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Strenge Kontrolle: Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Moskauer Supermarkt.

Foto: AP Photo/RIA-Novosti, Alexei Nikolsky

Luhansk/Kiew/Moskau - Das nun konkret von Russland als Gegenmaßnahme zu den Sanktionen des Westens gegen die EU und USA verhängte Importverbot für einen beträchtlichen Teil von Lebensmitteln sorgt in der Europäischen Union für Unsicherheit und Kritik. Griechenlands Obst- und Gemüseexporteure fürchten dramatische Verluste für diesen wichtigen Wirtschaftsbereich, Finnland droht ein Viertel seines Exportvolumens zu verlieren.

Russland hat am Donnerstag ein Importverbot für Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch gegen die EU, die USA, Australien, Kanada und Norwegen verhängt, weil diese die im Ukraine-Konflikt Strafmaßnahmen gegen Moskau erlassen hatten. Das Importverbot gilt ab sofort und soll ein Jahr dauern.

Die Sanktionen betreffen fast 37 Prozent sämtlicher Agrarexporte der EU nach Russland. An der Spitze stehen mit 9,1 Prozent Obst, gefolgt von Käse (8,3 Prozent), Schweinefleisch (8,2) und Gemüse (6,5).

In Österreich wird ein Rückschlag für die heimischen Lebensmittel- und Agrarexporte befürchtet, erklärte Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP). Er forderte die italienische EU-Ratspräsidentschaft auf, rasch eine Sondersitzung der EU-Agrarminister einzuberufen.

Vergangenes Jahr hat Österreich Agrargüter und Lebensmittel im Wert von 238 Millionen Euro nach Russland exportiert (siehe Grafik). Die Hälfte davon könnte wegen des russischen Importstopps gefährdet sein.

Bauern fordern Hilfe

Hermann Schultes, Präsident der Landwirtschaftskammer, verlangte am Donnerstag staatliche Hilfe für Österreichs Obstbauern, denen durch das Überangebot nach Wegfall der Exporte nach Russland ein Preisverfall droht: "Wir erwarten daher von Bundeskanzler Faymann, der ja den Sanktionen zugestimmt hat, dass er auch die Folgen für die heimische Land- und Ernährungswirtschaft bedenkt und entsprechende Hilfe anbietet", betonte Schultes.

Auch der Präsident des ÖVP-Bauernbundes, Jakob Auer, sorgt sich um heimische Agrarausfuhren. "Sollten die Einbußen übermäßig und untragbar werden, dann müssen wir mit der EU und der Bundesregierung über einen Ausgleich für die heimischen Bauern reden", fordert er.

Preisverfall befürchtet

Auer rechnet vor, dass von den heimischen Lebensmittelausfuhren 2,4 Prozent nach Russland gingen – das entspreche im Jahr etwa 240 Millionen Euro der insgesamt an die zehn Milliarden Euro schweren Ausfuhren. "Die Lage bei Fleisch, Gemüse und Obst wird sich durch die akuten Sperren jedenfalls massiv zuspitzen", befürchtet Auer.

Der Grund dafür sei, dass "jetzt osteuropäisches Fleisch und Gemüse zu Billigpreisen in Europa statt in Russland abgesetzt werden muss", so der Bauernbund-Chef. Es könne hierzulande deswegen zu "Preisschocks" etwa bei Schweinefleisch, Tomaten oder Äpfeln kommen.

Finnland warnt vor Wirtschaftskrise

Besonders hart dürften die Sanktionen Finnland treffen, wo ein Viertel der Exporte nach Russland geht. Der neutrale skandinavische Staat liefert vor allem Milchprodukte an seinen östlichen Nachbarn. Premierminister Alexander Stubb warnte am Donnerstag, der befürchtete Exporteinbruch könne eine Wirtschaftskrise auslösen.

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Finnische Milchprodukte in einem Moskauer Supermarkt
Foto: REUTERS/Maxim Zmeyev

Finnland will in Brüssel Ausgleichszahlungen für von den Gegensanktionen Russlands besonders hart getroffene Staaten einfordern.

Griechenland will EU-Entschädigungen

In Griechenland erklärte der Sprecher des Verbands der Obst- und Gemüseexporteure, Giorgos Polychronakis, der Beschluss des russischen Präsidenten Wladimir Putin bedeute "das Ende für die diesjährigen Gemüse- und Obstexporte Griechenlands nach Russland". Sein Wirtschaftsbereich erwarte nun dringend Entschädigungen seitens der EU.

