"SPF" bleiben, Modellregionen zum gemeinsamen Lernen kommen, sagt Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ).

Wien – Im Bildungsministerium reagiert man auf einen Bericht des STANDARD, wonach immer mehr jungen Menschen in Österreich Sonderpädagogischer Förderbedarf (SPF) attestiert wird und diese in die Sonderschule kommen. So werde es eine von Behindertenanwalt Erwin Buchinger geforderte Abschaffung des "Stigma SPF" nicht geben: Im Ministerium verweist man auf das Regierungsprogramm, in dem vorgesehen ist, dass die Höhe der SPF-Quote sich künftig am tatsächlichen Bedarf orientieren soll. Ziel sei außerdem der Ausbau der Integrationsklassen und die Weiterentwicklung der inklusiven Bildung.

Die Qualitätssicherung der Gutachten zum SPF sei in einem Rundschreiben verankert worden, und es gäbe regelmäßig Schulungen für Gutachter.

Förderung soll nicht weiter pro Kopf abhängen

Auf Anfrage des STANDARD prach sich Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek "klar" gegen die mit der Diagnose "sonderpädagogischer Förderbedarf" (SPF) häufig verbundene Stigmatisierung aus. Deshalb wurde im Arbeitsprogramm der Regierung vereinbart, SPF "über die gesamte pädagogische Bandbreite hin zu überarbeiten“. Zur Forderung des Buchingers, wonach das sonderpädagogische Förderbudget an Schulen nicht weiter von einzelnen SPF-Schüler abhängig sein soll, heißt es aus dem Unterrichtsministerium: "Die Mittel von der Anzahl der ‚Köpfe‘ zu trennen, ist eine Vorschlag, der inzwischen auch von vielen Fachleuten gemacht wird. Wichtig erscheint, dass die richtige Förderung bei den SchülerInnen ankommt.“ Die derzeitige Verknüpfung von SPF-Schülern und Ressourcen müsse jedoch "überdacht und weiterentwickelt“ werden.

Vom Ratifizieren und Umsetzen

Mit der Ratifizierung der UN-Menschenrechtskonvention hat sich Österreich 2008 zum gemeinsamen Unterrichten von Schülern mit und ohne Behinderungen verpflichtet. Besonders in den polytechnischen Schulen gibt es eine gegenteilige Entwicklung, wie der STANDARD berichtete.

Flächendeckende Modellregion bis 2015

Im Regierungsprogramm ist die Einrichtung von Modellregionen vereinbart, in denen Schüler mit und ohne besondere Bedürfnisse gemeinsam lernen sollen. Bis 2020 soll die Sonderschule zur Ausnahme werden. Stattdessen soll es flächendeckend inklusive Modellregionen geben, in denen Schüler mit und ohne besondere Bedürfnisse gemeinsam lernen. Ein Pilotprojekt dazu startet laut Bildungsministerium ab 2015 in der Steiermark. Hintergrund dieser Reformpläne ist der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung UN-Menschenrechtskonvention.

Individuelle Bildungsziele

In der Praxis soll der inklusive Unterricht funktionieren, in dem bei den Modellversuchen, an denen alle Schulformen von Volksschule bis AHS und BMHS teilnehmen müssen, die Bildungsziele individuell festgelegt sind: Werden die einen Schüler im Gymnasium auf die Matura vorbereitet, sollen die anderen dort an ein autonomeres Leben mit weniger Abhängigkeit von Eltern und Betreuungspersonen herangeführt werden. Dafür sollen Kinder mit speziellem Förderbedarf zeitweise auch aus der Großgruppe herausgenommen werden: "Inklusion heißt nicht, dass alle Kinder immer zusammen sein müssen, sondern dass sie auch temporär in speziellen Gruppen oder Einzelbetreuung sein können", heißt es aus dem Büro Heinisch-Hoseks. Klar sei jedenfalls, dass in diesem neuen Setting alle Lehrer für inklusives Unterrichten von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung ausgebildet sein müssen. Das sei auch in der neuen Lehrerausbildung verankert.

Weiterhin Spezialangebote

Bis 2020 soll es die inklusiven Modellregionen in ganz Österreich geben. Die Vision ist, dass dann auch keine Sonderschulen mehr notwendig sein werden: Wenn die pädagogische Qualität in der Inklusion so überzeugend sei, würden Eltern sich noch stärker als jetzt für Integration anstelle von Sonderschulen entscheiden. Aber auch dann könne es noch immer sein, dass es für bestimmte Formen der Behinderung weiterhin Spezialangebote geben wird, die aber in einem Verbund oder in einem Campusmodell in einer nicht aussondernden Weise angeboten werden. Allerdings sollen auch diese Kinder vom "Sozialen Miteinander" profitieren können.

Mehr als 30.000-mal Etikett "SPF"

Im vergangenen Schuljahr gab es bundesweit mehr als 30.500 Kinder und Jugendliche mit Sonderpädagogischem Förderbedarf, die wegen körperlicher oder psychischer Einschränkung spezielle Unterstützung im Unterricht benötigen. 61 Prozent der Schüler mit SPF wurden dabei integrativ und nicht in einer eigenen Sonderschule (Sonderpädagogisches Zentrum / SPZ) oder Sonderschulklassen unterrichtet. Der Anteil variiert allerdings je nach Bundesland stark: So werden in Tirol nur knapp 47 Prozent inklusiv unterrichtet, während es in der Steiermark 85 Prozent sind.

Der bereits hohe Grad an Inklusion ist auch der Grund, wieso die Region Graz und Umgebung samt Voitsberg als erste inklusive Modellregion ausgewählt wurde. Nur besonders betreuungsintensive Kinder und Jugendliche werden hier derzeit noch separat unterrichtet. Ein Konsortium mit Akteuren aus dem Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich, Jugendwohlfahrt und Fahrtendiensten etc. erarbeitet nun ein Modell, wie bei einer Reduktion der Sonderschulen das Therapieangebot andernorts zur Verfügung gestellt werden kann.

Kompetenzen bündeln

Man werde nicht überall für alle Gruppen (z. B. sehbehinderte Schüler) Angebote machen können, schränkt das Bildungsministerium ein. Es soll allerdings in jedem Bezirk einen Standort mit spezieller Ausstattung und einer Kernkompetenz etwa für blindengerechten Unterricht geben. Ziel sei zusätzlich, durch bessere Vorbereitung – etwa durch bessere Absprache mit den Kindergärten – schon den Bedarf künftiger Schüler zu kennen, damit sich die jeweiligen Standorte besser auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes einstellen können.

Eine sehr große Gruppe der Schüler mit SPF sind allerdings ohnehin nicht jene mit körperlicher Behinderung, sondern jene mit teilweise schweren Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen. Hier müsse man Konzepte entwickeln, bei denen die Schüler in manchen Phasen in ganz kleinen Gruppen oder eins zu eins beschult werden, in anderen Phasen aber in einer größeren Gruppe mitlernen. "Damit gibt es in der Integration bereits sehr gute Erfahrungen." Klar sei aber auch, dass dafür nicht nur entsprechend ausgebildete Lehrer notwendig sind, sondern auch Unterstützungspersonal nicht nur aus dem Bildungs-, sondern auch Sozialbereich. (APA, red, 07.08.2014)

Zum Weiterlesen:

Das Comeback der Sonderschule in Österreich