schattenseite beschreibt Gabriele Jaksch, Präsidentin der Dachgesellschaft der medizinisch-technischen Dienste (MTD), zu denen Physiotherapeuten, Logopäden, biomedizinische Analytiker, Diätologen, Ergotherapeuten, Orthoptisten und Radiologietechnologen gehören. Patienten hätten in einigen Einrichtungen keinen direkten Ansprechpartner mehr, der sie während einer längeren Therapie betreue. "Das verringert aber auch die Mitarbeit und Compliance, wenn es etwa darum geht, dass Menschen Übungen allein und zu Hause machen."

Medizin vom Fließband

"Der Patient als zuwendungsbedürftiges Individuum rückt in den Hintergrund", urteilt Gerhard Flenreiss, Autor des Buches Medizin vom Fließband. Will man als Patient im Gesundheitswesen heute Zuwendung, müsse man dafür extra bezahlen. Keine Versicherung - und vor allem keine öffentliche Krankenversicherung - zahle dem Arzt die Zeit, die er sich für Patienten nehme. Die Folge: Im Durchschnitt unterbricht ein Arzt seinen Patienten nach 18 Sekunden das erste Mal. Eine ärztliche Visite dauert drei bis vier Minuten. Dabei ist die Redezeit des Arztes Studien zufolge doppelt so lang wie die des Patienten.

Die wenige Zeit, die für Patienten bleibt, kann aber auch die Fehlerhaftigkeit erhöhen, analysiert Jaksch. "Die Radiologietechnologen erzählen, dass die Durchlaufquoten in der Radiologie stark steigen und gleichzeitig auch die Zeit bei einem einzelnen Durchlauf kürzer wird. Fast alle Diagnosen werden heute schon mit einem bildgebenden Verfahren abgesichert. Allerdings muss diese vielen Bilder dann ja auch jemand befunden. Und der hat weniger Zeit dafür."

Dabei haben Gespräche heilende Wirkung. Das weiß auch Michael Heinisch, Vorstand des Krankenhausbetreibers Vinzenz Gruppe: "Der Mensch ist dem Menschen immer noch die beste Medizin. Im Gesundheitswesen geht es um Menschlichkeit." Er wünscht sich, dass die eingesparten Mittel direkt zu den Patienten wandern, um ihnen mehr Zuwendung zu bieten. Die Ordensspitäler der Vinzenz Gruppe hätten so an der OP-Schleuse eine Person positioniert, die Patienten beruhigt. Heinisch räumt aber ein, dass trotz aller Bemühungen der Verantwortlichen in den Kliniken, sich um die Patienten zu sorgen, diese Herausforderung schwieriger wird. (Martin Rümmele, DER STANDARD, CURE, 19.8.2014)