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Eine Aufnahme von 2008: Festlich gekleidete Mädchen versammeln sich am 71. Geburtstag Saddams an seiner Grabstätte. Foto: Reuters

Foto: REUTERS/Sabah al-Bazee

Bagdad/Wien - Saddam Hussein ist nicht mehr dort, wo man ihn vermutete: Die Leiche des am 30. Dezember 2006 gehenkten irakischen Diktators wurde von Angehörigen seines Stammes, den Al Bu Nasir, schon vor Monaten heimlich an einen sicheren Ort gebracht. Vor wenigen Tagen stürmten und verwüsteten schiitische Milizen, die in der Nähe von Auja, dem Geburts- und Begräbnisort Saddams bei Tikrit, den "Islamischen Staat" (IS) und dessen Alliierte bekämpfen, die Grabstätte. Saddams Überreste fanden sie dort jedoch nicht mehr vor.

Im Irak geht es jetzt um viel Wichtigeres als um Saddams Leiche, aber die Geschichte wirft ein grelles Schlaglicht auf die Gemengelage rund um den Vormarsch der IS. Als die Jihadisten im Juni Tikrit und Auja einnahmen, stellten sich Beobachter unter anderem die Frage, was mit dem Grab geschehen würde: Der religiöse Eifer der Brachialfundamentalisten richtet sich ja ganz besonders gegen Grabstätten, die der Verehrung des darin bestatteten Menschen dienen, also nach salafistischem Verständnis idolatrische Züge haben. Das traf auf Saddams Begräbnisstätte ohne Zweifel zu. Bereits vor ein paar Jahren drohte die Regierung von Nuri al-Maliki erstmals damit, die sterblichen Überreste Saddams verlegen zu lassen, denn das Grab hatte sich längst zum Wallfahrtsort für Loyalisten und andere von der neuen Ordnung Abgestoßene entwickelt.

Die Jihadisten ließen die Stätte im Juni jedoch ungeschoren: Aus taktischen Gründen übten sie Rücksicht auf den Stamm Saddams, der sich gegen sie gewandt hätte, wenn sie sich am Grab vergriffen hätten.

In Auja und Tikrit - dort nach tagelangen Kämpfen - setzte sich Ende Juni wieder die irakische Armee durch. Aber seit einigen Tagen kommt es erneut zu Auseinandersetzungen, besonders in Auja, und zwar zwischen schiitischen Milizen - den Hilfstruppen der irakischen Armee - und Altbaathisten vom JRTN (Armee der Männer des Naqshbandi-Ordens), also Anhängern des Ancien Régime, die naturgemäß bei Saddams Stammesklientel besonders viel Unterstützung haben. Die JRTN meldete per Twitter den Tod von dutzenden ihrer Gegner - bestätigt ist das allerdings nicht. Und die schiitischen Milizen nahmen sich Saddams Grab vor.

Das wird außer seiner Familie und seinen Anhängern niemanden besonders kränken - aber man sollte sich vergegenwärtigen, dass diese Milizen immerhin im Namen des irakischen Staates agieren. Es geht heute darum, die Einheit des Irak zu retten, indem man die entfremdeten Sektoren der Gesellschaft wieder zurückgewinnt. So wird das bestimmt nicht funktionieren.

Schiitischer Racheakt

Der Vorfall ist die Fortsetzung einer längeren Geschichte: Schon der Akt der Hinrichtung von Saddam Hussein an einem islamischen Feiertag mitten im Bürgerkrieg war dazu angetan, nicht nur die irakischen Sunniten, sondern die ganze arabische sunnitische Welt zu verstören. Saddams Tod geriet zu einem barbarischen Racheakt, seine Henker brüllten religiöse schiitische Parolen, einer der Zeugen filmte auf Handy und verbreitete das Video im Internet.

Den Befehl zur Hinrichtung gab Maliki, seit sieben Monaten Premier. Wie viele meinten, starb Saddam zu früh: Erst einer der Prozesse gegen ihn war am 5. November 2006 mit einem Todesurteil zu Ende gegangen, und es war ein vergleichsweise "kleiner" gewesen, verglichen mit den Anklagen wegen des genozidalen Abschlachtens der Kurden in den 1980er-Jahren. Saddam Hussein wurde konkret für den Tod von 143 Bewohnern des schiitischen Dorfs Dujeil gehenkt, wo 1982 ein Attentatsversuch gegen den Präsidenten stattgefunden hatte, den er grausam rächte. Maliki war da schon im Exil: Wegen seiner Mitgliedschaft bei der Schiitenpartei Dawa, die das Regime bekämpfte, war er 1980 zum Tode verurteilt worden und hatte im Iran und später in Syrien Zuflucht gefunden.

Und 2006 war die Stunde der Rache für die Schiiten gekommen, so stellte sich das damals für Teile der Öffentlichkeit dar. Maliki agierte im Alleingang, das heißt, auch gegen den Rat der Amerikaner, die - zu Recht - eine weitere Eskalation im Bürgerkrieg befürchteten. Er dürfte Angst gehabt haben, dass sunnitische Extremisten durch eine der damals üblichen großen Geiselnahmen versuchen könnten, Saddam freizupressen. Aber er hörte auf den Rat, die Leiche Saddams dessen Leuten zurückzugeben. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 9.8.2014)