"Es geht um 600.000 Tonnen (Gemüse und Obst), die nicht nach Russland exportiert werden können", sagte er weiter. Andere Länder außerhalb der EU würden bereits im russischen Markt einspringen, hieß es. Griechenland exportierte 2013 hauptsächlich Pfirsiche, Erdbeeren und andere Früchte nach Russland.

Tschechen fürchten Probleme

Tschechien befürchtet "ernste Probleme" für seine Agrar- und Nahrungsmittelproduzenten infolge der Einfuhrverbote, die Russland als Gegenmaßnahme gegen die westlichen Sanktionen in der Ukraine-Krise verhängt hat. Landwirtschaftsminister Marian Jurecka stellte deswegen einen "starken Interventionsmechanismus" in Aussicht, um den Bauern zu helfen.

Jurecka und der Chef der tschechischen Agrarkammer, Jan Veleba, rechnen vor allem mit indirekten Auswirkungen des russischen Embargos. "Sobald die EU-Staaten ihre Produkte nicht nach Russland exportieren dürfen, wird auf dem EU-Binnenmarkt ein Überdruck entstehen, der zu einem spürbaren Preisverfall bei einigen Produkten führen wird", sagte Jurecka im Tschechischen Fernsehen.

Slowaken warnen vor "Apfel-Krieg"

Als erstes großes Problem sei in nächster Zeit ein "Apfel-Krieg" zu erwarten, warnte Marian Varga, Chef des slowakischen Obstbauern-Verbandes. In Europa entstehe derzeit ein Überschuss an Äpfeln. Allein das Nachbarland Polen habe bisher rund eine Million Tonnen Äpfel pro Jahr nach Russland geliefert, diese würden jetzt unausweichlich den slowakischen Markt überfluten.

Zudem hätten die Polen bereits angekündigt, Entschädigungen von der EU zu beantragen. Sollten diese gewährt werden, wäre es laut Varga "unfaire doppelte Hilfe", während slowakischen Produzenten vorerst keine Hilfszahlungen winken würden. Anders als Tschechien hat die Slowakei bisher keine Interventionsmechanismen zur Hilfe heimischer Landwirte angekündigt.

"Schocktherapie"

Der Moskauer Analyst Dmitri Polewoj sprach von einer "Schocktherapie" für die russische Lebensmittelbranche. "Das Verbot betrifft zehn Prozent des Agrarimports, die jetzt schnell ersetzt werden müssen", betonte er. Russische Medien werteten die Strafmaßnahmen aber auch als Chance für die heimische Industrie. "Das Verbot kann der Lebensmittelbranche endlich jenen Impuls verleihen, den sie für eine stärkere Entwicklung braucht", kommentierte die Zeitung "Wedomosti".

Flugverbote

Zudem erwägt Russland ein Überflugverbot für Fluggesellschaften aus den USA und der Europäischen Union auf dem Weg nach Asien. Eine Entscheidung darüber sei aber noch nicht gefallen, sagte Ministerpräsident Dmitri Medwedew am Donnerstag in Moskau.

Darüber hinaus untersagt die russische Regierung Transitflüge ukrainischer Fluggesellschaften über ihr Hoheitsgebiet.

Neuseeland und Brasilien sollen liefern

Der russische Landwirtschaftsminister Nikolai Fjodorow rechnete nach eigenen Angaben nicht damit, dass die Getreide-Exporte durch Sanktionen in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Liste der mit Importverboten belegten Waren werde zudem womöglich verkleinert. Um die Importausfälle zu kompensieren solle mehr Fleisch aus Brasilien und Käse aus Neuseeland eingeführt werden.

Russland: Obst könnte teurer werden

Präsident Wladimir Putin betonte, dass diese Schritte nicht zum Schaden russischer Verbraucher sein dürften. Moskauer Medien hatten allerdings bereits nach einem Importstopp für Obst aus Polen vor Preisanstiegen von etwa 40 Prozent etwa bei Äpfeln gewarnt. Russland hatte zuletzt mehrere Importverbote für westliche Produkte erlassen, diese aber mit Hygiene begründet.

Russlands Agrarminister Nikolai Fjodorow will bei den verhängten Importverboten für Agrarprodukte auch noch Kasachstan und Weißrussland ins Boot holen. Russland, Kasachstan und Weißrussland befinden sich in einer Zollunion. Schließen sie sich den Gegensanktionen an, kann Russland eine Umgehung der vor allem gegen die USA und die EU verhängten Verbote verhindern. (red, APA, 6.8.2014)