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UN-Hochkommissarin Navi Pillay geht Ende August in den Ruhestand. Ihr folgt der Jordanier Prinz Zeid Ra'ad Zeid al-Hussein nach.

Foto: AP/Trezzini

Die Hochkommissarin sitzt an ihrem wuchtigen Schreibtisch, sie studiert Akten über den Krieg. Die Fenster stehen weit offen, der Verkehrslärm des Quai Wilson direkt am Ufer des Genfer Sees dringt herein in ihr weitläufiges Büro. Navi Pillay spricht über den Gaza-Konflikt. "Die Angriffe auf Zivilisten sind schrecklich", sagt sie mit nachdenklicher Miene und schüttelt den Kopf. "Das könnten Kriegsverbrechen sein."

Die Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen geht Ende August in den Ruhestand, ihr folgt der Jordanier Prinz Zeid Ra'ad Zeid al-Hussein nach. Viele brutale Kriege rund um die Welt überschatten das Ende ihrer Amtszeit: Ukraine, Nahost, Syrien, Irak, die bewaffneten Konfrontationen in Afrika. "Ich habe niemals zuvor dieses Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen in Konflikten gesehen wie heute", bilanziert sie.

Als oberste UN-Wächterin der Menschenrechte fordert sie von den Parteien Waffenstillstände. Sie mahnt den bedingungslosen Schutz der Zivilisten an. Und sie warnt: Wer Kriegsverbrechen verübt, muss juristisch dafür zahlen.

Das Wort als Waffe

Die 72-Jährige führt das Hochkommissariat mit 1200 Mitarbeitern seit 2008. Sie kann Ermittlungskommissionen einsetzen, wie jetzt im Ukraine-Konflikt. Pillays stärkste Waffe ist das Wort, als Hochkommissarin hat sie keine formale Macht.

Pillay weiß: Die Hochkommissarin und andere UN-Institutionen laufen der Entwicklung auf den Schlachtfeldern meistens hinterher. "Die UN treten oft erst nach dem Ausbruch von Konflikten und Gewalt auf den Plan, das scheint das Muster zu sein. Das ist ein Scheitern", gesteht sie ein.

Viele Diplomaten loben die scheidende Kommissarin. "Navi Pillay hat sich als unbeugsame Mahnerin auch in schwierigen Situationen für die Opfer stark gemacht", sagt ein Botschafter eines EU-Landes bei den UN in Genf, der anonym bleiben wollte.

Doch Pillay musste sich auch Kritik gefallen lassen - in der Regel von Regierungen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. So beschuldigte 2013 der Leiter der Delegation Sri Lankas im UN-Menschenrechtsrat, Mahinda Samarasinghe, die Südafrikanerin mit tamilischen Wurzeln, sie habe gegen seine Regierung Stimmung gemacht. Hintergrund war der Bürgerkrieg auf der Insel, an dessen Ende die Regierungstruppen den tamilischen Separatisten eine vernichtende Niederlage beifügten.

Reden gegen Guantánamo und Diskriminierung

Pillay erregt aber auch das Missfallen mächtiger Staaten. So prangerte sie wiederholt das Gefangenenlager Guantánamo an. Dort halten die USA noch immer mutmaßliche Terroristen fest - in der Regel ohne ordentliches juristisches Verfahren. US-Präsident Obama hatte schon vor Beginn seiner Amtszeit 2009 versprochen, das Camp zu schließen. Pillay legte sich mit Russland und anderen Staaten an, in denen die Rechte von Homosexuellen beschnitten werden. "Man muss Gewalt und Hass bestrafen, nicht aber die Liebe", argumentiert sie.

Wenn die Mutter zweier Töchter sich gegen Unterdrückung stark macht, weiß sie, wovon sie spricht. Im Apartheidsystem Südafrikas wurde sie diskriminiert. 1967 war sie die erste Frau, die in der Provinz Natal eine Anwaltskanzlei eröffnete. Nach der Apartheid wurde sie Richterin am Obersten Gerichtshof Südafrikas. Sie diente als Präsidentin am Internationalen Straftribunal für Ruanda, dann als Richterin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Nun wird Pillay in ihre Heimatstadt Durban zurückkehren. "Ich habe mehr als 50 Jahre gearbeitet, ich glaube, ich habe mir meinen Ruhestand verdient." (Jan Dirk Herbermann, DER STANDARD, 04.08.2014)