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Mit einem Kreuz auf dem Richtertisch kann eine objektive Beurteilung von Fragen der Religionsfreiheit nicht vorausgesetzt werden.

Foto: AP/Zak

Man hätte es als klassisches Sommerlochthema ad acta legen können, doch es hat konkrete rechtliche Konsequenzen: Nach wochenlangen tiefschürfenden Ermittlungen in der "Szene" hatte es die heimische Polizei geschafft, eine Frau auszuforschen, die von einem Pfarrer in Hörsching angezeigt wurde. Ihr Vergehen: Sie hat sich in der leeren Kirche des Pfarrers selbst befriedigt, dabei gefilmt und die Videos ins Internet gestellt. Der Priester soll auf die Filme aufmerksam geworden sein, da die Jugendlichen der Pfarre diese mit ihren Mobiltelefonen geteilt hatten. Was auf den ersten Blick nichts weiter als eine skurrile Posse zu sein scheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als rechtsstaatliches Problematikum: Der Frau, die in einschlägigen Foren unter dem Namen "Babsi" ihre offenbar exhibitionistische Neigung auslebt, drohen bei ihrem Prozess im Dezember nun bis zu sechs Monate Haft, vorgesehen in Paragrafen, die im Strafgesetzbuch eines säkularen Staates eigentlich keinen Platz haben sollten. Die Paragrafen 188 ("Herabwürdigung religiöser Lehren") und 189 ("Störung einer Religionsübung") zeigen, dass in Österreich eine echte Trennung von Kirche und Staat nicht existiert.

"Wer an einem Ort, der der gesetzlich zulässigen Religionsübung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft gewidmet ist, (...) auf eine Weise Unfug treibt, die geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen", heißt es in §189. Der Gesetzgeber erklärt nicht näher, wie "Unfug" definiert ist.

"Richtet nicht!"

"Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?", lässt der Evangelist Matthäus Jesus in der Bergpredigt fragen. Diesen grundlegenden Abschnitt des neuen Testaments dürfte der Pfarrer von Hörsching verdrängt haben, als er die Strafanzeige machte: "Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen", heißt es da, und "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!". "Babsi" hat die Botschaft der Bergpredigt jedenfalls besser erfasst als der Geistliche: "...dann sollte man nicht andere verurteilen, sondern jeden so leben lassen wie er es für richtig hält", schrieb sie im Juli in einer Stellungnahme in ihrem Blog nach Bekanntwerden der Anzeige, in Folge derer sie offenbar zur Zielscheibe wüster Anfeindungen wurde.

Beim Prozess im Linzer Landesgericht könnte es nun zu einer delikaten Situation kommen, falls die Angeklagte dabei mit dem in österreichischen Gerichtssälen häufigen (aber nicht vorgeschriebenen) Kruzifix konfrontiert wird. In Linz ist das Kreuz in ungefähr der Hälfte der Gerichtssäle vorhanden. Es wird als Utensil für Vereidigungen von Personen christlichen Glaubens eingesetzt und dient damit zur Bekräftigung der Wahrheitspflicht bei Aussagen. Doch was spricht dagegen, dass Religiöse den selben Schwur leisten wie Nichtreligiöse? Ein unabhängiges Gericht sollte nicht einmal in die Nähe eines Befangenheitsvorwurfs kommen, doch mit einem Kreuz am Richtertisch kann eine objektive Beurteilung von Fragen der Religionsfreiheit nicht vorausgesetzt werden.

Inwieweit die Videos die religiösen Gefühle der Gläubigen verletzt haben sollen ist schwer nachzuvollziehen, denn diese können, wenn sie die kirchlichen Gebote ernstnehmen, kaum versehentlich auf die einschlägigen Webseiten geraten sein. Der Pfarrer hat sie sich jedenfalls nach eigenen Angaben nicht selbst angesehen, dafür aber "detailliert beschreiben lassen". Und bei den Jugendlichen, über die die Angelegenheit angeblich publik wurde, stellt sich zuallererst die Frage nach der elterlichen Aufsicht, wenn der Nachwuchs auf nicht jugendfreien Webseiten surft.

Religion ist Privatsache

Grundsätzlich ist jedoch zu hinterfragen, warum gerade "religiöse Gefühle" von staatlicher Seite in besonderer Weise schützenswert sein sollen. Die Mitgliedschaft bei einer Religionsgemeinschaft ist schließlich kein angeborenes, unabänderliches Merkmal wie zum Beispiel Geschlecht, Hautfarbe oder ethnische Zugehörigkeit, sie unterliegt einer Willensentscheidung, so wie eine Parteizugehörigkeit oder die Anhängerschaft eines Sportvereines. Der Staat sollte diesbezüglich daher keinen Unterschied machen: Religion ist eine Privatangelegenheit, es gibt daher keinen Grund, den Anhänger einer Religion anders zu behandeln als den Anhänger eines Fußballclubs - und niemand würde auf die Idee kommen, die Gefühle eines Fußballfans als besonders schützenswert zu betrachten.

Das Vertrauen der Gläubigen in die Allmächtigkeit ihres Gottes scheint jedenfalls begrenzt, wenn es des irdischen Strafrechts bedarf, um die religiösen Interessen zu verteidigen. (Michael Vosatka, derStandard.at, 14.11.2014)