Foto: Alexander Bühler / ZAZA Uta Röttgers, Emilio Tasso, Carlsen Verlag GmbH, 2014
Foto: Alexander Bühler / ZAZA Uta Röttgers, Emilio Tasso, Carlsen Verlag GmbH, 2014
Foto: Alexander Bühler / ZAZA Uta Röttgers, Emilio Tasso, Carlsen Verlag GmbH, 2014
Foto: Alexander Bühler / ZAZA Uta Röttgers, Emilio Tasso, Carlsen Verlag GmbH, 2014

Ein Flüchtlingslager nahe der Stadt Goma im Kongo: 140.000 Flüchtlinge haben sich in den notdürftigen Zelten eingerichtet. Obwohl der Bürgerkrieg schon lange zurückliegt, ist die Lage immer noch vollkommen unsicher. In langen Schlangen warten die Frauen auf die Lebensmittelrationen, in ihren Gesichtern spiegeln sich die Anstrengungen des täglichen Überlebens, lang gehegte Wut und Resignation. "Bürokratie gibt Struktur", stellt Emilio Tasso, der Protagonist und Erzähler der gleichnamigen Graphic Novel, fest. Die strikt geregelte Essensvergabe bringt ein Mindestmaß an Ordnung in das unübersichtliche Chaos, das im Land herrscht.

Die fiktive Figur Emilio Tasso, von Beruf Journalist, ist auf der Suche nach Geschichten, um den europäischen Lesern die Situation der Flüchtlinge begreiflich zu machen. Dabei stößt er jedoch auf eine ganz andere Story: Ein alter Mann erzählt ihm von einer geheimen Eisenbahnlinie, die einst dem letzten belgischen König als Fluchtweg in eine versteckte Residenz gedient haben soll. Mitten im kalten Krieg der 1950er-Jahre wollte er Vorsorge für den Ausbruch eines dritten Weltkriegs treffen - und ließ allerlei Schätze und Kostbarkeiten in den Dschungel transportieren. Bis die Unabhängigkeit des Kongo im Jahr 1960 den Plänen einen Strich durch die Rechnung machte.

Kriegsreportage im Comic

"Eine Abenteuerreportage" nennt der Autor Alexander Bühler - selbst Journalist - seinen Comic, für den die Zeichnerin Zaza (Uta Röttgers) tiefgehende Bilder lieferte. Auch wenn die Story reichlich haarsträubend anmutet, so bleibt die Erzählung doch unaufgeregt und kommt ohne Betroffenheitsanklänge aus. Und bildet einen klischeefreien Kontrapunkt zu Hergés verharmlosendem "Tim im Kongo".

Der Ansatz, handfeste historische Tatsachen und die subjektiven Eindrücke des Reporters mit einer fiktiven Geschichte anzureichern, bringt eine neue Lebendigkeit in das Format der klassischen Kriegsreportage, die derzeit im Graphic-Novel-Sektor verdiente Höhenflüge erlebt. Auf den Grundstein, den der Meister der Comicreportage Joe Sacco bereits in den 1990ern gelegt hat (unter anderem mit "Palestine", "Safe Area Gorazde" und "Footnotes in Gaza"), baut heute eine ganze Generation von Comickünstlern.

Aus dem Blickwinkel Emilio Tassos gerät der Kongo mit all seinen Traumata zum Schauplatz eines Plots, in dem mehr als ein paar Körnchen Wahrheit stecken: Auf der Suche nach den Überresten der königlichen Residenz gerät Tasso nicht nur tief in dichte Wälder, sondern verstrickt sich in einen Krimi rund um brutale Rebellen, atomare Brennstäbe und uralte Pygmäenkultur.

Blick in die "Black Box" Kongo

Die starken, aber doch reduzierten Bilder leben vom hintergründigen Spiel aus Licht und Schatten und rufen - obwohl ausschließlich in schwarz, weiß und grau gehalten - nur bedingt das Gefühl der Düsternis hervor, das Joseph Conrads "Das Herz der Finsternis" so eindrucksvoll heraufbeschworen hat. Ohne Rahmen fließen die Zeichnungen collageartig mit den Texten zusammen und geben dem Geschehen auf diese Weise viel Raum und Tiefe.

Die Geschichte, in der Bühler aus seinen eigenen Erfahrungen als Journalist in der zentralafrikanischen Republik schöpft, ist aber weit mehr als ein Abenteuer: Behutsam arbeitet sie die Tragödie eines Landes auf, das trotz großen Rohstoffreichtums über Jahrhunderte immer weiter ausgelaugt wurde und von einem korrupten Diktator zum anderen weitergereicht wurde. Bühler und Röttgers wagen damit einen Blick in die "Black Box" Kongo und machen die Komplexität der Historie, die bis heute wirkt, greifbar - wenn sie auch nur einen knappen Überblick geben können. Immerhin bleibt ein flüchtiger Eindruck davon, was es heißt, in ständiger Angst zu leben zwischen plündernden Milizen, einer zweifelhaften Armee und hilf- und tatenlosen UN-Soldaten - aber auch den Mut zu zeigen, sich zur Wehr zu setzen. (Karin Krichmayr, derStandard.at, 19.11.2014)