Bild nicht mehr verfügbar.

Hoch die Hüte: Wie weit die Höhenflüge karrieretechnisch gehen werden, hängt auch davon ab, wohin es die jungen Wissenschafter verschlägt.

Foto: AP Photo/Joerg Sarbach

Christian Zierhut forscht in den USA.

Foto: privat

Wien / New York – "Als ich vom Flughafen JFK mit dem Taxi zu meiner Wohnung fuhr und durch das Autofenster auf den East River blickte: Das war ein tolles Gefühl." Vor sieben Jahren flog Christian Zierhut mit Sack und Pack nach New York. Er hatte sich nach dem Studium an der Uni Wien und der Dissertation in London um eine Stelle in den USA beworben – mit Erfolg. "Wenn man gern fremde Länder kennenlernt, dann bietet die Wissenschaft ideale Möglichkeiten, diesen Wunsch zu verwirklichen", sagt der österreichische Genetiker.

Die Rockefeller University war die nächste Karrierestation, sie zählt in der biomedizinischen Forschung zu den Topadressen weltweit. Hier hat etwa der österreichische Nobelpreisträger Karl Landsteiner die letzten zwei Jahrzehnte seines Forscherlebens verbracht. 24 Nobelpreisträger waren seit der Gründung 1901 an diesem Ort tätig, darunter der Immunforscher Ralph Steinman, der vor drei Jahren die begehrte Auszeichnung von der schwedischen Wissenschaftsakademie erhielt.

Die Rockefeller University liegt an der York Avenue in Manhattan, Upper East Side, ein nobles Viertel. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen beträgt hier 150.000 Dollar netto jährlich. Zierhut wohnt in unmittelbarer Nähe der Universität, zehn Minuten braucht er zu Fuß von der Wohnung zu seinem Arbeitsplatz. Die Gegend sei schön, sagt er, wenn auch ein wenig zu etabliert für seinen Geschmack. Da ihm die Uni eine Wohnung mit reduzierter Miete zur Verfügung stelle, habe er sich entschieden zu bleiben. "Natürlich gäbe es in New York noch interessantere Gegenden. Aber da müsste ich täglich eine Stunde mit der U-Bahn in die Arbeit fahren." Davon abgesehen sei die Stadt an der Ostküste eine exzellente Wahl gewesen: "Hier in Amerika ist eben alles größer."

Dass Christian Zierhut nach der Dissertation in Amerika gelandet ist, entspricht der globalen Diaspora der Wissenschaft. Laut dem "GlobSci Survey", einer Untersuchung aus dem Jahr 2012, sind die USA nach wie vor Zielland Nummer eins für karrierebewusste Forscher, vor allem aus Indien und China ist der Zustrom groß. Jedenfalls gemessen an absoluten Zahlen.

Proportional zur Größe des Landes sind drei Länder noch internationaler besetzt. In Australien stammen 45 Prozent aller Forscher aus dem Ausland (erfasst wurden in der Studie die Fächer Biologie, Chemie, Umwelt- und Materialwissenschaften), in Kanada sind es 47, in der Schweiz gar 57 Prozent.

Die wichtigste Publikation seiner Karriere sei ihm erst kürzlich im Juni gelungen, erzählt Zierhut. Die Studie, die in "Nature Structural & Molecular Biology" veröffentlicht wurde, war gewissermaßen die Synopsis seiner siebenjährigen Postdoc-Phase. Sie klärte, wie sich die Kernmembran nach der Zellteilung neu organisiert und welche Moleküle dafür verantwortlich sind. Eine für die Biomedizin wichtige Erkenntnis – und eine, die Einblick in die sozialen Bedingungen der Forschergemeinde erlaubt.

"Vor etwa einem Jahr habe ich meine Ergebnisse auf einem Kongress vorgestellt. Meinen Vortrag hörten Kollegen, die an dem gleichen Problem arbeiteten und mit anderen Methoden zu ähnlichen Ergebnissen gekommen waren. Anstatt mit uns zu sprechen, haben sie ihre mehr oder weniger halbfertige Geschichte zusammengeschrieben und an die wichtigsten Journale geschickt." Die Studie der Konkurrenz wurde gleichzeitig mit der seinen publiziert. Zierhut ist überzeugt: Miteinander zu reden wäre besser gewesen als der Versuch eines Überholmanövers.

Geschichten wie diese hört man in der Wissenschaftsgemeinde beinahe täglich. Was auf den ersten Blick paradox ist: Denn einerseits wird die Wissenschaft immer kollaborativer. Angesichts der fortschreitenden Spezialisierung geht ohne internationale Zusammenarbeit nichts mehr.

Salamitaktik

Andererseits gehorcht die Wissenschaft mehr denn je Modeerscheinungen. In Forschungsgebieten, die als modern oder attraktiv gelten, kann es durchaus vorkommen, dass verschiedene Teams an den gleichen Problemen arbeiten. Und nachdem in Zeiten knapper Budgets auch die Konkurrenz eher zu- denn abnimmt, publizieren Wissenschafter ihre Ergebnisse nicht selten vorschnell, um sich die Priorität der Entdeckung zu sichern. Diese Tendenz ist nicht neu: Schon Francis Crick, der Koentdecker der DNA-Helix, zieh einst seine Fachkollegen, sich zu sehr auf hastige Häppchen zu konzentrieren, anstatt langfristig mit Substanz zu arbeiten. "Salami slicing" nannte das der britische Nobelpreisträger.

Laut Untersuchungen von Patrick Gaulé von der Karls-Universität Prag ist die Mobilität von Wissenschaftern stark vom Alter abhängig. Falls sie in ihre Heimat zurückkehren, dann spätestens mit 45 Jahren. Ab 50 haben die meisten Wurzeln geschlagen und sind nicht mehr bereit, ihr Leben erneut umzukrempeln. Wenngleich viele zurückwollten. Der in vielen Ländern beklagte Braindrain dürfte systemimmanent sein.

Christian Zierhut befindet sich nun in ebenjener entscheidenden Phase. Mit 37 steht der nächste, logische Karriereschritt bevor: Der Molekularbiologe bewirbt sich nun um Stellen als Gruppenleiter. Eine davon wäre in Wien, seiner Heimatstadt. "Das wäre mir natürlich am liebsten. Ansonsten suche ich vor allem Jobs in Europa. Ich möchte wieder näher bei meiner Familie sein." (Robert Czepel, DER STANDARD, 6.8.2014)