"Die Wohnung", Dienstag in der ARD.

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Es beginnt so wie viele andere Wohnungsauflösungen: mit täglich 60 Müllsäcken, mit dem Sichten von Dokumenten und Briefen, die dann doch ins Altpapier wandern sollen. "Jeder, der nur einen Funken Verstand hat, wirft das weg", sagt die Mutter. Sie versteht nicht, warum der Sohn Briefe unbekannter Absender aufbewahren will.

Für Arnon Goldfinger ist das ganz einfach: "Es ist unser Familiengedächtnis". Seine Dokumentation "Die Wohnung", Dienstag, ARD, 22.45 Uhr, erzählt eben nicht nur von den Großeltern, Gerda und Kurt Tuchler, glühenden Zionisten, die 1937 nach Tel Aviv emigrierten, sondern auf einer zweiten Ebene auch von der Kultur der Erinnerung. "Mir war nicht bewusst, dass ich in einer Familie lebe, in der nur die Gegenwart zählt", sagt Arnon. Als Kind hatte er die nun verstorbene Großmutter jede Woche besucht - in ihrer Wohnung, wo alles so aussah, als hätte sie Berlin nie verlassen. Auch Hebräisch hatte die Omama in 70 Jahren in Israel nicht gelernt. Aber auch Arnon hatte nie gefragt, warum. Bis jetzt.

Bereits in den Bildern der Räumung spiegelt der Filmemacher den unterschiedlichen Umgang mit dem Erbe. Während die einen die toten Füchse aus dem Kasten zerren, lupft er den Schleier der im Dunkeln liegenden Geheimnisse, zieht die schweren Rollläden in der Wohnung hinauf: Licht und Schatten tanzen über das Bildnis der Großmutter, die hier nie eine neue Heimat fand.

Bei seiner Spurensuche stößt er auf die Reisereportage "Ein Nazi fährt nach Palästina". Das Unglaubliche daran: Die Tuchlers hatten den Autor, Baron von Mildenstein, auf dieser Reise nicht nur begleitet, sie waren enge Freunde. Und das auch noch nach dem Holocaust. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 5.8.2014)