In der Verfilmung von Cormac McCarthys Roman "The Road" wandern Vater (Viggo Mortensen) und Sohn (Kodi Smith-McPhee) durch eine zerstörte Welt, in der sie nur mehr einander trauen können.

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Es ist eine Zukunft, in der niemand leben will. Das Klima ist unwirtlich, die Kontinente sind überschwemmt, es ist bitterkalt, und die Sonne zeichnet sich nur schwach am verdunkelten Himmel ab. Die letzten Menschen leben nicht mehr, sie überleben nur noch. Sie irren einsam und unter dauernder Bedrohung anderer hungriger Überlebender durch eine zerstörte Natur. Die einzige Beute, die bleibt, ist der Mensch.

Die Literaturwissenschafterin Eva Horn hat in ihrem neuen Buch Zukunft als Katastrophe diese und ähnlich bedrückende Dystopien aus Filmen, Romanen, Gedichten oder Sachbüchern untersucht. Horn, Professorin für neuere deutsche Literatur an der Uni Wien, fragt nach den Bedeutungen dieser Fiktionen über eine postapokalyptische Welt. Was sagen solche Gedankenexperimente über gegenwärtige Ängste oder herrschende Ideale aus? Und welcher Zeitgeist steckt in den Darstellungen der schlimmsten Befürchtungen über unser aller Ende?

Etwa in den Bildern des Blockbusters I Am Legend (2007), die ein menschenleeres New York zeigen: Mehr und mehr erobert sich die Natur die frühere Millionenmetropole zurück, zwischen muskelbepackten und für ihre Spezies ungewöhnlich schnellen Zombies, die auf das rar gewordene Menschenfleisch gieren, das sie an Hauptdarsteller Will Smith schon von weitem riechen. Wie im Zombiegenre üblich, war eine Seuche schuld an der beinahe kompletten Ausrottung der Menschheit. Anders in dem Film Dr. Strangelove (1969), in dem das Ende in Form einer nuklearen Bombe auf die Welt zurast, die ein wahnsinniger General zündet. Und in Roland Emmerichs The Day After Tommorrow (2004) liefert das Klima die Vorlage für ästhetische Vorschläge, wie das Unvorstellbare aussehen könnte. Für ihre historische Klammer wählt Horn aber keine populärkulturellen Referenzen, an denen es in ihrem Buch sonst nicht fehlt, sondern Beispiele aus Lyrik und Literatur: George Gordon Lord Byrons Gedicht Darkness (1816) und der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Roman The Road von Cormac McCarthy (2006) schließt die Klammer im 21. Jahrhundert.

Ein Ende ohne Gott

Somit setzt Horns Analyse in der Romantik ein, und die Dystopien erhalten einen säkularen Rahmen: Es ist nicht mehr Gottes Wille, dass alles stirbt, sondern das Weltende wird vielmehr zum Beleg der Abwesenheit eines Gottes. In dieser Abkehr von der Vorstellung, dass der Mensch dem Willen und Zorn Gottes ausgeliefert ist, findet sich die Verknüpfung und Fortsetzung zu dem zweihundert Jahre später erschienenen Buch von McCarthy: Der Mensch ist nicht nur von Gott verlassen und steht allein am Endpunkt der Menschheit; womöglich ist er auch an diesem Ende schuld. Eine Schuld, die ihn - vor allem in neueren Szenarien von Zukunftskatastrophen - gleich doppelt treffen kann: Er hat sich verschuldet, in dem er die Ressourcen der Erde verschwendet hat, sodass der Kollaps nur eine Frage der Zeit war. Und schuld, weil er jegliche Menschlichkeit ob des ausgebrochenen Überlebenskampfes über Bord wirft, wodurch er letztlich selbst das Ende der Menschheit eingeläutet hat. Denn womöglich ist erst die große soziale Katastrophe das tatsächliche Ende der Menschheit.

Schon Byron beschreibt, wie Horn ausführt, die Naturkatastrophe als soziales Desaster: "jeder saß einsam und düster - und schlang im Finstern - Liebe war nicht mehr", heißt es in Darkness. Neben aufkommendem Zweifel an der Idee der Aufklärung von einem endlosen Fortschritt wird das Ende der Welt als Ende jedweder Menschlichkeit erzählt. Noch um einiges drastischer formuliert diesen Gedanken Cormac McCarthy in seinem Roman aus dem Jahr 2006: Das Ende ist endgültig, wenn das soziale Gefüge stirbt, wenn kein Gesellschaftsvertrag mehr gilt. In McCarthys Erzählung versucht sich ein Mann mit seinem Sohn bis zur Küste durchzuschlagen - was sie dort erwartet, ist unklar. Vielleicht etwas wärmere Temperaturen, vielleicht das eine oder andere Haus auf ihrer Route, das noch nicht zur Gänze geplündert ist. Selbst den Toten wurden die Kleider vom Leib gerissen, auch nach dem Menschenfleisch der Überlebenden wird in kannibalischen Raubzügen getrachtet. Vertrauen existiert nur mehr zwischen Vater und Sohn.

Die Familie als einzige funktionierende Kooperationsform taucht auch in anderen Zukunftsfiktionen auf. In Roland Emmerichs Film 2012 wird die Klimakatastrophe zum Kitt für die Kernfamilie: Der Stiefvater muss in den Wirren der Katastrophe sein Leben lassen. Die leiblichen Eltern zweier Kinder finden wieder zueinander, der Neuanfang in einer postapokalyptischen Welt ist auch ein Neubeginn für die Familie. The Road bietet im Gegensatz zu Emmerichs Film, der wenig Raum für Interpretationen lässt, zwei entgegengesetzte Lesarten an: Ist das Zurückgeworfensein auf das eigene Fleisch und Blut in McCarthys Roman das Lob auf eine Beziehung, die letzten Endes bleibt? Oder stellt er die Behauptung auf, dass eine Gesellschaft ohne weitreichende Solidarität kein lebenswertes Dasein mehr bietet und nur brutaler Kampf zwischen Clans ist?

Horn sieht die aktuelle Hochkonjunktur solcher Geschichten in weitaus diffuseren Ängsten begründet, als etwa in den 1960er-Jahren. Damals war "die Bombe" eine fokussierte Angst, wenngleich die Vorstellung, was eine Katastrophe durch eine nukleare Bombe bedeuten könnte, im Dunkeln blieb. Heute seien auch die herrschenden Ängste und Bedrohungen selbst um einiges nebulöser. Doch ob Klimakatastrophen, ein Virus, Massenvernichtungswaffen, politische Unterdrückung oder schlicht Armut: Bilder geben diesen Ängsten zumindest kurzfristig eine Form und somit Begrenzung. Ein guter Grund, warum diese Bilder gefragt sind.

Eva Horns Buch ist eine dramatische kulturgeschichtliche Untersuchung der katastrophalen Zukunftsfiktionen - samt ihren Anbindungen an die realen Verhältnisse. Horn trennt nicht zwischen Massenkultur und jenen Kulturgütern, die aufgrund ihrer schwerer zugänglichen Form oft per se als ein Erkenntnisgewinn verbucht werden. Nicht zuletzt deshalb liest sich Zukunft als Katastrophe über weite Strecken wie eine packende Geschichte über den Zustand unserer Gesellschaft - in ihrer Furcht vor dem Morgen. (Beate Hausbichler, Album, DER STANDARD, 9./10.8.2014)