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Pianist Jewgenij Kissin.

Foto: EPA/URS FLUEELER

Salzburg - Herrschte Morgennebel im August 1825, als die Postkutsche mit Franz Schubert drin die steilen Hänge des Gasteiner-Tals erklomm? Die Klaviersonate D-Dur op. 53 D 850, eine Frucht dieser Sommerreise, lässt es vermuten: Mit der "Gasteiner" eröffnete Jewgenij Kissin sein Solistenkonzert im Großen Festspielhaus. Kissin stürzte sich Hals über Kopf in das Allegro, erfüllt von vorwärtsdrängender Energie: Zielgerichtet phrasierend orientierte er sich souverän im unübersichtlichen Gelände zwischen den unzähligen Varianten des pochenden Hauptmotivs und den stürzenden Unisonokaskaden.

Diese sich kraftvoll aufdrängenden Gebirgsbilder blieben dennoch überschattet von Kissins charakteristischem Klavierklang mit dem gar nicht sparsam eingesetzten Pedal. Im schwebenden und anschlagtechnisch perfekt ausgeloteten Andante klang der Steinway beinahe wie mit einem Samtstreifen präpariert. In auffallendem Kontrast zum weichen Sound stand das wie mit dem Metronom durchgezählte Tempo. Das war kein "typischer" Schubert, in dem Hirten verträumt auf starrendem Fels sitzen oder Jäger ihre Hornquinten munter gegen diesen schallen lassen.

Die Überraschung brachte der vierte Satz. Im Rondo der Sonate D-Dur D 850 zieht der Schubert'sche Wanderer einmal nicht müh- und einsam am Wanderstab seiner Wege. Hier lässt er munter und heiter den Spazierstock schwingen. Auch schien sich der Nebel- oder Samtstreif von den Saiten zurückgezogen zu haben: Strahlend glänzten die Trillerketten. Mit unverhüllter Kraft und Energie, ja aggressiv strotzten die Gegenthemen. Im glasklaren Licht verklang dieser denkwürdige Schubert.

Danach widmete sich Jewgenij Kissin als russischer Virtuose Alexander Skrjabins zweisätziger Klaviersonate Nr. 2 gis-Moll op. 19, der Sonate-Fantaisie, eines großen Klanggemäldes, ätherisch schwebend im Andante, rauschhaft virtuos im Presto. Ebenfalls "früher Skrjabin" sind die Zwölf Etüden op. 8 von 1894. Kissin spielte davon sieben, und zwar die kanonische Auswahl der beiden großen Skrjabin-Interpreten Vladimir Sofronitsky und Vladimir Horowitz. Rhythmisch raffiniert gegeneinander verschoben sind die Themen der rechten und der linken Hand in der zweiten und in der vierten Etüde. Im Ausdruckszentrum scheinen die lyrischen gesanglichen Passagen zu stehen. So ist auch funkelndes Tastenfeuerwerk immer mit Seele erfüllt. (Heidemarie Klabacher, DER STANDARD, 8.8.2014)