Aus der Begegnung mit Drogenhändlern, die keinen Spaß verstehen, wird Lucy verändert hervorgehen: Scarlett Johansson als Titelheldin von Luc Bessons jüngstem Filmspektakel.

Foto: Universal Pictures

Wien - Scarlett Johansson ist Gott. Diese Behauptung würden vermutlich gar nicht so wenige Fans unterschreiben. Die US-Schauspielerin hat Kultstatus. In Luc Bessons Lucy muss Scarlett Johansson nun nicht weniger als einmal die Evolution im Schnelldurchlauf absolvieren - von der ersten Menschenfrau bis zum schließlich körperlosen Superhirn. Zwischendurch ist sie aber doch die meiste Zeit sie selbst - eine fragile junge Frau mit rauer Stimme und Schmolllippen. Lucy ist ein Actionfilm auf Neurotransmittern, und Scarlett Johansson ist das Körpermedium, an dessen Überwindung der Kultregisseur hier arbeitet.

Die Geschichte beginnt, wie es sich für einen Schöpfungsmythos gehört, zweimal. Einmal ganz vorn, als die Frauen noch Bärte hatten, und dann noch einmal in der leicht anfuturisierten Gegenwart, in Asien, wo die Uhren bekanntlich immer ein paar Stunden vorgehen. Lucy, eine junge Amerikanerin, steht mit einem Landsmann vor einem teuren Hotel in Taipeh. Er drückt ihr einen Koffer in die Hand. Wenig später sieht sie sich schon einer Gruppe asiatischer Drogenhändler gegenüber, die keinen Spaß verstehen.

Der Sprung vom verschüchterten Mädchen zur selbstbewussten Heldin hat mit den Drogen zu tun, die hier nach Europa geschmuggelt werden sollen. Es sind synthetische Drogen, die den Begriff der Bewusstseinserweiterung völlig neu definieren. Besson exerziert an seiner Heldin durch, was passiert, wenn jemand eine Überdosis von diesem CPH4 abbekommt.

In Paris doziert derweilen ein soignierter Professor Norman (Morgan Freeman) über seine Theorie von der Nutzung der menschlichen Hirnkapazität. Während er noch spricht, wird er von der rasenden Wirklichkeit überholt, die Besson sich ausgedacht hat. Das ist in etwa auch schon die beste Definition für sein Kino: eine Spektakelform, die über Lücken in der Erzählung oder gar der Logik oder der transzendentalen Vernunft einfach hinwegspringt, als wäre das Filmemachen ein Hindernislauf.

So hat er einst schon die ehrwürdige französische Nationalheldin Johanna von Orléans auf Touren gebracht und sie in einen mystischen Strudel gerissen, zu dem Lucy nun eine Art postnationaler Fortsetzung ist: Hier hört die Heldin keine Stimmen mehr, sondern sie verlässt die Welt durch den Ausgang, den man nur mit berühmten letzten Worten nimmt.

Überirdisch-unheimlich

Scarlett Johansson hat mit Lucy eine Rolle übernommen, die ursprünglich für Angelina Jolie gedacht war, die in Salt (2010) auch schon in eine ähnliche Richtung unterwegs war. Johansson ist aber die ungleich bessere Besetzung. Sie bringt aus dem großartig verblasenen Scifi-Thriller Under the Skin von Jonathan Glazer eine Aura des Überirdisch-Unheimlichen mit, die sie hier in den Dienst der Knallerbsenmetaphysik von Besson stellt. Stanley Kubrick und Terrence Malick lassen grüßen, aber Besson grüßt nicht zurück.

Die beste Szene von Lucy kommt, als die Heldin auf einem Langstreckenflug einen Anfall von "cold turkey" kriegt. Wir sehen Scarlett Johansson hier in ein paar schön grotesken Entstellungen, kriegen also einen Eindruck davon, was einem Starkörper bei schieflaufender Vergottung widerfahren könnte. Die Horrorfotos aus der Crystal-Meth-Abschreckung sind harmlos dagegen. Als Lucy wieder aus dem Flugzeugklo kommt, hat sie eine weitere Mutationsstufe genommen, und Besson setzt an zur Punktlandung im zerebralen Nirvana. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 12.8.2014)