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Tausende Jesiden sind nach wie vor vom Islamischen Staat eingekesselt und hoffen, dass sie ausgeflogen werden können.

Foto: AP/Mohammed

Michel Reimon spricht mit Flüchtlingen in Erbil.

Michel Reimon

Als einer der wenigen Österreicher erlebt der grüne EU-Parlamentarier Michel Reimon derzeit die Rettung der jesidischen Flüchtlinge vor Ort mit. Im Gespräch mit derStandard.at erzählt er von den chaotischen Zuständen im Nordirak.

derStandard.at: Herr Reimon, Sie sind gestern zum ersten Mal in die Gebirgshöhen von Sinjar geflogen. Merkt man, dass der Islamische Staat näherrückt und die Flüchtlinge einkreist?

Reimon: Ja, das merkt man, weil die Hubschrauber sowohl beim Hin- als auch beim Rückflug beschossen werden. Auch der Korridor, über den in den vergangenen Tagen einige der Jesiden flüchten konnten, musste wieder geschlossen werden, weil die Artillerie der IS nähergerückt ist und den Korridor treffen könnte.

Hubschrauber-Einsatz zur Versorgung und Evakuierung der Jesiden.
Michel Reimon


derStandard.at: Wie ist die Rettung der Jesiden derzeit organisiert?

Reimon: Insgesamt vier Hubschrauber bilden eine Luftbrücke. Allerdings gibt es immer wieder Probleme, zum Beispiel mussten gestern die Hubschrauber nach dem ersten Flug gleich einmal am Boden bleiben, weil sie kein Kerosin mehr hatten und der Tankwagen nicht durchkam.

Die Hubschrauber bringen Medikamente, Nahrung und Trinkwasser und fliegen danach Personen aus. An dem Tag, an dem ich mit unterwegs war, sind zum Beispiel 100 Personen ausgeflogen worden zu einem improvisierten Flughafen, der circa sechs Stunden Autofahrt von Erbil entfernt und militärisch halbwegs gut geschützt ist.

Die Personen werden in umliegende Flüchtlingslager gebracht, zum Beispiel auch jene, die ursprünglich für syrische Flüchtlinge gedacht waren. Die Zelte sind teilweise aus Karton, und sobald es irgendwo eine Mauer gibt, die Schatten wirft, tummeln sich dort hunderte Personen. In den letzten Tagen hat es immer über 40 Grad gehabt.

derStandard.at: Ist vor Ort bemerkbar, dass die USA mittlerweile Luftangriffe gegen den Islamischen Staat fliegt?

Reimon: Ja, die kurdischen Kämpfer sind sehr erleichtert, dass sie nun von den Amerikanern unterstützt werden. Schließlich haben sie bis dato mit veralteten Kalaschnikows gegen amerikanisches Gerät der IS-Anhänger kämpfen müssen, das diese von der irakischen Armee erbeutet haben. Die Kurden selbst wurden jahrelang nicht bewaffnet.

derStandard.at: Wie funktioniert die Flüchtlingsversorgung in Erbil?

Reimon: Es ist alles sehr improvisiert. Diejenigen mit Familienanschluss in der Stadt haben es noch etwas leichter. Alle anderen leben von der Hand in den Mund. Es kursieren sehr viele unterschiedliche Zahlen, wie viele denn nun vertrieben und unterwegs sind. Die höchste Zahl, die ich gehört habe, ist vom "Außenminister" der Region Kurdistan. Er spricht davon, dass 1,5 Millionen Flüchtlinge zu versorgen sind. Vor dem Aufstieg der IS waren es schon 400.000, die aus Syrien und im Irak auf der Flucht waren.

derStandard.at: Wie sehen Sie als neuer EU-Abgeordneter die Rolle der EU in diesem Konflikt? Wird genug getan?

Reimon: Zunächst sollte die EU möglichst schnell Hilfsgüter schicken. Mittel- und langfristig wird es wichtig sein, die Konsolidierung der politischen Landschaft im Irak zu fördern. Derzeit schweißt die Bedrohung durch den Islamischen Staat auch jene Gruppen zusammen, die ansonsten Gegner sind. Es gibt eine Zusammenarbeit des EU-Parlaments mit dem irakischen, da muss in diese Richtung Unterstützung geleistet werden. (Teresa Eder, derStandard.at, 11.8.2014)