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Ein Foto aus dem Jahr 2005: ein Jaside in den Bergen von Sinjar, über einem Dorf.

Foto: AP/Jacob Silberberg

Im Laufe ihrer Geschichte hätten sie 72 "Fermans" erlebt, sagen die Jesiden von sich selbst. Das Wort Ferman bezeichnet eigentlich ein osmanisches Sultansdekret; bei den Jesiden hat es sich bezeichnenderweise in der Bedeutung "Pogrom" festgesetzt. Immer wieder war die religiöse Minderheit im Nordirak Verfolgungen ausgesetzt, nach dem Sturz Saddam Husseins durch die USA im Jahr 2003 machte ihnen der wachsende Islamismus zu schaffen. Der jetzige "Ferman", der die Jesiden durch den Vormarsch des "Islamischen Staats" trifft, trägt klar genozidale Züge.

2007 gab es in den jesidischen Dörfern Qahtaniya und Siba Sheikh Khidir Anschläge sunnitischer Extremisten, wobei hunderte Jesiden getötet wurden. Die Steinigung einer jungen Jesidin durch ihre eigenen Leute, weil sie aus Liebe zu einem Muslim zum Islam konvertieren wollte, war offenbar der Anlass. Eine schlimme Geschichte - aber nur durch Abschottung haben Gemeinschaften wie die jesidische überlebt.

Eigene Abstammung

Die strikte Endogamie - Eheschließung in der eigenen Gruppe - hat auch eine religiöse Grundlage, schreibt Stephan Procházka, Universität Wien (in: Religionen unterwegs 20. Jg. Nr. 1, 2014): Die religiösen Jesiden glauben, eine andere Abstammung als der Rest der Menschheit zu haben (aus Adams Schweiß wurde ein Mann geschaffen, der mit einer Paradiesjungfrau Kinder zeugte). Nur wessen Mutter und Vater jesidisch ist, ist Jeside.

Die Schätzungen, wie viele Jesiden es weltweit gibt, fallen sehr unterschiedlich aus, von 200.000 bis zu einer Million. Das Stammgebiet ist das Sheikhan-Gebirge nördlich von Mossul - wo sich in Lalisch das zentrale Heiligtum befindet - aber auch das Gebiet von Sinjar zwischen Tigris und syrischer Grenze. Die meist Kurmanji-Kurdisch sprechenden Jesiden waren von Saddams ethnischer Politik betroffen: Unter dem Vorwand der Modernisierung wurden Dörfer und Strukturen zerstört, neue "Kollektive" errichtet. Die jesidische Diaspora ist groß, etwa in Deutschland. Kleine Gemeinden leben in Syrien und in der Türkei, eine größere in Armenien.

Scheich Adi und Lalisch

Die Eigenbezeichnung der Jesiden ist Ezdi oder Ezidi, dazu gibt es zwei Etymologien: das mittelpersische Wort "yazad" (Gottesgeschöpf) und den zweiten Umayyadenkalifen Yazid bin Muawiya (gest. 683). Historisch wird das Jesidentum, das die Jesiden als die älteste Religion der Welt ansehen, mit Scheich Adi bin Musafir, der im 12. Jahrhundert bei Lalisch einen Sufiorden gründete, sichtbar. Für die Jesiden gilt er als Neuerer, nicht als Begründer.

Das Jesidentum ist eine eigenständige Religion mit Spuren anderer Religionen wie Zoroastriertum (Feuer, Wasser und Sonne), Judentum, Christentum, der Gnosis (Seelenwanderung), aber auch völlig singulären Elementen, unter anderem einer ganz eigenen Kosmologie: Gott schuf vor der Erschaffung der Welt eine weiße Perle. Besonders wichtig ist der Engel Pfau (Melek-e tawus), Führer von sieben Engeln, die aus göttlichem Licht emaniert wurden. Er ist auch Schutzpatron der Jesiden, jährlich gibt es in Lalisch das Fest der "Parade des Pfaus".

Vom Engel Pfau kommt auch das Missverständnis, das den Jesiden den Ruf der "Teufelsanbeter" eingetragen hat, der den Hass der Extremisten auf sie befeuert. Die mythologische Erzählung über den Engel Pfau lehnt sich an die koranische Geschichte über den Engel an, der sich vor Adam nicht niederwerfen will: Iblis. Aber es ist eben ganz eindeutig nicht die gleiche Figur. Der Name des Teufels ist bei den Jesiden tabuisiert. Sie haben auch ganz eigene Speiseverbote, die Fisch und sogar verschiedene Gemüse betreffen. Die Geistlichen, die einen hohen Stellenwert haben, dürfen ihren Bart nicht schneiden und keine blaue Kleidung tragen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 11.8.2014)