Nicht nur das Urteil gegen Josef S., auch der jüngste Prozess gegen Rapid-Fans zeigt die Problematik des Straftatbestands "Landfriedensbruch“. Doch auch die kritische Öffentlichkeit schaut weg, wenn Fußballfans deswegen angeklagt sind.

Zuallererst zur Klarstellung: Ich bin Rapid-Fan und unterstütze meine Mannschaft, so oft es geht, bei nationalen und internationalen Spielen. Und ich bin Antifaschistin und trete als solche klar und öffentlich gegen jene auf, die ihre billig camouflierten vorgestrigen Ideen verbreiten.

Schlummernder Paragraf

Was das miteinander zu tun hat? Der gemeinsame Nenner heißt "Landfriedensbruch“, der seit Jahrzehnten "schlummernde“ Paragraf 274 des Strafgesetzbuchs, der in letzter Zeit wieder vermehrt angewandt wird. Vor wenigen Wochen wurde der deutsche Student Josef S. deswegen verurteilt.

Er hatte an der Gegendemonstration gegen den Akademikerball national Gesinnter im heurigen Jänner teilgenommen und war nach sechs Monaten U-Haft zu zwölf Monaten Haft, vier davon unbedingt, verurteilt wurden. Die Empörung über das (nicht rechtskräftige) Urteil war berechtigterweise groß, zumal es auf eine einzige Aussage eines teilnehmenden Polizisten in Zivil gestützt war. In zahlreichen Kommentaren wurde daraufhin die Problematik dieses Paragrafen, vor allem in Hinsicht auf das Demonstrationsrecht, thematisiert und eine legistische Änderung gefordert.

Prozess gegen Rapid-Fans

Weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit erhielt ein Prozess gegen 29 Rapid-Fans, der nahezu gleichzeitig im "Grauen Haus“ in Wien stattfand. Ihnen wurde ebenfalls Landfriedensbruch im Rahmen eines Freundschaftsspiels Rapid gegen Nürnberg am 7. September letzten Jahres vorgeworfen.

Am 31. Juli wurden im Prozess zwei der Angeklagten freigesprochen, der Prozess geht im September weiter. Ich selbst war 2013 beim Freundschaftsspiel gegen Nürnberg dabei und habe der Gerichtsverhandlung aufmerksam beigewohnt. Fairness sieht anders aus.

Friedliches Spiel

Dazu muss man wissen: Die Fans des FC Nürnberg und des SK Rapid fühlen sich seit Jahrzehnten eng verbunden und unterstützen sich gegenseitig immer wieder bei Matches. Auch das Freundschaftsspiel am 7. September im Hanappi-Stadion verläuft in toller Stimmung, Rapid verliert zwar 1:3, aber tausende Fans feuern beide Teams an.

Danach wird in Kirtagsstimmung auf Heurigengarnituren in der polizeilich gesperrten Keißlergasse weitergefeiert. Plötzlich gibt es einen Tumult. Die Tore zum Stadion sind versperrt. Eine völlig unübliche und einmalige Situation, denn normalerweise gehen die Fangruppen nach dem Spiel ins Stadion, um ihre Utensilien (Trommeln, Transparente usw.) in die vom Verein bereitgestellten Räumlichkeiten einzusperren.

An diesem Tag stehen sie aber vor verschlossenen Toren und vor Security-Mitarbeitern aus Ungarn, die sprachlich nicht verstehen, worum es geht, dafür aber ausgebildete Kampfsportler sind.

Eskalation

Einige Fans wollen die Sperre des Zugangs zu ihren Räumlichkeiten nicht hinnehmen, sie rütteln an den Gittertoren, wollen auch darüberklettern. Die Situation eskaliert gänzlich, als die Kommunikation mit den Securities nicht klappt und diese sich umgekehrt provoziert fühlen.

Die Exekutive stürmt den Bereich unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray. Fazit: Verletzte, Festnahmen und eben ein Prozess gegen 29 Rapid-Fans wegen Landfriedensbruch. Wie gesagt, ich bin bekennende Rapidlerin und Fußballfan, ich bin parteiisch. Ich muss auch gar nicht unparteiisch sein. Die Exekutive und das Gericht aber müssen das sehr wohl.

Empörender Prozessverlauf

Meiner Beobachtung nach war das hier aber nicht der Fall. Ich war seit der ersten Tagsatzung am 23. Juli beim Prozess vor Ort. Der Prozessverlauf hat viele Prozessbeobachter und mich empört: Die Richterin agierte aus meiner Sicht wie die zweite Anklägerin, die Ungarischdolmetscherin war gleichzeitig Zeugin, die Polizeivideos, die Beweismittel sind, zeigten einseitig nur Tätlichkeiten der Fans und unterschlugen den – nicht bestrittenen – Schlagstockeinsatz der Polizei.

Doch nicht allein der Prozessverlauf, schon die Anklage selbst scheint höchst fragwürdig.

Es ist mir bis heute nicht klar, wie es zur Anklage wegen Landfriedensbruch kommen konnte. § 274 (1) Strafrechtsgesetz legt fest: "Wer wissentlich an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge teilnimmt, die darauf abzielt, dass unter ihrem Einfluss ein Mord (§ 75), ein Totschlag (§ 76), eine Körperverletzung (§§ 83 bis 87) oder eine schwere Sachbeschädigung (§ 126) begangen werde, ist, wenn es zu einer solchen Gewalttat gekommen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.“

Landfriedensbruch bei Kirtagsrauferei?

Die Eskalation des Heurigenfestes nach dem Match Rapid - Nürnberg lässt jedoch keinen Vorsatz erkennen. Überspitzt gesagt könnte es in Zukunft auch bei Kirtagen und Feuerwehrfesten mit anschließender Rauferei und Sachbeschädigung zu einem Straftatbestand Landfriedensbruch kommen.

Richtig ist, dass es am Rande von Fußballspielen leider immer wieder zu Ausschreitungen kommt. Als Mitglied des Rapid-Wien-Ethikrats zerbreche ich mir den Kopf darüber, wie wir gewaltbereiten, rassistischen, sexistischen, xenophoben Fans gegenübertreten können.

Die überwiegende Mehrzahl der Rapid-Fans will aber weder Randale noch Probleme mit der Polizei, sie wollen nur ihren Verein unterstützen. Man kann darüber die Nase rümpfen. Aber es ist Ansichtssache. Andere sind im Schützenverein oder züchten Rosen.

Absurde Auswüchse

Vor Gericht müssen jedenfalls alle gleich behandelt werden. Und Aufmerksamkeit und Solidarität muss es mit allen geben, die von den absurden Auswüchsen dieses Paragrafen betroffen sind – egal ob es demonstrierende AntifaschistInnen sind oder Fußballfans, die plötzlich in einen Konflikt mit Sicherheitskräften geraten.

Hannes Jarolim, der Justizsprecher der SPÖ im Nationalrat, hat gefordert, den Paragrafen 274 in seiner jetzigen Form zu überdenken. Gut so. Auch ich trete sehr dafür ein, dass dieser Paragraf dringend modifiziert und präzisiert wird. Bis dahin muss aber gelten, dass der Referee, also das Gericht, alle gleich behandelt – und das wachsame Auge der kritischen Öffentlichkeit keinen toten Winkel aufweist. (Nurten Yilmaz, derStandard.at, 11.8.2014)